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Sie hatten sich über die Stockwerke verteilt, Ratschläge gegeben, der helle Teppich zeigte die ersten Spuren von Nässe, ein Fleck breitete sich aus, wo Anthony seinen Regenschirm abgestellt hatte. In Isabelles Arbeitszimmer stand die Kommode, ein Sekretär und ein runder Tisch als Zeichentisch. Im Zimmer daneben ein Sofa, zwei kleine Sessel, die Polster schwarz-weiß gestreift, ein weiteres Tischchen. Ins erste Stockwerk kam der große Eßtisch mit sechs Stühlen und ein Bücherschrank mit verglasten Türen, ein Geschirrschrank. In den zweiten Stock wurde das Ehebett getragen und der Schrank mit dem Kratzer. — Wow, sagte Paul, und so wollt ihr wohnen? Er hielt einen quadratischen Spiegel in einem schmalen, schwarzen Rahmen, stellte ihn vorsichtig im Flur ab.

Schließlich standen alle Möbel an ihrem Platz, auch das Geschirr hatte er eingeräumt, die Waschmaschine war angeschlossen, er aß, wie zur Probe, im Eßzimmer, mit einem Glas vor sich, einer Flasche Wein, einem Schälchen Reiscracker. Sie zerkrachten zwischen seinen Zähnen, sonst war es still. Nachts war er manchmal so unruhig, daß er aufstehen mußte, ans Fenster treten, die nasse Februarluft tief ein- und ausatmen. Katzen überquerten die Straße, einmal trabte über den Bürgersteig ein weißer Fuchs, sprang auf eine Mauer, verschwand. Am Abend vor Isabelles Ankunft sah Jakob das kleine Mädchen mit der roten Mütze neben einem Halbwüchsigen in der Kentish Town Road, eine Tüte Pommes in der Hand. Als er in die Lady Margaret Road einbog, wäre er fast mit jemandem zusammengestoßen, dessen heller Anorak so plötzlich auftauchte wie ein Blitzlicht, Jakob schloß die Augen, der Mann zischte etwas, so haßerfüllt, daß Jakob erschrak. Die Platanen waren noch immer kahl, aber die Kirschbäume und Tulpen blühten schon. — Morgen also kommt Ihre junge Frau, hatte Maude gesagt, er fand den Ausdruck übertrieben und ein bißchen kitschig, und er dachte, daß er fast ebenso ungeduldig auf Benthams wie auf Isabelles Ankunft wartete.

— Sie fährt morgen zu ihrem Mann nach London, hatte die Sekretärin Sonja mittags einem Kunden telefonisch Auskunft gegeben. Aber es ist die richtige Entscheidung, dachte Isabelle. Sie würde, wenn sie in ein paar Wochen nach Berlin zu Besuch kam, alles vorfinden, wie sie es verlassen hatte, das Büro ebenso wie die Wohnung, kein Grund, sich zu sorgen, auch wenn aus heiterem Himmel ihre Mutter noch einmal anrief, ob es nicht gefährlich sei in London, da der Krieg mit dem Irak jederzeit ausbrechen konnte, und Andras, unfreiwillig Zeuge des Gesprächs, verzog angewidert das Gesicht, als er Isabelles beschwichtigende Sätze hörte. — Mein Gott, du fährst ja nicht nach Bagdad. Sie packte den Laptop ein, Peter hatte ihr die Londoner Einwahlnummer herausgesucht, er feilte noch an der Website, — sieht nach nix aus, murmelte er, und Isabelle versprach, ein Foto ihres Arbeitszimmers zu schicken, sobald sie angekommen war. — Es steht voller Biedermeiermöbel, Andras grinste. Bevor man abreiste, kam es immer zu kleinen Gemeinheiten. — Wir werden immer weniger, sagte Peter. Sonja sah ihn an, verzog das Gesicht und beugte sich wieder über ihre Zeitung. Krieg kaum noch abzuwenden, war der Artikel überschrieben. Aufmarsch der Soldaten. Panzer, Waffengeschäfte, verstärkte Sicherheitskontrollen, Warnstufe Orange in Washington. Isabelle räumte ihre Schreibtischschubladen leer, fand ein Foto von Hanna, schwarzweiß, ihr Gesicht schon abgezehrt, wie die Ansicht einer Ortschaft, fuhr es Isabelle durch den Kopf, die Kanten der Häuser unrealistisch scharf abgehoben gegen einen dunkleren Hintergrund. Dann die Fotos, die Alexa von ihr gemacht hatte, sie hatte den Karton nach dem Umzug in die Wartburgstraße ins Büro mitgenommen. Isabelle lehnte sich zur Seite, damit Andras, der sie aufmerksam beobachtete, die Bilder nicht sehen konnte. Abgeschnitten oberhalb des Munds, die rote Frotteewäsche, der Bauch wölbte sich ein bißchen vor, sie hatte die Schenkel leicht gespreizt, und es erregte sie zu sehen, wie obszön die Fotos waren. — Was ist das? fragte Andras, Kinderporno? Sie mußte lachen, als sie sein Gesicht sah, boshaft, bekümmert. Wann soll ich dich morgen abholen? fragte er.

