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»Das ist möglich«, sagte er. »Es ist aber auch möglich, dass jemand, der sich auf diese Gewissheit verlassen würde, sein älteres Ich nicht mehr lebend vorfindet, wenn er das Tor zum ersten Mal durchschreitet.«

»Aha«, sagte ich. »Dann begegnen also nur die Besonnenen ihrem älteren Ich.«

»Ich will Euch die Geschichte eines anderen Mannes erzählen, der durch das Tor gegangen ist, und Ihr selbst mögt entscheiden, ob er weise war oder nicht.« Bashaarat begann mir die Geschichte zu erzählen, und wenn es Eurer Majestät gefällt, will ich sie hier wiedergeben.

Die Geschichte des Webers, der sich selbst bestahl

Es war einmal ein junger Weber, der Ajib hieß und ein bescheidenes Leben als Teppichweber führte, sich jedoch danach sehnte, die Annehmlichkeiten der Reichen zu genießen. Nachdem er die Geschichte von Hassan gehört hatte, schritt Ajib ohne zu zögern durch das ›Tor der Jahre‹, um sein älteres Ich aufzusuchen, das, so war er sich sicher, genauso reich und selbstlos sein würde wie Hassan.

Als er das Kairo in zwanzig Jahren betrat, begab er sich in das vornehme Habbaniya-Viertel der Stadt und fragte die Leute nach dem Haus von Ajib ibn Taher. Er hatte vor, sich als gerade aus Damaskus eingetroffener Sohn von Ajib auszugeben, falls ihn jemand auf die Ähnlichkeit mit dem reichen Händler ansprechen sollte. Doch es ergab sich keine Gelegenheit, diese Geschichte zu erzählen, denn niemandem, den er fragte, sagte der Name etwas.

Schließlich beschloss er, in seine alte Nachbarschaft zurückzukehren, um sich umzuhören, ob dort jemand wusste, wohin er umgezogen war. Als er in seine alte Straße gelangte, hielt er einen Jungen an und fragte ihn, ob er wisse, wo er einen Mann mit Namen Ajib finden könne. Der Junge wies ihm den Weg zu seinem alten Haus.

»Dort hat er einmal gewohnt«, sagte Ajib. »Wo aber wohnt er heute?«

»Falls er seit gestern woandershin gezogen ist, weiß ich das nicht«, sagte der Junge.

Ajib konnte es nicht glauben. War es möglich, dass sein älteres Ich nach zwanzig Jahren immer noch im selben Haus wohnte? Das würde ja bedeuten, dass er niemals reich geworden war und ihm sein älteres Ich keinen Rat würde geben können, zumindest keinen, von dem Ajib profitieren würde. Wie war es möglich, dass sein Schicksal sich so sehr von dem des glücklichen Seilers unterschied? In der Hoffnung, dass sich der Junge irrte, wartete Ajib vor dem Haus und beobachtete es.

Nach einiger Zeit sah er, wie ein Mann aus dem Haus kam, und mit wachsendem Entsetzen erkannte er in ihm sein älteres Ich. Eine Frau, die wahrscheinlich seine Frau war, folgte dem älteren Ajib, doch der jüngere Ajib gab kaum Acht auf sie, denn alles, was er wahrnahm, war sein eigenes Scheitern. Bestürzt starrte er die einfachen Kleider an, die das alte Ehepaar trug, bis er sie nicht mehr sehen konnte.

Getrieben von jener Art Neugier, die so manchen dazu verleitet, sich die Köpfe von Hingerichteten anzusehen, wandte sich Ajib der Tür seines Hauses zu. Sein eigener Schlüssel passte noch immer in das Schloss, und so trat er ein. Die Einrichtung mochte nicht mehr dieselbe sein, doch sie war schlicht und abgenutzt, und Ajib schämte sich bei ihrem Anblick. Nach zwanzig Jahren konnte er sich immer noch keine besseren Kissen leisten?

Einer plötzlichen Regung folgend ging er zu einer Holzkiste, in der er für gewöhnlich seine Ersparnisse aufbewahrte, und sperrte sie auf. Er öffnete den Deckel und sah, dass die Kiste mit Golddinaren gefüllt war.

Ajib war bass erstaunt. Sein älteres Ich besaß eine Kiste voll Gold, und dennoch trug es so einfache Kleidung und lebte immer noch in demselben kleinen Haus wie vor zwanzig Jahren. Was musste sein älteres Ich für ein geiziger, freudloser Mensch sein, dachte Ajib bei sich, so reich zu sein und es nicht zu genießen! Ajib wusste schon seit Langem, dass man seinen Reichtum nicht mit ins Grab nehmen konnte. War es möglich, dass er dies vergessen hatte, als er älter wurde?

