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»Was ist mit dem ›Tor der Jahre‹, das Ihr in Kairo hattet?«, fragte ich.

Er nickte. »Das steht noch. Mein Sohn führt den Laden dort für mich.«

»Ich könnte also nach Kairo reisen, dort das Portal benutzen, um in das zwanzig Jahre in der Vergangenheit liegende Kairo zu gelangen. Von dort könnte ich dann zurück nach Bagdad reisen.«

»Ja, diesen Weg könntet Ihr gehen, wenn Ihr es wünscht.«

»Von ganzem Herzen«, erwiderte ich. »Werdet Ihr mir den Weg zu Eurem Geschäft in Kairo weisen?«

»Zuerst müssen wir einige Dinge besprechen«, sagte Bashaarat. »Ich frage nicht nach Euren Beweggründen, sondern warte damit gerne, bis Ihr bereit seid, sie mir anzuvertrauen. Ich möchte Euch aber daran erinnern, dass Ihr das, was geschehen ist, nicht rückgängig machen könnt.«

»Das weiß ich«, sagte ich.

»Und Ihr könnt den Euch zugewiesenen Prüfungen nicht aus dem Weg gehen. Ihr müsst akzeptieren, was Allah Euch gegeben hat.«

»Dessen erinnere ich mich an jedem Tag meines Lebens.«

»Dann ist es mir eine Ehre, Euch, soweit ich es vermag, zu helfen«, sagte er.

Er legte sich etwas Papier, einen Stift und Tinte zurecht und begann zu schreiben. »Ich gebe Euch einen Brief mit, der Euch auf Eurer Reise hilfreich sein wird.« Er faltete den Brief, tropfte etwas Wachs auf den Rand und drückte seinen Ring hinein. »Gebt ihn meinem Sohn, wenn Ihr Kairo erreicht, und er wird Euch durch das ›Tor der Jahre‹ treten lassen.«

Ein Kaufmann wie ich musste wohlbewandert sein in der Kunst, seinem Dank Ausdruck zu verleihen, doch noch niemals zuvor habe ich jemandem so überschwänglich gedankt, wie ich nun Bashaarat dankte, und jedes meiner Worte kam von Herzen. Er erklärte mir den Weg zu seinem Geschäft in Kairo, und ich beteuerte, ihm alles zu erzählen, sobald ich zurückkehren würde. Ich war gerade dabei, seinen Laden zu verlassen, als mir etwas einfiel. »Das ›Tor der Jahre‹ hier führt in die Zukunft. Seid Ihr Euch denn sicher, dass dieser Laden in zwanzig Jahren und darüber hinaus noch vorhanden sein wird?«

»Ja, das wird er«, sagte Bashaarat.

Ich wollte ihn schon fragen, ob er seinem älteren Ich begegnet sei, hielt aber dann meine Worte zurück. Wäre seine Antwort nein gewesen, hätte das sicherlich bedeutet, dass sein älteres Ich bereits gestorben war, was mich zu der Frage geführt hätte, ob er wüsste, wann er sterben würde. Wer war ich, ihm so eine Frage zu stellen, wenn dieser Mann mir einen Gefallen tat, ohne meine Absichten wissen zu wollen? An seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er wusste, was für eine Frage mir auf der Zunge lag, und ich senkte in demütiger Entschuldigung das Haupt. Mit einem Nicken deutete er mir seine Vergebung an, und ich kehrte nach Hause zurück, um Vorbereitungen zu treffen.

Die Reise der Karavane nach Kairo würde zwei Monate dauern. Was mir in dieser Zeit durch den Kopf ging? Nun, ich erzähle Eurer Majestät jetzt, was ich Bashaarat verschwiegen habe. Zwanzig Jahre vor alledem war ich mit einer Frau namens Najya verheiratet gewesen. So anmutig, wie die Äste des Weidenbaumes sich wiegen, bewegte sie ihren Körper, und ihr Antlitz war so liebreizend wie der Mond, doch war es ihr freundliches und sanftes Wesen, mit dem sie mein Herz für sich einnahm. Wir hatten geheiratet, als ich gerade mit meiner Laufbahn als Kaufmann begonnen hatte, und so waren wir zwar nicht wohlhabend, doch fehlte es uns auch an nichts.

Erst ein Jahr lang waren wir Mann und Frau, als ich nach Basra reiste, um mich mit einem Schiffskapitän zu treffen. Er bot mir eine Gelegenheit, mit dem Handel von Sklaven reichlich Gewinn zu machen, doch Najya hieß mein Vorhaben nicht gut. Ich rief ihr ins Gedächtnis, dass der Koran den Besitz von Sklaven nicht verbot, solange man sie gut behandelte – ja, dass sogar der Prophet selbst Sklaven sein Eigen genannt hatte. Sie erwiderte jedoch, dass ich unmöglich wissen konnte, wie die künftigen Besitzer mit ihren Sklaven umgehen würden, und dass es besser sei, mit Waren statt mit Sklaven Handel zu treiben.

