Schamrot lief sie weiter, an kleinen Lädchen vorbei, an einem Cafe´, vor dem eine grüne Bank stand, an der großen Blindenanstalt vorbei, und da war die letzte Querstraße, die sie von Jakob trennte, da die große schmiedeeisern vergitterte Tür.
25
Jakob balancierte den Stapel aus Ordnern, Notizen, Kopien vorsichtig zu Benthams Zimmer, stieß mit der Schulter die Tür auf, und da saß Bentham, hinter dem Schreibtisch, richtete sich auf, maßvoll neugierig, in den Händen hielt er eine kleine Figur. — Sehen Sie sich das an, nein, legen Sie erst die Unterlagen irgendwo ab, er winkte ins Zimmer, — Sie müssen ihn anfassen, hier. Streckte die Figur Jakob hin, der ratlos dastand, balancierend, unsicher. — Hinter Ihnen, auf der Truhe ist noch Platz, und Jakob drehte sich um, das oberste Blatt löste sich, glitt in einer Kurve zu Boden. Die Holzfigur, ein Buddha, war warm und glatt, ohne sich in die Hand zu schmiegen, — ja, sagte Bentham, er paßt sich der Hand nicht an, man kann die Körperhaltung nur mit den Fingern nachvollziehen, Stück für Stück, ihre Strenge erschließt sich erst allmählich. Er nahm von Jakob die Figur entgegen. — Ich habe ihn von einer Bekannten aus Israel erhalten, das einzige, was sie von ihrem Vater geerbt hat, er war Direktor des Ostasien-Museums in Köln gewesen, hatte eine große Privatsammlung, die er gestiftet hat. Zum Glück in zweiter Ehe mit einer arischen Frau verheiratet, deswegen hat er überlebt, das heißt, er ist 1943 an gebrochenem Herzen gestorben. Sie, die Tochter, war schon in Israel. Ich habe für sie einen Restitutionsprozeß geführt — und verloren.
Bentham stellte den Buddha wieder auf seinen Schreibtisch, schaute Jakob an, winkte, als wäre noch jemand im Zimmer, dann stand er auf, ging zur Kommode und beugte sich über die Unterlagen. — Graf Helldorf, sagte er, ach so.
— Er war der Polizeipräsident, anscheinend hat er gegen riesige Bestechungssummen ein paar wohlhabenden Familien die Ausreise ermöglicht, referierte Jakob. Ein Mittelsmann hat für ihn den Kaufvertrag für die Treptower Villa unterschrieben, deswegen bin ich erst jetzt auf seinen Namen gestoßen. — Seit 1931 SA-Führer in Berlin-Brandenburg, nicht wahr? sagte Bentham. Was für eine unerfreuliche Person. Und hingerichtet, oder?
Jakob nickte. — Im August 1944, in Plötzensee, nach dem 20. Juli verhaftet. Deswegen ist das Ganze kompliziert, er gilt ja als Widerstandskämpfer und unbedenklich, dazu kommt eben der Mittelsmann. Es gibt einen Kaufvertrag mit einer angemessenen Summe, aber aus Briefen von Millers Vater geht hervor, daß der tatsächliche Kaufpreis nicht einmal ein Zehntel davon betrug. Nach dem Krieg haben die Erben des Mittelmanns das Haus bekommen, Krüger heißen sie. Der Mann hat wohl Jura studiert und sich eingebildet, er könne die Sache selbst in die Hand nehmen. Er sagt, die Unterlagen seien während des Kriegs vernichtet worden, und er argumentiert, daß die Villa von seinem Großvater in gutem Glauben erworben wurde. Mit anderen Worten, er hat keine Ahnung.
— Helldorf soll wirklich ein paar Leuten geholfen haben, sagte Bentham.
