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— Da bist du, erfreut erforschten Alistairs grüne Augen ihr Gesicht, während sie sich Jakob zuwandte, ihn küßte, nicht auf den Mund, da er eine ungeschickte Bewegung machte, um auf dem hohen Stuhl das Gleichgewicht zu halten, und seine rechte Hand streckte sich nach ihrer Schulter aus. Sie erwischte die Schläfe. — Wir sollten, verkündete Alistair, in das Konzert von John Adams, John Zorn und John Woolrich gehen. — Wo? fragte Jakob ohne Interesse. Alistair studierte das Programm, — es hat schon angefangen, sagte er dann, die beiden Männer schauten Isabelle an. — Mir gefällt es hier, sagte sie, aber sie war vage enttäuscht. Als sollte nie etwas passieren, dachte sie, und Jakob löste den Knoten seiner Krawatte, stand auf, um ihr einen Cider zu holen.

Als sie später in Charing Cross auf die Northern Line warteten, sah sie auf den Gleisen Mäuse, rennend, hinter den gewölbten Plakatwänden hervorrutschend, schwarze Mäuse, die grau wären, sagte sie zu Jakob, wenn man sie waschen würde, unruhig hielt sie nach dem Zug Ausschau. Aber den Mäusen würde nichts zustoßen, noch nie war ihnen etwas zugestoßen, dachte Jakob ungeduldig. Verstimmt stieg er in Kentish Town Station aus, er hatte versucht, sie zu küssen, und sie mußten, weil wieder die Rolltreppe kaputt war, alle einhundertfünfundsiebzig Stufen hinauflaufen. Oben, an der Glasscheibe zur Straße hin, hingen zwei Poster, eine Vermißtenanzeige und ein Aufruf an etwaige Zeugen eines Überfalls, der tödlich geendet hatte. — Aber das war ja gestern! rief Isabelle aus, während Jakob das Mädchen auf dem anderen Poster betrachtete, eine junge Frau, jünger als Isabelle, und doch, es berührte ihn merkwürdig, das zu sehen: die Gesichtszüge auf dem Foto ähnelten Isabelles, kein Zweifel. Vermißt, seit einem Jahr vermißt, las er, Mae Warren, sechsundzwanzig Jahre alt, ein Meter neunundsechzig groß, dunkelblonde Haare, keine besonderen Kennzeichen. Er wandte den Kopf, um Isabelle, den Leberfleck auf ihrer Wange anzuschauen, aber sie war schon weiter, stand in der Tür, bereit hinauszugehen, trat dann auf die Straße und ging ein paar Schritte, so daß er sie nicht mehr sehen konnte.

