Der Inspektor machte eine bedeutungsvolle Pause.
«Ich teile durchaus Ihre Ansicht», sagte Poirot, «doch was weiter?»
«Nun, Sir, ich sagte mir, da muss etwas faul sein, und ich begann deshalb, mich etwas umzusehen. Da waren die verschwundenen Jadefiguren. Würde ein gewöhnlicher Landstreicher ihren Wert erkannt haben? Irgendwie erschien es mir als reiner Wahnsinn, eine solche Tat am hellen Tage zu begehen. Angenommen, der alte Herr hätte um Hilfe gerufen?»
«Ich darf wohl annehmen, Inspektor», sagte Mr Ingles, «dass ihm die Wunde am Kopf vor seinem Tode beigebracht wurde?»
«Sehr richtig, Sir; zuerst betäubte ihn der Mörder, und dann schnitt er ihm den Hals durch. Das ist mir vollkommen klar. Aber wie, zum Teufel, ist er hinein- und wieder herausgekommen? Ein Fremder fällt in einem kleinen Ort wie diesem sehr schnell auf. Ich glaubte zuerst, dass überhaupt kein Fremder da gewesen war, und untersuchte die ganze Umgebung. Es hatte in der vergangenen Nacht geregnet, und ich fand deutliche Fußabdrücke nach der Küche und wieder heraus. Im Wohnzimmer waren nur zwei verschiedene Fußspuren; die von Betsy Andrews gingen bis zur Tür. Mr Whalley hatte Hausschuhe getragen. Ein anderer aber war in die Blutlachen getreten, und so verfolgte ich diese Spuren – entschuldigen Sie bitte, Sir.»
«Keine Ursache», sagte Mr Ingles mit einem leichten Lächeln, «Ihre Kombinationen sind vollkommen richtig.»
«Ich verfolgte diese Spuren bis zur Küche – jedoch nicht darüber hinaus, das ist Punkt 1. Auf der Schwelle von Grants Tür fand ich einen dunklen Fleck, und zwar einen Blutfleck, Punkt 2. Sodann untersuchte ich Robert Grants Stiefel, die er ausgezogen hatte und die genau zu den gefundenen Fußspuren passten, Punkt 3. Dieses ließ in mir die Überzeugung aufkommen, dass kein Fremder an der Tat beteiligt war. Ich forderte Grant auf, die Wahrheit zu bekennen, und nahm ihn in Gewahrsam. Was, glauben Sie, fand ich in seinem Schrank versteckt? Die kleinen Jadefiguren und eine auf seinen Namen ausgestellte Fahrkarte. Abraham Biggs, alias Robert Grant, vor fünf Jahren wegen eines schweren Verbrechens und Hausfriedensbruch vorbestraft.»
Der Inspektor hielt triumphierend inne.
«Was sagen Sie dazu, meine Herren?»
«Ich denke», sagte Poirot, «dass der Fall anscheinend sehr klar liegt, eigentlich ein wenig zu klar.
Dieser Biggs, alias Grant, muss ein ausgemachter Idiot sein, nicht wahr?»
«Oh, das ist er auf jeden Fall, ein roher, ungebildeter Bursche, der keine Ahnung davon hat, was Fußabdrücke bedeuten.»
«Sicher liest er keine Kriminalromane! Nun, Inspektor, ich gratuliere Ihnen. Vielleicht dürfen wir einmal den Tatort besichtigen?»
«Ich werde Sie sogleich dorthin führen und möchte gern, dass Sie sich die Fußspuren ansehen.»
«Ja, ich möchte sie auch gern sehen. Das ist wirklich alles sehr interessant und sehr durchdacht.»
Wir machten uns auf den Weg, Mr Ingles und der Inspektor gingen voraus, während Poirot und ich etwas zurückblieben, um einige Worte zu wechseln, ohne dass der Inspektor es hören konnte.
«Wie denkst du nun wirklich darüber, Poirot? Glaubst du, dass mehr dahintersteckt, als es den Anschein hat?»