Am Morgen meiner Abreise stritten Najya und ich miteinander. Ich sprach ungehalten mit ihr, und ich bitte Eure Majestät um Vergebung dafür, dass ich mich meiner groben Worte von damals so sehr schäme, dass ich sie hier nicht wiedergeben mag. Zornerfüllt reiste ich ab – und sah sie nie wieder. Ein paar Tage, nachdem ich aufgebrochen war, wurde sie beim Einsturz der Mauer einer Moschee schwer verletzt. Man brachte sie in das Bimaristan, doch die Ärzte dort konnten nichts für sie tun, und so verstarb sie bald darauf. Erst eine Woche später, bei meiner Rückkehr, erfuhr ich von ihrem Hinscheiden, und mir war, als hätte ich sie mit meinen eigenen Händen umgebracht.

Können die Qualen der Hölle schlimmer sein als das, was ich in den folgenden Tagen durchlitten habe? Fast schien es, als würde ich das bald herausfinden, so nahe brachte mich meine Seelenpein dem Tod. Diese Erfahrungen gleichen sich gewiss sehr, denn wie das Höllenfeuer brennt auch die Trauer, ohne zu verzehren; stattdessen macht sie das Herz nur noch verletzlicher für weiteres Leid.

Die Zeit meiner Trauer verging schließlich und ließ mich innerlich leer zurück, ein Hautsack ohne Eingeweide. Die Sklaven, die ich gekauft hatte, entließ ich in die Freiheit und wandte mich dem Handel mit Stoffen zu. Im Laufe der Jahre kam ich zu Wohlstand, heiratete aber nicht wieder. Einige der Männer, mit denen ich Geschäfte machte, versuchten mich mit ihren Töchtern oder Schwestern zu verkuppeln, und erklärten, die Liebe einer Gattin ließe einen den Schmerz der Vergangenheit vergessen. Vielleicht hatten sie recht damit, aber den Schmerz, den man anderen zugefügt hat, kann nichts vergessen machen. Wann immer ich mir vorstellte, mich wieder mit einer Frau zu vermählen, erinnerte ich mich des verletzten Ausdrucks in Najyas Augen, als ich sie zuletzt gesehen hatte, und mein Herz verschloss sich gegenüber allen anderen Frauen.

Ich sprach mit einem Mullah über meine Taten, und er war es, der mit sagte, dass Reue und Sühne die Vergangenheit auslöschen könnten. Ich bereute und tat Buße nach bestem Wissen und Gewissen; zwanzig Jahre führte ich das Leben eines aufrechten Mannes, betete und fastete, spendete den Unglückseligen Almosen und pilgerte nach Mekka, und dennoch wurde ich von Schuldgefühlen heimgesucht. Da Allahs Barmherzigkeit keine Grenzen kennt, musste der Grund dafür bei mir liegen.

Hätte mich Bashaarat gefragt, was ich mir erhoffte, hätte ich ihm keine Antwort geben können. Die Geschichten, die er erzählte, legten unmissverständlich dar, dass ich nicht würde ändern können, was, wie ich wusste, geschehen war. Niemand hatte mein jüngeres Ich davon abgehalten, sich bei unserem letzten Gespräch mit Najya zu streiten. Doch die Geschichte von Raniya, die sich in der Geschichte vom Leben Hassans verbarg, ohne dass er davon wusste, beflügelte mich mit vager Hoffnung: Vielleicht würde ich in die Geschehnisse eingreifen können, während mein jüngeres Ich unterwegs war, um Handel zu treiben.

War es nicht möglich, dass jemand einen Fehler begangen und meine Najya überlebt hatte? Vielleicht war es der Leichnam einer anderen Frau gewesen, den man während meiner Abwesenheit in ein Leichentuch gewickelt und begraben hatte. Vielleicht konnte ich Najya retten und in das Bagdad meiner eigenen Zeit mitnehmen. Mir war klar, dass ich mich töricht verhielt. Weise Männer sagen: »Vier Dinge gibt es, die nicht wiederkehren: das gesprochene Wort, der verschossene Pfeil, das vergangene Leben und die verschmähte Gelegenheit«, und niemand begreift besser als ich, wie wahr diese Worte sind. Dennoch wagte ich zu hoffen, dass Allah meine zwanzigjährige Reue und Buße für hinreichend erachtete, um mir die Gelegenheit zu gewähren, das wiederzuerlangen, was ich verloren hatte.