Ajib gelangte zu der Auffassung, dass dieser Reichtum jemandem gehören sollte, der ihn zu schätzen wusste, und das war er selbst. Die Ersparnisse seines älteren Ichs an sich zu nehmen, wäre kein Diebstahl, so redete er sich ein, denn er selbst wäre ja der Nutznießer des Diebstahls. Er wuchtete sich die Kiste auf die Schulter, und mit großer Mühe brachte er sie zurück durch das ›Tor der Jahre‹ in das Kairo, das er kannte.

Einen Teil seines neu gefundenen Reichtums hinterlegte er bei einem Bankier, trug aber immer eine schwere Börse mit Gold bei sich. Künftig trug er ein Damaszener Gewand und Schuhe aus Korduanleder und einen Chorasan-Turban, den ein Edelstein schmückte. Er mietete ein Haus im Viertel der Reichen, stattete es mit den feinsten Teppichen und Sitzmöbeln aus und stellte einen Koch an, der ihm opulente Gerichte zubereitete.

Schließlich suchte er den Bruder einer Frau auf, die er seit Langem aus der Ferne begehrte, einer Frau mit dem Namen Taahira. Ihr Bruder war ein Apotheker, und Taahira half ihm im Laden. Ajib kam ab und zu vorbei und kaufte ein Heilmittel, um einen Vorwand zu haben, mit ihr zu sprechen. Einmal hatte er gesehen, wie ihr Schleier zur Seite glitt, und ihre Augen waren dunkel und schön wie die einer Gazelle. Taahiras Bruder hätte einer Heirat mit einem einfachen Weber niemals zugestimmt, doch nun konnte Ajib sich als ausgezeichnete Partie präsentieren.

Taahiras Bruder erteilte seinen Segen, und Taahira selbst stimmte bereitwillig zu, denn auch sie begehrte Ajib. Ajib scheute keine Kosten für die Hochzeit. Er mietete einen der Lustprahme, die auf den Kanälen südlich der Stadt schwammen, veranstaltete ein Fest mit Musikanten und Tänzern und beschenkte Taahira mit einer wunderschönen Perlenkette. Im ganzen Viertel sprach man angeregt über diese Festlichkeiten.

Ajib schwelgte in der Freude, die ihm das Geld und Taahira bereiteten, und eine Woche lang verbrachten die beiden die schönste Zeit ihres Lebens. Eines Tages dann kam Ajib nach Hause und fand die Tür zu seinem Haus aufgebrochen und seinen Hausrat um alle Silber- und Goldgegenstände erleichtert. Der verängstigte Koch wagte sich aus seinem Versteck hervor und berichtete ihm, dass Räuber Taahira entführt hätten.

Ajib betete zu Allah, bis er erschöpft vor Sorge in den Schlaf sank. Am nächsten Morgen wurde er von einem Klopfen an der Tür geweckt. Ein Fremder sprach ihn an: »Ich habe eine Botschaft für dich.«

»Was für eine Botschaft?«, fragte Ajib.

»Deine Frau ist in Sicherheit.«

Ajib spürte, wie Angst und Wut in seinem Magen gleich schwarzer Galle schäumten. »Wie lautet die Lösegeldforderung?«, fragte er.

»Zehntausend Dinare.«

»Das ist mehr als alles, was ich besitze!«, rief Ajib aus.

»Feilsch nicht mit mir«, sagte der Räuber. »Ich habe gesehen, dass du Geld ausgibst, wie andere Wasser verschütten.«

Ajib sank auf die Knie. »Ich war verschwenderisch. Ich schwöre beim Namen des Propheten, dass ich nicht so viel Geld besitze«, sagte er.

Der Räuber musterte ihn eindringlich. »Trage alles Geld zusammen, das du hast«, sagte er, »und bringe es morgen zur gleichen Stunde hierher. Wenn ich den Eindruck habe, dass du uns etwas vorenthältst, wird deine Frau sterben. Wenn ich glaube, dass du ehrlich bist, werden meine Männer sie dir zurückbringen.«

Ajib sah keine andere Möglichkeit. »Einverstanden«, sagte er, und der Räuber ging davon.

Am nächsten Tag ging Ajib zu seinem Bankier und ließ sich von ihm alles noch vorhandene Geld aushändigen. Er gab es dem Räuber, der die Verzweiflung in Ajibs Augen sah und sich mit dem begnügte, was er bekommen hatte. Der Räuber hielt sein Wort, und am Abend wurde Taahira freigelassen.

Nachdem sie sich umarmt hatten, sagte Taahira: »Ich habe nicht geglaubt, dass du so viel Geld für mich bezahlen würdest.«