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»Genau das hoffe ich. Nach so einem Ansatzpunkt, der uns einen Zugang zum physikalischen Denken der Heptapoden liefert, haben wir gesucht. Das muss gefeiert werden.« Er hörte auf, hin und her zu tigern, und sah mich an. »Hey, Louise, hast du Lust essen zu gehen? Ich lade dich ein.«

Ich war etwas überrascht. »Klar«, sagte ich.

Wenn du anfangen wirst, laufen zu lernen, wird mich das Tag für Tag an die Asymmetrie unserer Beziehung erinnern. Ständig wirst du dich davonmachen, und immer, wenn du gegen einen Türrahmen rennst oder dir das Knie aufschürfst, wird sich dein Schmerz wie mein eigener anfühlen. Als würde mir ein zusätzliches Körperteil wachsen, eine Erweiterung meiner selbst, deren Schmerzen ich zwar zu empfinden vermag, die aber meinen Bewegungsimpulsen nicht folgen will. Das ist äußerst ungerecht: Ich werde eine belebte Voodoo-Puppe meiner selbst auf die Welt bringen. Das habe ich in dem Vertrag, den ich unterschrieben habe, übersehen. War das Teil der Abmachung?

Und dann werden da die Augenblicke sein, in denen ich dich lachen sehen werde. Wie das eine Mal, als du mit dem jungen Hund der Nachbarn spielen, deine Hände durch die Lücken des Maschendrahtzauns strecken wirst, der die Grundstücke voneinander trennt, und dabei so heftig lachst, dass du einen Schluckauf bekommst. Der Hund wird in das Haus des Nachbarn laufen, und langsam wird dein Lachen leiser werden, und du wirst allmählich wieder zu Atem kommen. Der Hund wird dann wieder zum Zaun zurückkommen und dir die Finger ablecken, und du wirst aufkreischen und wieder anfangen zu lachen. Das wird das wundervollste Geräusch sein, das ich mir jemals vorstellen könnte, ein Geräusch, das mir das Gefühl gibt, ein Springbrunnen oder eine Quelle zu sein.

Könnte ich mich doch nur an dieses Geräusch erinnern, wenn deine unbekümmerte Gleichgültigkeit gegenüber deinem Selbsterhaltungstrieb mir wieder einmal fast einen Herzinfarkt beschert.

Nach dem Durchbruch mit dem Fermatschen Prinzip verlief der Austausch wissenschaftlicher Konzepte weit fruchtbarer. Es war zwar keineswegs so, dass wir plötzlich die Heptapoden-Physik völlig durchschaut hätten, aber wir machten beständig Fortschritte. Tatsächlich unterschied sich, laut Gary, die Art und Weise, wie die Heptapoden Physik verstanden, gänzlich von der unsrigen. Physikalische Eigenschaften, die wir Menschen mit Hilfe von Integralfunktionen beschrieben, galten für die Heptapoden als grundlegend. Als Beispiel nannte Gary eine Eigenschaft, die von Physikern mit dem verführerisch einfachen Begriff »Wirkung« bezeichnet wurde und die »den Unterschied zwischen kinetischer und potenzieller Energie über eine bestimmte Zeitspanne« beschrieb, was immer das auch bedeuten mochte. Integralfunktionen für uns, elementar für die Heptapoden.

Andererseits verwendeten die Heptapoden für Eigenschaften wie beispielsweise »Geschwindigkeit«, die von Menschen als fundamental angesehen wurden, mathematische Verfahren, die nach Garys Ansicht »höchst seltsam« waren. Letztendlich waren die Physiker in der Lage nachzuweisen, dass die Mathematik der Heptapoden und der Menschen miteinander vergleichbar waren, und dass, obwohl die Herangehensweisen beider Systeme fast die Umkehrung des jeweils anderen darstellten, beide dasselbe physikalische Universum beschrieben.

Ich versuchte, einige der Gleichungen, die sich die Physiker ausdachten, nachzuvollziehen, aber es war sinnlos. Die Bedeutung einer physikalischen Eigenschaft wie »Wirkung« begriff ich ebenso wenig, wie ich nicht verstand, was so wesentlich daran war, eine solche Eigenschaft als fundamental anzusehen. Dennoch gab ich mir Mühe, diese Fragen in mir vertrautere Worte zu fassen: Was für eine Sicht der Welt hatten die Heptapoden, um das Fermatsche Prinzip für die einfachste Erklärung der Brechung von Licht zu halten? Was für eine Art der Wahrnehmung sorgte dafür, dass sich ihnen Minimal- und Maximalwerte mühelos erschlossen?

Deine Augen werden blau sein wie die deines Vaters, nicht erdfarben wie meine. Die Jungs werden sich genauso in diesen Augen verlieren wie ich mich in den Augen deines Vaters, genauso überrascht und bezaubert darüber, wie ich es war und bin, wie sie mit deinen schwarzen Haaren zusammenwirken. Du wirst viele Verehrer haben.