Zu Hause war beinahe nichts mehr zu tun. Im Flur standen drei große Koffer, der Kühlschrank war leer, auf dem weißgekachelten Boden lagen Krümel, nach ihrer Abreise würde die Putzfrau alles saubermachen, den Schlüssel ins Büro schicken, ein adressierter, gefütterter und frankierter Umschlag lag schon bereit. Das Telefon klingelte, fast kam es Isabelle unpassend vor zu antworten, es war Ginka, das Telefon klingelte wieder, es war Alexa, und dann rief Hans an, um noch einmal zu fragen, wie oft er nach der Post schauen solle. Sie trank eine halbe Flasche Rotwein und wünschte, Jakob käme, sie abzuholen.

Dann war es schon Morgen, Andras’ Klingeln weckte sie, er stieg die Treppen hinauf, mit Frühstückstüten in der Hand, mürrisch, abwartend. Isabelle verschwand im Bad. Er setzte ein Kännchen Espresso auf, zog aus den Küchenschränken Tassen, Teller. Der Kühlschrank war leer bis auf ein Glas mit Kapern. Abschiede blieben hier immer beiläufig. Er dachte an die Küsse seiner Budapester Verwandten, an das anschwellende Getöse bei jedem Weggehen, das sich als Abschied auslegen ließ, die unzähligen Personen, die eine Prozession bildeten auf dem Weg zum Flughafen oder zum Bahnhof und sogar zur Haustür, falls er das Haus nur verließ, um mit jemandem zu Abend zu essen. — Bei euch, so seine Mutter, stehlen sich selbst die Toten unauffällig davon. Ihr traten Tränen in die Augen, wenn sie an Onkel Janos und Tante Sofi dachte, an deren Sterbebett und Beerdigung, von denen es keine Fotos gab, Briefe gab es nicht, keine Liste derer, die Blumen geschickt hatten, nicht die Spur eines letzten Winkens in der Luft. Er wollte nicht, daß Isabelle ging. Er wollte, daß sie begriff, was Abschied bedeutete, Abschied von ihm, der vielleicht doch nach Budapest zurückkehren würde. Als sie aus dem Bad kam, trafen sich ihre Blicke. Etwas war anders. Nur im ersten Moment fürchtete er, sie verärgert zu haben, dann zuckte eine absurde Hoffnung in ihm auf, ein ängstlicher, glücklicher Herzstillstand. Aber nein.

Sie würde nicht bleiben. Und in ihre Augen trat etwas Unfreundliches, Angespanntes.

Als Isabelle die Sicherheitskontrollen passiert hatte, trat Andras in den kalten Februarwind und blieb dort stehen, bis ein Busfahrer, ein älterer Mann mit einem Schnauzbart, fragte, ob er helfen könne. Andras nickte lächelnd, dann verneinte er höflich und stieg in den nächsten Bus.

Im Büro fand er eine Notiz von Sonja, daß Magda angerufen habe. Er ging zum Abendessen zu ihr und blieb. Als er, es war sechs Uhr morgens, leise aufstand, um sie nicht zu wecken, und durch die Dunkelheit lief, wußte er, was er in Isabelles Gesicht gesehen hatte, und er duckte sich gegen den Wind und Regen, duckte sich, weil er die Entschlossenheit in ihren Augen, eine unerbittliche Ziellosigkeit, nicht ertrug. Sie war schon in London.