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Über der Heizung bewegten sich schwarze Schatten, die junge Frau lief vor dem Fenster vorbei und suchte nach ihm, und wenn er sich konzentrierte, konnte er sie zwingen, sich umzudrehen und ihr Gesicht zu zeigen. Als er zu sich kam, war heller Mittag. Das Handy klingelte, brach ab, klingelte erneut, bis er endlich danach griff, ohne auf dem Display die Nummer zu kontrollieren. Es war Hishams Stimme. — Ich fragte mich, wo du geblieben bist. Die Stimme war ohne Spott. — Nichts mehr von dir gehört, seit Holloway, bist du zu Hause? — Geht dich einen Dreck an, sagte Jim, richtete sich auf. — Kein Problem, aber du klingst, als wärst du krank, bist du krank? fragte Hisham sanft. — Du verdammter Aufschneider, sagte Jim und legte auf.

Am Abend ging er hinaus, weil er Hunger hatte. Er lief hinunter bis zu Pang’s Garden. Der Alte hockte an einem grünen Tischchen und löffelte, mit dem Ellbogen fast den Bildschirm des laufenden Fernsehers berührend, seine Suppe, schlürfte, schluckte, während in der Küche zwei junge Frauen Töpfe schrubbten. Hinter dem Tresen standen drei Männer, hantierten, schwätzten, sie beachteten Jim nicht. Zwei Schwarze kamen herein, sahen zu ihm hin und tuschelten. Er lachte auf, bestellte noch eine Frühlingsrolle. Sie schmeckte bitter.

Als er schließlich hinaustrat, sah er auf der anderen Straßenseite die junge Frau davongehen, sie schaute zu ihm hin, aber es war zu dunkel, um ihr Gesicht zu erkennen. Er summte etwas, fast den Anfang eines Lieds, sie schaute immer noch in seine Richtung, doch dann ging sie weiter, und Jim konnte nicht pfeifen.

24

Letztlich war alle Aufregung ausgeblieben. Von den Straßen verschwanden die Demonstranten, der Krieg aus den Schlagzeilen. Die chemischen Waffen waren aus der Wüste verschwunden und vermutlich von vornherein inexistent gewesen. Der Krieg führte sich, ferngerückt, noch fort. Gerüchte wollten Saddam Hussein gefangen, tot, dann wieder unauffindbar wissen. Weil eine Lieferung fehlerhaft, die zweite unvollständig war, fuhr das Lieferauto von Hayes & Finch, Candle Manufacturers and Church Furnishers dreimal durch die Lady Margaret Road. Isabelle glaubte, Bienenwachs zu riechen, als die Tür sich öffnete, ein Mann braune Kartons in das Haus schräg gegenüber trug, obenauf eine dicke, überlange weiße Kerze. Dort also wohnte der Pfarrer. Die BBC-Stimmen sprachen die Namen Basra und Nassaryia geläufig aus, von pocket resistance war die Rede, dann wechselte das Vokabular.

Das Telefon klingelte, Isabelle nahm nicht ab, der Anrufbeantworter spielte ihre Ansage, dann ließ sich die lebhafte Stimme Alistairs hören. — Dein Mann hockt bei Bentham im Zimmer und angeblich bis spät, aber vielleicht gehen wir trotzdem aus? Zum ersten Mal war Isabelle nicht sicher, ob sie Lust dazu hatte, Pläne zu machen, jeder Wunsch schien in Erfüllung zu gehen, und doch fehlte etwas. Alexa war gekommen für vier Tage, hatte in Isabelles Arbeitszimmer geschlafen, sie hatten gemeinsam die Museen besucht und Tee getrunken, am besten hatten Isabelle die Watteau-Bilder in der Wallace-Collection gefallen, die Feste und Musikanten, auf eine schwer faßbare Weise heiter, und wie die Figuren dasaßen in Erwartung, warteten, ohne zu wissen, worauf. Am letzten Morgen begleitete sie Alexa nach Golder’s Green zum Flughafenbus, fuhr nach Hause, zog das Bett ab und stellte die Waschmaschine an. Die Tage paßten wie Handschuhe. Jakob fragte nicht mehr, ob sie sich langweile, ob sie einsam sei. Sie zeigte ihm ihre Entwürfe für das Kinderbuch, allerdings war die Geschichte nicht geglückt oder jedenfalls nicht die richtige Geschichte, erklärte sie, für das Mädchen und die Szenen, die sie zeichnete; sie mochte es, wenn er hinter ihrem Stuhl stand, aufmerksam, und ihre Zeichnungen lobte. Er bat sie, sich auszuziehen, die Vorhänge waren nicht zugezogen, er stellte sich vor sie, in seinem Anzug, und dann führte er sie an der Hand ins Schlafzimmer hinauf, sie schlief gerne mit ihm, ohne darüber aufgeregt zu sein. Wenn sie zu Hause aßen, was nicht oft geschah, erzählte er aus dem Büro, was sie schon von Alistair wußte, ein ebenso guter Beobachter war Jakob aber nicht. Einmal stritten sie, weil Jakob den großen Teller von Tante Fini zerbrach, einen weißen Teller mit einem Rand aus Rosen, ein großer, flacher Teller, der sich vielleicht wieder kleben ließ, kaputt war er trotzdem, und Isabelle fand, daß es ein Malheur war. Jakob wunderte sich über das Wort, er dachte, es sei nicht ernst gemeint, ein Malheur, doch war Isabelle wirklich aufgebracht über seine Achtlosigkeit. Eines Morgens, als sie im Cafe´ gesessen hatte, war sie von dem Mann angesprochen worden, den sie schon ein paarmal in der Lady Margaret Road gesehen hatte, Jim, ein gutaussehender Mann, jünger als sie, mit einem schmalen Gesicht und einem hübschen, etwas harten Mund. Er hatte sich, ohne zu fragen, zu ihr gesetzt und gefragt, wie sie heiße. — Ich wollte nur wissen, wie du heißt, falls wir uns noch einmal treffen, hatte er gesagt und war gleich wieder gegangen.

