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Es war Magda, die ihn verließ, einstweilen, sagte sie, für eine gewisse Zeit vielleicht nur, um einen unerfreulicheren Abschied zu vermeiden, der sicher käme, wenn man zu lange ausharre und nicht mehr genau wisse, was man erwarte, was man erhoffe. An der Erwartung scheitern wir also, dachte Andras und wunderte sich, daß die kleine, erste Bitterkeit rasch verschwand. Häufiger noch als sonst lief er durch die Stadt, unaufmerksam und in Kreisen, passierte wieder und wieder die gleichen Straßen und Plätze, fand sich nur manchmal weit draußen, in Weißensee, in Marzahn, da, wo Richtung Nordosten die Plattenbauten ausfransten, in Felder übergingen. Zum Unglücklichsein kam es nicht wirklich, er lief nur, ohne sich für das Wohin sonderlich zu interessieren, geradeaus eben, und ihm war dabei friedlich zumute. Es gab in allem eine Pause, sogar in seiner Sehnsucht nach Isabelle, und sein Ärger über ihre letzte ausführliche Mail vor zwei Monaten, aufgeregt wegen des Kriegs und bemüht witzig, in der sie davon schrieb, sie wären aufgefordert, sich mit Kerzen und Batterien einzudecken, verklang, obwohl er ihre Reaktion idiotisch und peinlich fand, die Mischung aus Naivität und unglaubwürdiger Ironie, mit der sie ein Vorratslager unterm Bett schilderte. Denn letztlich, dachte Andras, blieb sie unbehelligt, sie hatte ein bemerkenswertes Talent selbst da unbehelligt zu bleiben, wo etwas sie tatsächlich traf, wie bei Alexas Auszug, bei Hannas Tod, bei ihrer Hochzeit, nicht eine Katze mit sieben Leben, sondern eher wie ein Welpe, dem nie etwas zustößt, weil er so niedlich ist und folglich unverletzlich. Nach Isabelle sehnte er sich nicht, nach Magda nicht, und doch füllten sie den Raum, in dem er lebte, die Spaziergänge und Nachtstunden, wenn er am offenen Fenster stand, in der Zone städtischer Dunkelheit, die das untere Ende der Choriner Straße von den Lichtern des Alexanderplatzes abtrennte. Er hatte wieder angefangen zu rauchen, mühsam zuerst, hustend, es schmeckte nicht, aber Herr Schmidt hatte ihm eines Abends, als sie sich im Treppenhaus begegneten, eine Zigarette angeboten, und Andras verliebte sich in den roten Lichtpunkt, in die glimmend vergehende Zeit. Am Fenster stehend, hinter sich den Geruch von Staub, die Wohnung verkam ein bißchen, da ihn niemand besuchte. Das rote Sofa, auf dem er mit Isabelle gesessen, das Bett, in dem er mit Magda geschlafen hatte. Ihre Körper, so unterschiedlich sie waren, verschwammen ineinander, Magdas trokkene Magerkeit, der weiche Körper Isabelles, das Erfüllte, das Unerfüllte. Er war nicht sicher, ob der Unterschied allzu groß war. Oft wachte er zu spät auf, um rechtzeitig in der Agentur zu erscheinen, dann rief Peter ihn an, wütend, fordernd. Andras beeilte sich pflichtschuldigst, erschien mit zerknirschtem Gesicht in der Dircksenstraße, begann gleich zu arbeiten, und während sich alles doch noch rechtzeitig bewerkstelligen ließ, lauschte er auf die Geräusche von der Straße, die Schritte, Frauenstimmen, die heraufklangen, ging wohl auch ans Fenster, sah Mädchen vorbeischlendern und überlegte, was ihn noch anging, ob er noch teilnahm, wenn er ein Kleid, eine Bewegung der Hüften, schlanke Arme oder Knöchel bewunderte, all das, was ihn lockte und was sich doch entfernt hatte. Verzicht war es allerdings nicht. Es kam vor, daß er sich gekränkt fühlte, prüfte, ob ein Frauenblick ihn streifte, ob eine Frau, die ihm gefiel, seinen Blick erwiderte, ob er sie, die mit einem anderen Mann am Tisch saß, ablenken konnte, ob zufällige Berührungen, flüchtige, an der Kinokasse oder in einem anderen Gedränge, willkommen waren. Als er die dreißigjährige Claire kennenlernte, war er beglückt von ihrer Hoffnung, ihren begeisterten, schüchternen Berührungen, doch dann verschwand er auf Nimmerwiedersehen. Nicht ohne Mißtrauen prüfte er, ob die Entscheidung notwendig gewesen war. Von Claire blieben ihm die sanften, ganz und gar rehbraunen Augen im Gedächtnis, etwas darin, das gewichtlos schien, leicht bis zur Selbstaufgabe, kaum faßbar. Es gefiel ihm, denn alles, was er war, was für ihn Bedeutung hatte, wanderte mit leichten Bewegungen an die Oberfläche, glitt die Luftfläche entlang wie Blätter, wie die wattigen Pappelsamen, die so leichthin davonwehten. Einer der Spaziergänge führte ihn in den Westen, zum Waldfriedhof, es war ein strahlender Tag Ende Mai, eine Trauergemeinde in schwarzen Kleidern strömte voller Fusseln vom Grab zurück Richtung Ausgang. Hannas Grab hatte er seit der Beerdigung