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Als Ethan damit fertig war, die Namen auf seiner Liste durchzugehen, blieb nur noch einer übrig: JANICE REILLY.

Neil hatte sich so weit im Griff, um seine Trauer in der Öffentlichkeit hinter einer Maske zu verbergen, doch in der Abgeschiedenheit seiner Wohnung konnte er die Flut seiner Tränen nicht immer zurückhalten. Wenn ihn der Schmerz darüber überwältigte, dass Sarah nicht mehr bei ihm war, kauerte er sich auf den Boden und weinte. Er krümmte sich dann wie ein Fötus zusammen, sein Körper wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt, Tränen und Rotz rannen ihm über das Gesicht, Welle um Welle wuchs seine Seelenqual, bis er sie nicht mehr ertragen konnte, bis sie schlimmer wurde, als er sich vorzustellen vermochte. Später, nach Minuten oder Stunden, war es vorbei und er schlief erschöpft ein. Am nächsten Morgen wachte er auf und hatte einen weiteren Tag ohne Sarah durchzustehen.

Eine ältere Frau in Neils Mietshaus versuchte ihn zu trösten, indem sie ihm versicherte, dass der Schmerz mit der Zeit nachlassen und er, auch wenn er seine Frau nicht vergessen könnte, zumindest darüber hinwegkommen würde. Neil würde eine andere Frau kennenlernen und mit ihr glücklich werden, und er würde lernen, Gott zu lieben, und in den Himmel aufsteigen, wenn seine Zeit gekommen sei.

Neil war nicht in der Lage, in den Worten dieser Frau Trost zu finden, auch wenn sie in bester Absicht gesprochen waren. Sarahs Abwesenheit war wie eine offene Wunde, und dass er den Schmerz ihres Verlustes eines Tages überwinden würde, schien ihm nicht nur unwahrscheinlich, sondern geradezu körperlich unmöglich. Wenn Selbstmord ein Weg gewesen wäre, seine Pein zu beenden, hätte er sich ihm ohne zu zögern hingegeben, doch das hätte nur zur Folge gehabt, dass er auf ewig von Sarah getrennt bleiben würde.

Bei den Selbsthilfegruppen wurde immer wieder über Selbstmord gesprochen, was unweigerlich dazu führte, dass jemand Robin Pearson erwähnte, eine Frau, die einige Monate, bevor Neil zur Gruppe gestoßen war, an den Treffen teilgenommen hatte. Robins Ehemann hatte durch die Erscheinung des Engels Makatiel Magenkrebs bekommen. Tagelang war sie im Krankenhaus an seiner Seite geblieben, bis er plötzlich unerwartet verschied, als sie sich gerade zu Hause um die Wäsche kümmerte. Eine Krankenschwester hatte Robin erzählt, die Seele ihres Mannes sei in den Himmel aufgestiegen, und Robin begann, die Treffen der Selbsthilfegruppe zu besuchen.

Monate später war Robin aufgebracht vor Zorn zu einem Treffen gekommen. In der Nähe ihres Hauses hatte es eine Höllenerscheinung gegeben, und sie hatte ihren Gatten unter den verlorenen Seelen erkannt. Sie stellte die Krankenschwester zur Rede, und diese gab zu, gelogen zu haben, in der Hoffnung, Robin würde dadurch ihre Liebe zu Gott entdecken und so wenigstens selbst erlöst werden. Zum nächsten Treffen war Robin nicht erschienen, und bei dem darauffolgenden Treffen hatte die Gruppe erfahren, dass Robin sich umgebracht hatte, um wieder bei ihrem Mann zu sein.

Niemand konnte sagen, wie es Robin und ihrem Mann im Nachleben erging, aber sie wussten, dass Paare durch Selbstmord tatsächlich wieder glücklich vereint wurden. Einige der Gruppenteilnehmer hatten Partner, die in die Hölle gekommen waren, und diese Teilnehmer erzählten davon, dass sie hin und her gerissen waren zwischen dem Wunsch, am Leben zu bleiben, und der Sehnsucht, wieder bei ihren Partnern zu sein. Auch wenn es Neil nicht so erging, überkam ihn Neid, wenn er diesen Berichten zuhörte. Wäre Sarah in die Hölle gekommen, würde Selbstmord die Lösung all seiner Probleme darstellen.

Für Neil führte das zu einer beschämenden Selbsterkenntnis. Vor die Wahl gestellt, alleine in der Hölle zu sein und Sarah im Himmel zu wissen, oder mit ihr gemeinsam in die Hölle zu kommen, würde er sich für Letzteres entscheiden. Er könnte es leichter ertragen, sie von Gott getrennt zu wissen als von ihm selbst. Ihm war klar, wie egoistisch das war, aber ändern konnte er seine Haltung nicht. Er war überzeugt davon, dass Sarah sowohl im Himmel als auch in der Hölle glücklich sein könnte, und wusste, dass er es selbst nur mit ihr zusammen wäre.

