»›Nicht gestattet‹?«
»Richtig.« Ich schrieb die Worte NICHT GESTATTET auf die Tafel. »Genauso wie das hier. Aber nur eines von beiden ist auch eine Abbildung von Sprache.«
Gary nickte. »Okay.«
»Linguisten bezeichnen eine Schrift wie diese hier« – ich zeigte auf die geschriebenen Wörter – »als ›Glottografie‹, denn sie repräsentiert Sprache. Alle geschriebenen menschlichen Sprachen gehören zu dieser Kategorie. Dieses Symbol allerdings« – und ich deutete auf den Kreis mit der Diagonalen – »ist ein ›semasiografisches‹ Zeichen, denn es vermittelt einen Inhalt, ohne sich dabei auf Sprache zu beziehen. Zwischen seinen Bestandteilen und bestimmten Lauten besteht kein Zusammenhang.«
»Und du bist der Meinung, dass die ganze Heptapodenschrift so funktioniert?«
»Nach dem, was ich bisher davon gesehen habe, ja. Sie ist weit komplizierter als eine einfache Bilderschrift. Sie verfügt über ein eigenes Regelwerk, wie man Sätze bildet – wie eine visuelle Syntax, die nichts mit der Syntax ihrer mündlichen Sprache zu tun hat.«
»Eine visuelle Syntax? Kannst du mir ein Beispiel zeigen?«
»Kommt sofort.« Ich setzte mich an den Schreibtisch und ließ auf dem Computer ein Bild der Aufnahme der gestrigen Unterhaltung mit Himbeere erscheinen. Ich drehte den Monitor so, dass Gary es sehen konnte. »In ihrer mündlichen Sprache bekommt ein Nomen eine Kasusmarkierung, die anzeigt, ob es ein Subjekt oder ein Objekt ist. In ihrer geschriebenen Sprache jedoch wird durch die Ausrichtung des Nomen-Logogramms zum Verb bestimmt, ob es ein Objekt oder ein Subjekt ist. Hier, schau.« Ich deutete auf eine der Abbildungen. »Wenn zum Beispiel ›Heptapode‹ auf diese Weise mit ›hört‹ verbunden wird, mit diesen parallelen Strichen, zeigt es an, dass der Heptapode etwas hört.« Ich zeigte Gary eine andere Abbildung. »Wenn die Zeichen aber so verbunden werden und die Striche im rechten Winkel zueinander verlaufen, bedeutet es, dass der Heptapode gehört wird. Diese Morphologie funktioniert bei etlichen Verben so. Ein weiteres Beispiel ist die Flexion, also die Beugung von Wörtern.« Ich wählte eine andere Aufnahme. »In ihrer Schriftsprache bedeutet dieses Logogramm in etwa ›klar zu hören‹ oder ›deutlich zu hören‹. Erkennst du die Elemente, die dem Logogramm für ›hören‹ gleichen? Man kann dieses Logogramm auf die gleiche Weise mit dem Zeichen für ›Heptapode‹ kombinieren, um auszudrücken, dass der Heptapode etwas klar hören kann, oder deutlich zu hören ist. Wirklich interessant ist aber, dass die Modulation von ›hören‹ zu ›deutlich hören‹ kein besonderer Fall ist; kannst du die Veränderung erkennen, die sie vorgenommen haben?«
Gary zeigte darauf und nickte. »Sieht so aus, als ob sie die Idee ›deutlich‹ ausdrücken, indem sie die Krümmung dieser Striche in der Mitte verändern.«
»Genau. Diese Anpassung lässt sich auf viele Verben anwenden. Das Logogramm für ›sehen‹ kann auf diese Weise modifiziert werden, um ›deutlich sehen‹ zu bezeichnen, und so ist es auch bei dem Logogramm für ›lesen‹ und bei vielen weiteren. Für diese Art und Weise, die Krümmung der Striche zu verändern, gibt es in ihrer Lautsprache keine Entsprechung. Bei der gesprochenen Variante dieser Verben fügen sie den Wörtern ein Präfix hinzu, um Leichtigkeit des Ausdrucks zu bezeichnen, und die Präfixe für ›sehen‹ und ›hören‹ unterscheiden sich. Es gibt noch weitere Beispiele dafür, aber du verstehst, was ich meine. Im Grunde ist es eine Grammatik in zwei verschiedenen Dimensionen.«
Gary fing an, nachdenklich auf und ab zu gehen. »Gibt es bei menschlichen Schriftsystemen etwas Vergleichbares?«
»Mathematische Gleichungen, Notationen für Musik und Tanzchoreografie. Aber diese Systeme sind hochgradig spezialisiert, und mit ihnen könnten wir zum Beispiel unsere Unterhaltung nicht aufzeichnen. Aber ich glaube, dass wir unser Gespräch mit der Heptapodenschrift aufschreiben könnten, wenn wir sie gut genug kennen würden. Ich glaube, dass es sich dabei um eine voll ausgebildete, universell einsetzbare grafische Sprache handelt.«