Sie mailte Peter die Entwürfe für den Prospekt einer privaten Kindermusikschule. — Bist Du schwanger? mailte er zurück, Du machst ja fast nur noch Kindersachen. Von Andras hatte sie seit ein paar Tagen nichts mehr gehört.

Sie tuschte dem Mädchen mit den langen Haaren einen roten Rock, als nebenan der Lärm wieder anfing, etwas gegen die Wand schlug, eine erregte Stimme laut wurde, und dann, ein paar Augenblicke später, während sie die grünen Strümpfe ausmalte, vollständige Stille. Vom Dach des gegenüberliegenden Hauses flatterte der Rauch, und vielleicht war es ein dünnes Weinen, was sie dann hörte. Vorsichtig legte sie die Feder beiseite und richtete sich leise auf. Sie scheute sich aufzustehen, als würde sie damit unterbrechen, was seinen Gang gehen mußte. Es war wieder still. In ihrer Wohnung klapperte eine Tür, das war der Wind, es zog selbst dann, wenn sie alle Fenster geschlossen hatte.

Drei Tage später traf sie Jim, als sie auf dem Weg nach Hampstead Heath war. Er stand vor der alten Feuerstation, die inzwischen eine Diskothek war, kanzelte einen Jungen ab, der ihn anzubetteln schien. Ohne zu fragen, wohin sie ginge, lief er neben ihr her, nahm sogar ihren Arm, kaufte in einem Kiosk eine Flasche Cola. Er trug ein weißes Hemd, Jeans. Im Park führte er sie in das Wäldchen nahe dem Lady’s Pond, nahm ihre Jacke, breitete sie auf einer Bank aus. Die Art, wie er sie ausfragte, war beinahe rüde. Er ließ sie aus der Flasche trinken, trank selbst. Dicht nebeneinander saßen sie, sein Gesicht war ihr zu nahe, er hatte lange Wimpern, er wußte, daß er gut aussah. Ein bißchen zu sehr wie eine Zigaretten-Reklame, dachte sie. Dann sprang er auf, zog sie an der Hand mit sich in ein Gebüsch nahe am Teich, schob die Zweige mit den noch zarten Blättern auseinander und zeigte ihr drei etwa fünfzigjährige Frauen, die sich nackt ins noch kalte Wasser vortasteten, kichernd, die zu dicken Arme um die schlaffen Brüste geschlungen, die plumpen Hintern nach hinten gestreckt. Er beobachtete Isabelle grinsend; sie konnte den Blick nicht abwenden. Sie spürte, wie er sie musterte. Einen Moment fürchtete sie, er würde ihr befehlen, sich auszuziehen. Es war erregend, und sie hatte Angst. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, stolperte, als er loslachte, aber dann drehte er sich um und ging zum Weg zurück, summend, die Hände in den Hosentaschen, ohne ihre Jacke oder die Colaflasche aufzuheben. Dort wartete er, sie fühlte sich, mit der Jacke überm Arm und der Flasche in der Hand, beschämt. Er stand im Halbschatten, verzog keine Miene, als wäre sie nicht mehr als ein heller Fleck. In seinen Augen lag etwas Kaltes, sie stolperte, der Boden war uneben, voller dicker Wurzeln und Schlaglöcher. Sie wußte, daß sie ihn nicht überreden könnte zu bleiben, und er ging wirklich, drehte sich nicht mehr nach ihr um, und als sie aus dem Wäldchen ins Freie gelangt war, sah sie ihn in einiger Entfernung weiter unten, am Rand des Parks, durch eine Horde Schüler gehen, die vor ihm zurückwich und den Weg freigab, nur einer sprach ihn an, und Jim nahm den schlaksigen Jungen mit, der in den Händen unruhig einen Pullover knetete. Es gab ihr einen Stich. Sie brachte die halbvolle Cola-Flasche zu einem Papierkorb. Aber sein Geruch, Jims Geruch, blieb und ließ sich nicht abschütteln.