Ich erinnere mich noch daran, wie du mit fünfzehn nach einem Wochenende bei deinem Vater nach Hause kommen und fassungslos sein wirst, weil er dich endlos über den Jungen ausgefragt hat, mit dem du gerade gehst. Du wirst dich auf das Sofa fläzen und mir von den jüngsten Verstößen deines Vaters gegen den gesunden Menschenverstand berichten: »Weißt du, was er gesagt hat? Er meinte: ›Ich weiß, was in halbstarken Jungs vorgeht.‹« Du wirst mit den Augen rollen: »Als ob ich das nicht selbst wüsste!«

»Nimm ihm das nicht übel«, werde ich sagen. »Er ist dein Vater, da kann er nicht anders.« Da ich miterlebt habe, wie du mit deinen Freunden umgehst, mache ich mir keine Sorgen, einer von ihnen könnte zu weit gehen. Wenn überhaupt, dann scheint mir das Gegenteil wahrscheinlicher. Darüber werde ich mir Sorgen machen.

»Ihm wäre es am liebsten, ich wäre immer noch ein Kind. Er hat keinen Schimmer, wie er sich mir gegenüber verhalten soll, seit ich Brüste habe.«

»Na ja, das war ein ziemlicher Schock für ihn. Gib ihm Zeit, sich davon zu erholen.«

»Das ist Jahre her, Mom. Wie lange soll das noch dauern?«

»Ich werde dir Bescheid sagen, sobald mein Vater sich an meine Brüste gewöhnt hat.«

Bei einer Videokonferenz der Linguisten stellte Cisnero vom Spiegelteam in Massachusetts eine interessante Frage: Gab es eine bestimmte Reihenfolge, in der die Semagramme in einem Satz in Heptapod B geschrieben wurden? Wir wussten bereits, dass die Wortreihenfolge beim gesprochenen Heptapod A so gut wie keine Rolle spielte. Wenn wir von einem Heptapoden verlangten, einen Satz zu wiederholen, war es sehr wahrscheinlich, dass er die Worte anders anordnete, es sei denn, wir baten ihn ausdrücklich darum, das nicht zu tun. War die Reihenfolge beim Schreiben von Heptapod B ebenso unwichtig?

Bisher hatten wir uns nur darauf konzentriert, wie ein Satz in Heptapod B aussah, wenn er fertig war. Soweit wir feststellen konnten, gab es beim Lesen der Semagramme in einem Satz keine bevorzugte Richtung. Man konnte beinahe überall in dem Bündel beginnen und den sich verzweigenden Gliedern folgen, bis man das ganze Ding gelesen hatte. Das galt für das Lesen, aber traf das auch auf das Schreiben zu?

Während meines letzten Treffens mit Haspel und Himbeere hatte ich die beiden gebeten, uns die Semagramme nicht erst zu zeigen, wenn sie fertig waren, sondern uns aufzeichnen zu lassen, wie sie die Semagramme schrieben. Das taten sie. Ich schob die Videokassette in den Rekorder und verglich die Aufzeichnung mit meinen Protokollen der Sitzung.

Ich nahm mir eine längere Äußerung der Unterhaltung vor. Haspel hatte erklärt, der Heimatplanet der Heptapoden habe zwei Monde, einer davon deutlich größer als der andere, die drei häufigsten Elemente in der Atmosphäre des Planeten seien Stickstoff, Argon und Sauerstoff, und 15/28stel der Planetenoberfläche seien von Wasser bedeckt. Die wörtliche Übersetzung der ersten Worte dieser Äußerung lautete »Ungleichheit-der-Größe Fels-Satellit Fels-Satelliten Verhältnis-zueinander-wie-Erst-zu-Zweit«.

Dann spulte ich das Video zurück, bis die Zeitsignatur mit der der Transkription übereinstimmte. Ich begann das Band abzuspielen und sah zu, wie sich das Gefüge der Semagramme wie ein Tintennetz aus Spinnenseide ausbreitete. Einige Male spulte ich das Band zurück und ließ es laufen. Schließlich drückte ich auf Pause, genau in dem Moment, als der erste Strich fertig war und bevor der zweite begonnen wurde. Nun war auf dem Bildschirm lediglich eine gewundene Linie zu sehen.

Als ich diesen ersten Strich mit dem ganzen Satz verglich, wurde mir klar, dass dieser Strich sich über mehrere verschiedene Teile des Satzes erstreckte. Er begann im Semagramm für »Sauerstoff«, und zwar als der Faktor, der es von anderen Elementen unterschied, führte dann abwärts, um ein Morphem des Vergleiches in der Beschreibung der Größe der beiden Monde zu bilden, und endete schließlich als geschwungener Hauptstrich des Semagramms für »Ozean«. Und doch war dieser Strich eine einzige fortlaufende Linie und die erste, die Haspel gezeichnet hatte. Bevor der Heptapod den allerersten Strich ausführte, musste er also wissen, wie der ganze Satz lauten würde.