Und Miller, erzählte Jakob, war in Berlin gewesen, auf eigene Faust, in Berlin und in der Nähe des Sees Stechlin, wo die Familie ein Landhaus gehabt habe, und er war hämisch empfangen worden, da wie dort, in Treptow zudem konsterniert von dem verwahrlosten Zustand des Hauses, das inzwischen in Einzelwohnungen unterteilt war, im Erdgeschoß und Keller ein Laden für Computer- und Fantasy-Spiele. Er hatte Jakob die Kopie eines rücksichtslos auf deutsch verfaßten und unverschämten Briefs zugeschickt, von Krüger eben, der meinte, die Dinge allein und durch Einschüchterung erledigen zu können. Jetzt überlegte er wohl, einen Anwalt zu nehmen — Bult, den Anwalt, der um die Seehofer-Grundstücke in Erscheinung trat und den Pressesprecher für die Demonstranten, vielmehr Gegendemonstranten gegeben hatte.
— Seehofer-Grundstücke, fragte Bentham, fiel dort nicht der Israelvergleich? Was Israel den Palästinensern antäte, das täten die zurückkehrenden Juden den ansässigen Deutschen an?
Wieder nickte Jakob. — In Treptow hat Krüger zunächst mit Investitionsvorrang argumentiert, das ist angesichts des verwahrlosten Zustands des Hauses natürlich lächerlich. Ich nehme an, Bult wird ihn zurückpfeifen.
— Aber wissen Sie, sagte Bentham achselzuckend, am Ende wirkt der alte Grundsatz der Römer immer noch nach. Gutwillig ersessen, wie es bei ihnen heißt, und das in einem tausendjährigen Reich.
— Ich muß wohl hinfahren, sagte Jakob. Bentham betrachtete ihn. — So recht begeistert Sie der Gedanke nicht? Sie wollen bei uns bleiben? Dann halten Sie das Verfahren am Laufen. Bereiten Sie sich gründlich vor. Ist sowieso besser, lehrreich dazu.
Er bückte sich, suchte etwas in einer Schublade, schien Jakob zu vergessen. Maudes Klopfen erst ließ ihn den Kopf wieder heben, aber sie suchte Jakob. — Ihre Frau ist unten, sagte sie strahlend, als wäre diese Ankündigung ihr besonders lieb. — Ich habe ihr gesagt, daß Sie gleich herunterkommen, das letzte richtete sie streng an Bentham, der zustimmend nickte, noch einmal Jakob betrachtete. — Nur zu, sagte er, gehen Sie ein Stück spazieren. Das tut immer gut.
Isabelle stand im Eingang, das Treppengeländer mit der Hand umklammernd, ihre Unruhe war Jakob nicht angenehm, er lotste sie hinaus, faßte sie fest um die Taille. Auf der Straße küßte er sie erst, sah ihre weiche, angenehme Haut, den Leberfleck, der ein Eigenleben zu haben schien, wie ein Tierchen, anschmiegsam und darauf gefaßt, jederzeit in einer Erdhöhle zu verschwinden. — Isabelle, sagte Jakob. Sie schaute zu ihm auf, lächelte verlegen, — ich wollte dich nicht stören, es war so ein merkwürdiger Vormittag.
— Aber du störst nicht.
— Ich meine, in dein Büro kommen, unangemeldet, antwortete sie. Es ist nur wegen gestern, ich habe mich um dich gesorgt.
— Um mich? Aber warum um mich?
— Jakob? sagte sie, gehen wir nach Hause?
Er hörte, wie ihre Stimme klang, unscheinbar, hell. Gehen wir nach Hause? Er spürte, daß sein Körper reagierte, schneller als sein Verstand. Sie wollte nach Hause, sie wollte mit ihm ins Bett gehen; er wußte, daß sie recht hatte, wie leicht es war, zu tun, was sie sagte, etwas, das den Eindruck von Bedrohung und Niederlage verschwinden ließ, den er nur vergessen hatte, weil er mit Bentham sprechen sollte. So leicht, dachte er, miteinander zu schlafen, selbst ohne Begehren oder Leidenschaft, zärtlich, weil sie verheiratet waren, weil es ihre Liebe war und sie gemeinsam lachen könnten über die Beschämung, die er vergessen wollte. — Es war nichts, nur ein paar Idioten, sagte er vage. Sie nickte zögernd. — Schau, laß uns heute abend essen gehen. Ich muß noch ein paar Sachen erledigen. Oder hast du Angst, alleine?