Gary runzelte die Stirn. »Ihre Schrift und ihre Lautsprache sind also zwei völlig verschiedene Sprachen, richtig?«
»Genau. Es wäre in der Tat korrekter, ihre Schrift als ›Heptapod B‹ zu bezeichnen, und mit ›Heptapod A‹ ausschließlich auf ihre Lautsprache zu verweisen.«
»Einen Augenblick. Warum überhaupt zwei verschiedene Sprachen verwenden, wenn eine ausreichen würde? Das setzt doch einen unnötig großen Lernaufwand voraus.«
»So wie die englische Rechtschreibung?«, sagte ich. »Ob sich etwas leicht und einfach lernen lässt, ist nicht der wichtigste Faktor in der Entwicklung einer Sprache. Schreiben und Sprechen erfüllen bei den Heptapoden vielleicht kulturell und kognitiv derart unterschiedliche Zwecke, dass es für sie sinnvoller ist, zwei verschiedene Sprachen zu nutzen, anstatt nur eine.«
Gary ließ sich das durch den Kopf gehen. »Ich verstehe, was du meinst. Womöglich denken sie, dass unsere Art zu schreiben redundant ist, ganz so, als ob wir einen zweiten Kommunikationskanal nicht nutzen würden.«
»Gut möglich. Herauszufinden, warum sie eine zweite Sprache als Schrift verwenden, würde uns eine ganze Menge über sie verraten.«
»Wenn ich es richtig verstehe, wird uns ihre Schriftsprache nicht helfen, ihre Lautsprache zu lernen.«
Ich seufzte. »Richtig, das ist die wichtigste Schlussfolgerung. Aber ich denke nicht, dass wir Heptapod A oder B ignorieren sollten. Wir sollten zweigleisig vorgehen.« Ich deutete auf den Bildschirm. »Ich wette mit dir, dass uns, wenn wir ihre zweidimensionale Grammatik lernen, das helfen wird, wenn es so weit ist, ihre mathematische Notation zu begreifen.«
»Da hast du wohl recht. Können wir also damit anfangen, ihnen Fragen über ihre Mathematik zu stellen?«
»Noch nicht. Erst einmal müssen wir ihr Schriftsystem besser verstehen, bevor wir mit etwas anderem weitermachen«, sagte ich und lächelte, als Gary enttäuscht das Gesicht verzog. »Geduld, werter Herr. Geduld ist eine Tugend.«
Du wirst sechs Jahre alt sein, als dein Vater zu einer Konferenz nach Hawaii fliegt und wir ihn begleiten. Du wirst so aufgeregt sein, dass du schon Wochen vorher beginnst, dich darauf vorzubereiten. Du wirst mich über Kokosnüsse und Vulkane und Surfen ausfragen und vor dem Spiegel Hula üben. Du wirst einen Koffer mit den Kleidern und Spielsachen packen, die du mitnehmen möchtest, und ihn im Haus herumschleppen, um herauszufinden, wie lange du ihn tragen kannst. Du wirst mich fragen, ob ich deine Zaubertafel in meine Tasche packen kann, weil du in deinem Gepäck keinen Platz mehr dafür hast und ohne sie nicht reisen willst.
»Das alles wirst du gar nicht brauchen«, werde ich sagen. »Es wird dort so viele tolle Dinge geben, die du unternehmen kannst, dass du gar nicht dazu kommst, mit deinen Sachen zu spielen.«
Darüber wirst du nachdenken. Über deinen Augenbrauen werden sich Grübchen bilden, während du ins Grübeln verfällst. Schließlich wirst du weniger Spielzeug einpacken, aber deine Vorfreude wird sich nur noch mehr steigern.
»Ich will jetzt in Hawaii sein«, wirst du quengeln.
»Manchmal ist es gut zu warten«, werde ich sagen. »Je mehr beim Warten die Spannung steigt, um so größer ist die Freude, wenn es dann endlich so weit ist.«
Daraufhin wirst du schmollen.
In meinem nächsten Bericht erklärte ich, der Begriff »Logogramm« führe in die Irre, da er nahelegt, dass jedes Zeichen einem gesprochenen Wort entspricht. Dabei bezogen sich die Zeichen keineswegs auf Worte in unserem Sinne. Den Begriff »Ideogramm« wollte ich ebenfalls vermeiden, da er bereits besetzt war, und so schlug ich die Bezeichnung »Semagramm« vor.
Es hatte den Anschein, dass ein Semagramm hier in etwa mit einem geschriebenen Wort in der menschlichen Sprache übereinstimmte: Wenn es alleinstand, hatte es eine ganz bestimmte Bedeutung, und mit anderen Semagrammen kombiniert ergab es eine unbegrenzte Anzahl von Aussagen. Ganz genau ließ es sich nicht definieren, aber bisher hat auch niemand wirklich zufriedenstellend den Begriff »Wort« definiert. Die Angelegenheit wurde jedoch um einiges verwirrender, wenn es um Sätze in Heptapod B ging.