Neils frühere Erfahrungen mit Frauen waren nicht die besten. Zu oft hatte er in einer Bar angefangen, mit einer Frau zu flirten, und kaum stand er auf und sie sah sein verkürztes Bein, fiel ihr ein, dass sie anderswo zu einer Verabredung musste. Eine Frau hatte nach einigen Wochen die Beziehung beendet und erklärt, dass sein Bein sie selbst nicht störe. Aber wenn sie zusammen waren, gingen andere Leute automatisch davon aus, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung sei, und Neil würde sicherlich einsehen, wie unfair das ihr gegenüber war.

Sarah war die erste Frau gewesen, deren Einstellung sich kein bisschen geändert hatte, deren Ausdruck keine Spur von Mitleid, Schrecken oder Überraschung gezeigt hatte, als sie zum ersten Mal sein Bein sah. Alleine schon deshalb war vorhersehbar, dass sich Neil in sie verlieben würde, und als er im Lauf der Zeit andere Seiten ihres Charakters kennenlernte, war alles zu spät. Und da seine besten Eigenschaften zum Vorschein kamen, wenn er mit ihr zusammen war, verliebte sie sich auch ihn.

Neil reagierte erstaunt, als Sarah ihm sagte, dass sie fromm war. Viele Anzeichen für ihren Glauben gab es nicht. Wie Neil ging sie nicht in die Kirche, und wie er hegte sie eine Abneigung gegenüber den meisten, die es taten. Doch auf ihre eigene, stille Art und Weise war sie Gott für ihr Leben dankbar. Nie hatte sie versucht, Neil zu bekehren, denn sie war der Meinung, dass Glauben entweder von innen kam oder gar nicht. Für die beiden gab es kaum Anlässe, Gott zu erwähnen, und die meiste Zeit wäre es Neil ein Leichtes gewesen, sich auszumalen, dass Sarah die gleichen Ansichten über Gott hätte wie er.

Das heißt nicht, dass Sarahs Glaube gar keinen Einfluss auf Neil hatte. Ganz im Gegenteil – Sarah selbst war der bei Weitem überzeugendste Grund, Gott zu lieben, dem Neil je begegnet war. Wenn ihre Liebe zu Gott Sarah zu der Person gemacht hatte, die sie war, dann erschien es Neil sinnvoll, Gott zu lieben. In den Jahren, in denen Sarah und Neil verheiratet waren, wurde Neils Weltbild immer positiver, und es hätte sich, wenn sie zusammen alt geworden wären, wahrscheinlich so weiter entwickelt, bis er Gott dankbar gewesen wäre.

Diese Möglichkeit war durch Sarahs Tod zunichte gemacht worden, was aber nicht bedeuten musste, dass Neil Gott für immer undankbar blieb. Es hätte Neil daran erinnern können, dass niemand sich gewiss sein durfte, wie viele Jahrzehnte er oder sie noch vor sich hatte. Ihn hätte die Erkenntnis aufrütteln können, dass seine Seele, sofern er zusammen mit Sarah gestorben wäre, verloren gewesen wäre und sie beide für immer getrennt worden wären. Sarahs Tod hätte ein Warnruf für ihn sein können, der ihn dazu ermunterte, seine Liebe zu Gott zu finden, solange er dazu in der Lage war.

Stattdessen aber begann Neil Gott vorsätzlich zu hassen. Sarah war die größte Gnade seines Lebens gewesen, und Gott hatte sie ihm weggenommen. Sollte er Ihn nun dafür lieben? Das erschien Neil so, als würde ein Entführer als Gegenleistung dafür, seine Frau wieder freizulassen, von ihm Zuneigung erwarten. Vielleicht wäre es ihm eines Tages gelungen, Gehorsam gegenüber Gott aufzubringen, aber aufrichtige, von Herzen kommende Liebe? Das war ein Lösegeld, über das er nicht verfügte.

Für einige Besucher der Selbsthilfegruppe stellte dieses Paradox eine Herausforderung dar. Einer der Teilnehmer, ein Mann namens Phil Soames, wies ganz richtig darauf hin, dass man von vornherein zum Scheitern verurteilt war, wenn man davon als eine Bedingung dachte, die es zu erfüllen galt. Nicht als Mittel zum Zweck durfte man Gott lieben, sondern bedingungslos um Seiner selbst willen. Wenn der eigentliche Grund, Gott zu lieben, darin bestand, mit seinem Partner wiedervereint zu werden, dann bewies man keine wahrhaftige Frömmigkeit.

Eine Teilnehmerin der Gruppe namens Valerie Tommasino meinte, man solle es noch nicht einmal versuchen. Sie hatte ein Buch der Humanistischen Bewegung gelesen, deren Anhänger es für falsch hielten, einen Gott, der solches Leid verursachte, lieben zu wollen. Stattdessen traten die Autoren dafür ein, dass Menschen entsprechend ihrer eigenen moralischen Überlegungen handeln sollten, statt der Vorgabe von Zuckerbrot und Peitsche zu folgen. Wenn solche Leute starben, fuhren sie mit stolzem Trotz gegenüber Gott zur Hölle.