Выбрать главу

19

Das Flugzeug setzte sanft auf, die Asphaltbahn schoß unter den Rädern dahin, und dann, als alles vorbei schien, geriet plötzlich die Maschine ins Schlingern, ein scharfer Ruck nach rechts ließ Passagiere überrascht aufstöhnen, Reisende, die in Gedanken schon Koffer vom Gepäckband geholt hatten, dem Ausgang zugeeilt waren, ihren Angehörigen und Freunden entgegen, nicht mehr Passagiere, sondern Angekommene, die das Flughafengebäude hinter sich ließen und sofort vergaßen, ihre vagen Ängste vergaßen und daß die Sicherheitslage prekär war. Terroristen, flüsterte irgend jemand, und ein zweiter, ein dritter griff es auf, ein Passagier schrie, kurz und schmerzlich, die Stewardessen in ihren Gurten bewegten sich hin und her, schaukelten, gaben unverständliche Zeichen. Noch immer schlingerte das Flugzeug, brach nach rechts aus, brace, brace!, wies eine Lautsprecherstimme aufgeregt an, doch Isabelle reckte sich zum Bullauge, sah ein Feuerwehrauto, ein zweites, sie war nicht sicher, ob das Dröhnen der Motoren lauter geworden war. Wieder aus dem Lautsprecher ein Ruf, unverständlich diesmal, gefolgt von einem Knattern, eine Stewardeß sprang auf, griff nach dem Mikrophon, aber obwohl ihr Mund, nur eine Sitzreihe vor Isabelle, sich deutlich bewegte, hörte man nichts, und in der Angst war etwas Jähes, Aufpeitschendes. Sie gestikulierte, die Stewardeß gestikulierte zu Isabelle, die noch immer aufgereckt dasaß, endlich den Kopf gehorsam senkte, mit einem Triumphgefühl, das die Angst übertrumpfte. Endlich kam aus dem Lautsprecher eine Stimme, — hier spricht der Kapitän, Schaum, dachte Isabelle, sie könnten die Landebahn mit Schaum präparieren. Nicht der geringste Anlaß zur Beunruhigung, lediglich ein Problem mit den Reifen, bitte angeschnallt bleiben, wir haben gleich die Parkposition erreicht. Aber etwas rauchte, sah Isabelle. Die anderen Passagiere schienen aufzuatmen, einige richteten sich wieder auf, fingen an zu reden, lachten. Noch immer rollte das Flugzeug, sackte ein, dann brach es nach rechts in sich zusammen, so langsam allerdings, daß es nur noch wenige Meter über den Asphalt schrammte, der Flügel vielleicht verletzt, es beschrieb einen Bogen, eine Wunde hinterlassend, Isabelle klammerte sich an die Lehne, Jakob, dachte sie, er wartete, wußte nicht, was ihr geschah. Endlich stand die Maschine still, auf einen Flügel gestützt und schief, so daß die Passagiere, verrenkten Gliederpuppen ähnlich, in den Gurten nach rechts überlappten. Sie würden, teilte die Stewardeß ihnen mit, über die Rutsche evakuiert, eine Sicherheitsmaßnahme, falls Explosionsgefahr bestehe, was aber so gut wie ausgeschlossen sei, und dann zerbrach etwas, die Selbstbeherrschung der Passagiere, die lostorkelten und zu dem Notausgang drängten, vor dem jetzt ein Mann stand, winkte. Isabelle war eine der letzten, die fürsorglich auf die orange Rutsche gesetzt wurden, sie glitt hinunter, genoß es fast, als wäre das nun tatsächlich ihre Ankunft in London. Obwohl sie ein College in Südlondon besucht hatte, kannte sie von der Stadt kaum mehr als das Studentenwohnheim, in dem sie ein Zimmer nehmen mußte, enge Flure voller Kakerlaken, verdreckte Waschbecken und stinkende Klos. Ein Geruch, der einem den Atem nahm. Sie hatte es Jakob ausgemalt, Zigaretten, altes Fett, verschimmelte Teppiche dort, wo durch die undichten Fenster Regenwasser ins Haus drang. Nachts zu siebt in eines der winzigen Zimmer gequetscht, Wodka, bis sie betrunken waren, auf den Teppich kotzten, zu spät zum Unterricht erschienen, was den Lehrern gleichgültig war, solange bezahlt wurde, solange sie zeichneten und irgendeine Mappe ablieferten.