«Das ist gerade die große Frage, mon ami. Whalley sagt nur zu deutlich in seinem Schreiben, dass die Großen Vier hinter ihm her waren, und du sowohl wie ich, wir wissen beide, dass die Großen Vier durchaus nicht nur ein Kinderschreck sind. Doch alles spricht dafür, dass dieser Grant tatsächlich den Mord begangen hat. Was veranlasste ihn dazu? Tat er es nur, um in den Besitz der kleinen Jadefiguren zu gelangen? Oder ist er das Werkzeug der Großen Vier? Ich muss gestehen, dass mir das Letztere wahrscheinlicher scheint. Jedoch, wie wertvoll die Figuren auch sein mögen, so hat ein Mann von seinem Stande keine Ahnung davon – auf jeden Fall nicht in dem Ausmaße, um deswegen einen Mord zu riskieren. Das, par exemple, sollte auch dem Inspektor einleuchten. Grant hätte ebenso gut die Jadefiguren stehlen und sich damit aus dem Staube machen können, anstatt einen so brutalen und eigentlich zwecklosen Mord zu begehen. Ich fürchte, unser Freund aus Devonshire hat seine kleinen grauen Zellen nicht genügend in Funktion treten lassen. Er hat zwar Fußspuren untersucht, es jedoch unterlassen, die Tatsachen nach gewissen Methoden und Überlegungen zu ordnen.»
4
Der Inspektor zog den Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür zum Bungalow. Nach einem schönen, trockenen Sommertag konnten unsere Schuhe kaum irgendwelche Spuren hinterlassen. Trotzdem reinigten wir sie sorgfältig auf der Matte, bevor wir hineingingen. Eine Frau kam uns aus dem dämmerigen Flur entgegen und sprach einige Worte zum Inspektor, der sich ihr zuwandte und Poirot über die Schulter zurief:
«Sehen Sie sich gut um, Monsieur Poirot, und übersehen Sie nichts. Ich bin in ungefähr zehn Minuten wieder zurück. Nebenbei, hier sind Grants Stiefel.»
Wir gingen in das Wohnzimmer, während des Inspektors Schritte draußen verhallten. Ingles’ Aufmerksamkeit wurde durch einige chinesische Raritäten gefesselt, die auf einem Tisch in der Ecke standen. Er ging hinüber, um sie sich anzusehen, und schien Poirots Untersuchungen vergessen zu haben, während ich meinen Freund mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtete. Der Boden war mit einem dunkelgrünen Linoleum belegt, auf welchem Fußspuren deutlich erkennbar waren. Eine Tür am Ende des Raumes führte zu der kleinen Küche, von dort eine andere zum Spülraum (von da führte die Hintertür ins Freie) und eine weitere zur Schlafkammer Robert Grants. Nachdem Poirot den Fußboden untersucht hatte, führte er leise Selbstgespräche über seine Wahrnehmungen. «Hier hat die Leiche gelegen, jener große Fleck und die Spritzer rundherum bezeichnen die Lage. Hier sieht man Spuren von Hausschuhen und anderen Schuhen der Größe neun, jedoch alles ziemlich verschwommen. Sodann zwei verschiedene Abdrücke, die nach der Küche und wieder zurück führen. Wer auch immer der Mörder gewesen sein mag, er ist auf diesem Wege hereingekommen.
Hast du die Stiefel bei dir, Hastings? Gib sie mir bitte.»
Er verglich sie sorgfältig mit den Spuren.
«Ja, beide sind von derselben Person, von Robert Grant. Er kam auf diesem Wege herein, tötete den alten Herrn und ging zur Küche zurück. Dabei trat er in die Blutlache, man sieht die Flecke, die er beim Hinausgehen hinterließ. In der Küche lässt sich nichts mehr feststellen, das halbe Dorf ist darin herumgelaufen. Dann ging er in sein Zimmer – nein, zuvor ging er nochmals zurück zum Tatort – vielleicht um die Jadefiguren zu holen? Oder hatte er etwas übersehen, das ihn verraten mochte?»
«Vielleicht tötete er den alten Herrn erst, als er beim zweiten Male das Zimmer betrat», warf ich ein.
«Du beobachtest nicht scharf genug. Über einer der nach draußen gerichteten Fußspuren zeichnet sich ganz deutlich eine ab, die nach innen geht. Ich möchte zu gerne wissen, warum er nochmals zurückkam, vielleicht doch, um die Jadefiguren zu holen? Es ist alles so sinnlos und lächerlich.»
«Nun gut, dann sitzt er ziemlich hoffnungslos in der Falle.»
«N’est-ce-pas, Hastings? Aber ich wiederhole, alles widerspricht dem klaren Verstand, so dass es mir keine Ruhe lässt. Lass uns mal einen Blick in die Kammer werfen. Siehst du, da ist die Blutspur auf der Schwelle und ein schwacher blutbeschmierter Schuhabdruck. Robert Grant war der Einzige, der sich zu der Zeit in der Nähe des Hauses befand – er muss es gewesen sein, er und kein anderer.»