nicht mehr besucht, jetzt wußte er, wie gepflegt es war, daß Peter wohl keine Woche ausließ, zu jäten oder pflanzen und die Erde zu glätten. Der Sandstein mit Hannas Namen verwischte schon, hellgrünes Moos bedeckte die Regenseite des Steins, es war etwas Tröstliches daran. Bei einem zweiten Besuch, gegen Abend, sah Andras unter einer Hecke Wildschweine davonrennen, es sollte auch Füchse und andere Tiere geben, in den Gärten der Heerstraße und bis hinein nach Charlottenburg. Er beschrieb es in einer Mail Isabelle, den Duft der Akazien und Linden, das Schattenspiel der Blätter im Straßenlicht, die teils pompösen, teils lächerlich schiefen Zäune, die von der Straße Grundstücke und Häuser abtrennten, die gespenstisch breite Straße Richtung Spandau, schließlich die Zufahrt zum Olympiastadion. Erinnerst Du Dich, schrieb er, an diesen Spruch von Bush, nichts ist, wie es war? Die Heerstraße scheint sich seit den dreißiger Jahren nicht verändert zu haben, der Waldfriedhof auch nicht. Alles unverändert. Und wie sehr sich alles doch verändert haben muß, Hanna ist tot, Du bist verheiratet und lebst in London, ich werde womöglich doch nach Budapest aufbrechen. Vielleicht verbringe ich auch nur ein paar Monate dort, meine Wohnung behalte ich auf jeden Fall, Herr Schmidt ist ja auch noch da, er hat sich auf dem Dachboden häuslich eingerichtet, und die Hausverwaltung sucht zwar einen Käufer, hat aber noch immer keinen gefunden, so bleiben wir beide, ganz zufrieden mit dem provisorischen Zustand.

Er nahm an, daß Peter ihr von dem bevorstehenden Umzug der Agentur erzählt hatte. In der Dircksenstraße sollte die Miete erhöht werden mit dem fälligen, neuen Vertrag, Peter hatte vorgeschlagen, aus Mitte wegzuziehen, statt über die Miete zu verhandeln, — umziehen, sagte er so heftig, daß Andras erschrak, und dann schwiegen sie, weil sie beide an Hanna dachten. Andras hatte es übernommen zu prüfen, ob sie nicht in die Potsdamer Straße ziehen könnten, und in einem Hinterhaus zwei Drucker gefunden, die an einer Kooperation interessiert waren. Nichts hat sich verändert, dachte er, als er nach dem Treffen die Potsdamer Straße hinunterging, als wäre er, zwanzig, fünfundzwanzig Jahre zurück, auf dem Nachhauseweg, während Tante Sofi am Klavier saß, spielte, so leicht und fehlerlos spielte, daß Onkel Janos und Andras still auf dem Sofa saßen, und Onkel Janos weinte. Es gibt nicht mehr als das hier, sagte Onkel Janos zu Andras, du verstehst das nicht, du wartest, so wie ich gewartet habe. Er lachte, hoffentlich begreifst du es wenigstens rechtzeitig. Andras schüttelte den Kopf, um die Traumbilder zu verscheuchen. Händler packten das Obst, die ersten Wassermelonen, wieder in ihre Kisten, rollten sie davon in hohen Eisengestellen, klapperten und hörten nicht auf zu rufen, riefen weiter aus, was sie den ganzen Tag lang gerufen hatten, Tomaten, Melonen, billige Auberginen! Ein Kilo Äpfel 39 Cent! Bückten sich nicht nach dem, was auf dem Boden lag, eine alte Frau wartete geduldig in einiger Entfernung darauf, es aufsammeln zu können; Andras wollte ihr fünf Euro geben, sie schüttelte aber den Kopf, sah ihn nicht dabei an. Zwei Jungen rannten aus dem Eiscafe´ gegenüber, der Besitzer hinter ihnen her, schrie aufgebracht, mußte sich nachäffen lassen von den jungen Männern, die vor seinem Cafe´ saßen. Ein Streifenwagen näherte sich, hupte, fuhr weiter. Die Passanten bewegten sich jetzt langsamer, gleichmäßig, verschwammen im allmählich dämmrig werdenden Licht. Vor einer Teestube saßen schweigend ein paar Männer, musterten Andras, und er ging weiter, am Haus vorbei, in dem er mit Tante Sofi und Onkel Janos gewohnt hatte, drehte sich zu spät erst um und blieb nicht stehen. Auf irgendeine Nachricht von Isabelle hatte er doch gewartet, eine Antwort auf seine Mail, einen Gruß wenigstens, ein Zeichen des Fernbleibens, eingeritzt in die so leichte Oberfläche der Zeit. Er lachte auf, über sich selbst und seine Sentimente. Hanna fehlte ihm, sie fehlte ihm wirklich, sie hätte ihm wegen Isabelle den Kopf zurechtgesetzt, Isabelle, die er nicht mehr vermißte, an der er trotzdem hing, auf eine Art, die er nicht recht begriff, und so hatte er Magda verloren. Noch immer hing er an dem unschlüssigen, verwirrten Mädchen, das Isabelle gewesen war, als er sie kennenlernte. Unschlüssig, dachte er, ist mein Leben und ihres auch. Wir wissen, daß es Ursache und Wirkung gibt, aber trotzdem scheint das für uns nicht zu gelten, nicht wirklich. Wie sollen wir dann sagen, ob sich etwas verändert hat oder nicht?