Die kleinen, überflüssigen Dinge fehlen hier, dachte Isabelle, während sie abstaubte. Neben der kleinen Stereoanlage standen etwa zwanzig CDs, auf der Kommode eine Blumenvase und die Schale, in die Jakob das Haushaltsgeld legte. Auf dem Sims des Kamins, in den der Teppichboden hineinwuchs wie ein Bodenkriecher, hell unter der schwarzen Verkleidung aus Schmiedeeisen, standen zwei Kerzenleuchter. Ein schwacher Geruch nach Klebstoff hing immer noch im Zimmer, der Teppich war nicht lange vor ihrem Einzug verlegt worden. Auf ihrem Tisch stand der Laptop. Jedes Ding an seinem Platz. Der Kinderbuchverlag hatte sie gebeten, eine Visitenkarte zu entwerfen, sie war beinahe damit fertig. Setzte sich an den Tisch, prüfte noch einmal die Proportionen. Skizzierte einen zweiten Entwurf, ein rennendes Kind in einem kurzen Mantel. Sie dachte an Andras’ Zeichnungen aus Budapest, die kleinen Figuren rannten die Straßen entlang, an der Kreuzung stürzten sie in eine Grube oder explodierten. Ein Haus wurde vom Sturm abgedeckt, winkend standen in den Fenstern die Bewohner, und die Feuerwehr schien an der Straßenecke festgefroren, die Feuerwehrmänner wandten sich ab. Isabelle schrie auf, als in der Wohnung nebenan etwas gegen die Wand geschleudert wurde. Ein Stuhl? Ein Fernseher? Hysterisches Gelächter, eine Stimme, die immer lauter wurde, wie eine Sirene. Die Frau hatte Isabelle noch nie gehört. Entsetzt starrte sie die Wand an, die keinen Riß zeigte, sich nicht öffnete, und es wurde wieder still dahinter. Blieb still, während Isabelle angespannt dasaß, wartete. Rote Tusche, schwarze Tusche. Das Papier, dicke Bögen. Sie schob den Computer beiseite, schraubte die Gläschen auf, lauschte. Vielleicht war da eine dünne Stimme, sirrend, vielleicht war es auch ein anderes Geräusch, von draußen, weit weg, ein Flugzeug, ein kleines Flugzeug im Anflug auf was auch immer. Die Feuerwehr bog nicht um die Ecke, nichts geschah. Eine Tür schlug zu. Isabelle schaltete das Radio ein. Wüstensturm, in dem man keinen Meter weit sah, und so wurden die Spuren verwischt, embedded journalism, lautete das Schlagwort, aber man erfuhr doch nicht, was geschah, die Umfragen blieben stabil, Tony Blair würde ein getreuer Bündnispartner sein, was auch immer Deutschland und Frankreich sagen mochten. Sie sprang auf und lief zum Fenster, beugte sich vor, um zu sehen, wer das Nachbarhaus verließ: Eine Frau, ein Mann, ein Junge. Isabelle atmete laut, die Scheibe beschlug sofort, draußen bewegten sich drei Schemen, der Junge an der Jacke oder am Nacken gepackt und festgehalten, während die Frau, dünn, etwas abseits die Straße hinaufschaute, winkte, obwohl niemand sich näherte. Aber anscheinend wartete sie auf etwas. Isabelle wischte über die Scheibe, das Gesicht der Frau konnte sie nicht erkennen. Der Mann dagegen stand zu ihr gedreht, präsentierte sein verzerrtes Gesicht, brüllte den Jungen an. Der Junge, der ein Jackett, Teil einer Schuluniform, trug, reichte dem Mann bis ans Ohr. Er zeigte aufs Haus. Man sah dem Jungen an, daß er zu argumentieren versuchte, nach etwas hinter den Fenstern dort ausspähte. Isabelle stellte das Radio aus, lauschte, die Frau brüllte plötzlich, — Dave, laß das sofort! und Isabelle ging zur Wand, keiner beobachtete sie, keiner sah, was sie tat. Hinter dem Kamin preßte sie das Ohr an die Wand, überrascht von etwas, das wie ein Geräusch der Wand selbst klang, kaum ein Geräusch, eher eine Materie, die ihren eigenen Klang hatte, und sie löste sich scheu, preßte dann noch einmal ihr Gesicht an die kalte Fläche, und diesmal schien es eine Stimme, oder nur Ausdruck, flehentlich, an niemanden gerichtet.

Zum Fenster zurückgekehrt, sah sie, daß ein alter, grüner Ford hielt, mit laufendem Motor, die Frau stieg ein, ohne den Kopf noch einmal zu heben, hob bloß die Hände, als wollte sie etwas abwehren oder ihre Unschuld beteuern, während ihr Mann (wenn es ihr Mann war) den Jungen ein Stück weiter die Straße hinunterschubste, dann ebenfalls ins Auto einstieg, das im Schrittempo neben dem Jungen herfuhr, endlich beschleunigte. Sie schaute dem Auto, dem Jungen nach. Die Straße sah in dem gleichmäßigen Sonnenlicht endlos aus, vorne links konnte sie ein Stück der Kirche erkennen. Nebenan blieb es still, sie stand zwischen Fenster und Wand, vor dem Tisch, auf dem der Bildschirm ihres Computers schwarz wurde, bevor sich darauf Sternengewirr, der Mond zeigten.

Morgen war St. Patrick’s Day. Alistair hatte ihr gesagt, daß Jakob sie zum Essen einladen müsse, aber sie beide wußten nicht, warum, und was für ein Feiertag das war. Vielleicht fielen morgen die ersten Bomben. Vielleicht gab es die ersten Toten. Das Wetter war makellos.