Die Passagiere redeten jetzt aufgeregt, erleichtert durcheinander, drängten sich in die Busse, einige schimpften über die Verspätung, einige spotteten über die Ungeduld der anderen, im Bus ging eine Flasche Parfüm zu Bruch, gleich sollte auch das Gepäck ausgeladen werden, aber Isabelle wartete nicht, lief, plötzlich voller Sehnsucht, hinaus und in die Ankunftshalle. Da war Jakob. Etwas war durchgesikkert, irgendeine Aufgeregtheit, er umarmte sie heftig, ließ sie nicht mehr los. Dann standen sie ratlos da. — Dein Gepäck, sollen wir es nachschicken lassen, was ist überhaupt passiert, wie kommst du wieder zur Gepäckabholung hinein? Beladene Gepäckwagen, Kinder, eilige Flughafenangestellte, Geschäftsleute strebten vorbei, Familien langsamer und komplizierter als die anderen, mit Puppen, Kinderrucksäcken und Täschchen, die von den Gepäckwagen purzelten, Mütter mit Babys im Arm, und dann kam ein ganzer Sportverein in blauen Trikots und weißen Trainingshosen. An den Schultern drehte Jakob vorsichtig Isabelle zu sich und küßte sie. — Laß uns nach Hause gehen, bat sie. Sie spürte seine Hände, seinen Atem. Doch dann drehte er sich um, sprach auf einen Mann in Uniform ein, und Isabelle durfte zurück zu den Gepäckbändern, die ihre Koffer im Kreis transportierten, und mit den drei Koffern kam sie, ernüchtert, zurück.

— Wir gehen nach Hause, versicherte ihr Jakob und schob den Wagen. — Nach Hause, und dann in ein Pub, und zwischendurch können wir einen Spaziergang machen. Er hatte den ganzen Nachmittag frei, Maude hatte ihn weggeschickt, obwohl er sich verwahrte, denn am Nachmittag sollte Bentham in die Kanzlei kommen. — Der erste Tag mit Ihrer Frau! und Maude ließ sich nicht umstimmen. Sorgsam verstaute der Taxifahrer die Koffer. Zwar war der Himmel klar, die Sonne jedoch blaß, die Landschaft noch fad. Die Bäume kahl, nur ein leichter Schleier grün, nichts, was das Herz erwärmte. Isabelle suchte seine Hand. — Und Andras, war er sehr traurig? Der Übergang war schwieriger als gedacht, fand Jakob und war erleichtert, als sie die Vororte erreichten, Häuser, die den Blick nach draußen rechtfertigten, dann, in Golders Green, Läden und orthodoxe Juden mit schwarzen Hüten, Jakob zeigte auf ein kleines Mädchen, das einen riesigen Kinderwagen vor sich herschob, und schließlich weiter nach Süden, die Hügel von Hampstead Heath.

Er händigte, das Taxi war schon abgefahren, Isabelle die Schlüssel aus und trug die Koffer an die Tür. Das Schloß erwies sich als widerspenstig, Isabelle stocherte unlustig, zog heraus und schob hinein, preßte sich gegen den Türrahmen, drehte sich nach Jakob um. Sie hatte ihn vermißt, wußte sie plötzlich, er stand da und lächelte, bemerkte nicht einmal, wie lange sie an der Tür hantierte, strich sich durch das rotblonde Haar, das zerzaust war. Er hatte ihr gefehlt, es war etwas kaum Sichtbares und Neues, das sie empfand, und irgendwann, dachte sie, irgendwann würde sie wissen, was es bedeutete. Dann endlich glitt der Schlüssel an die genau richtige Stelle, und sie trat ein, die Tür für Jakob aufhaltend. — Wo ist mein Zimmer? Jakob stand, lächelnd, noch immer im Eingang, sah sie erwartungsvoll an.

Aber sie streckte nicht die Hand aus, zog ihn nicht an sich, suchte nicht das Bett, das irgendwo stehen mußte, ihr Ehebett. Ja, Andras war traurig gewesen; einen Moment spürte sie es so deutlich, als sei es ihre eigene Empfindung. Dann ein Riß. Entfernt.

Sie öffnete die Tür rechts, warf in ihr Arbeitszimmer einen Blick, lächelte, Blumen auf dem Tisch, das Ganze, dachte sie, wie man sich eine Pension wünscht, altmodisch, anheimelnd.

— Dein Reich, Jakob sagte es abwartend, distanziert. Oben Wohn- und Eßzimmer, die Küche. Wie eine telefonische Meldung, wiederholt. Deine Koffer trage ich gleich hinauf. Er war erleichtert, daß vor der Tür — Isabelle schaute aus dem Fenster — das kleine Mädchen nicht auftauchte, ein Bucklicht Männlein, unheimlich.

— Was sind das für Bäume?

— Platanen.

Noch kahl, fleckig die Stämme, die Zweige gestutzt. Ein Auto fuhr wie seitenverkehrt.

— Als führen sie ohne Fahrer, rief sie, gehen wir dann noch raus?

— Durch den Park, und wenn du willst, bis zur Themse.

— Ist das nicht zu weit?

— Nein, aber ein Stück können wir mit der U-Bahn fahren. Wir brauchen noch ein Paßfoto von dir, für den Ausweis, eine Monatskarte, damit du fahren kannst, soviel du willst.