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Hinter ihm wurde die Tür aufgerissen, ein Junge stürzte an ihm vorbei in eine der Kabinen und übergab sich. Jim beugte sich zu dem Wasserstrahl, wusch sich, er hörte den Jungen würgen und ging zu ihm hin. — Verdammt, kannst du mal einen Schluck Wasser trinken und dann abhauen hier? Der Junge richtete sich auf, nickte ängstlich, kam brav aus der Kabine, trank gierig. — Raus hier, sagte Jim und nahm ihn am Arm, — an der Luft ist es besser. Er führte ihn durch den Seiteneingang in den Hof und auf die Straße. — Verpiß dich, da drinnen wird’s auch nicht lustiger. Er schaute ihm nach, wie der Junge davontrudelte, bemüht, lässig auszusehen, und einmal drehte er sich um, winkte. Jim stellte sich neben dem Seiteneingang auf. So lange, wie die beiden drinnen blieben, hatten sie vermutlich das meiste verkauft, wenn sie rauskamen. Dann hatte er Glück. Der erste kam raus, wartete einen Moment, sah ihn nicht, trabte los. Der Hieb traf ihn so überraschend, daß er nicht aufschrie. Jim packte ihn, schleppte ihn hinter die Mülltonnen. Er hatte ein Messer in der Hand, durchsuchte die Taschen, fand ein paar hundert Pfund, Tabletten, fünf Briefchen Kokain. Der zweite kam raus, schaute sich kurz um, rannte los. Gleichgültig schaute Jim ihm hinterher und wieder auf den Burschen vor sich. Es war nur der Körper, etwas Schlaffes, das Gesicht sah er nicht, und dann stöhnte der Junge, bewegte sich, da war seine Stimme, und Jim kniete neben ihm, das Messer in der Hand, während der Junge vergeblich versuchte etwas zu sagen, einen Namen zu sagen, dachte Jim, aber das war unvollständig, verstümmelt. Ein Fenster wurde aufgestoßen, Musik schwappte heraus wie eine Flüssigkeit. Er ekelte sich plötzlich. Nur ein paar Minuten, dann würde der Kerl aufwachen oder der zweite zurückkommen. Er schlug noch einmal zu.

In Pang’s Garden bestellte er eine Tüte Pommes und eine Frühlingsrolle, er setzte sich auf den Holzkasten, aß. Die Nase war geschwollen, aber die Platzwunde am Kinn nicht tief. Er drehte sich um und schaute auf die Straße, um Dave zu sehen, falls er vorbeiging, aber da waren nur ein paar kichernde Frauen, die sich hereindrängten, eine hatte ein Kind dabei, ein kleines Mädchen mit verrotzter Nase, das erschreckt sein Gesicht anschaute. Er hätte Mae nicht wiedererkannt, nicht, wenn er sie von vorn gesehen hätte. Von weitem vielleicht doch, ihren Körper, ihren Kopf, wie sie sich bewegte, aber nicht das Gesicht. Sie hatte ihn verleumdet. All die Monate, die er in Damians Wohnung gewartet hatte, und sie war nicht gekommen. Hisham war gekommen, Hisham, der ihn zusammengeschlagen hatte, auf Befehl Alberts, und Jim dann eingeladen hatte — weil er wußte, daß Jim ihm trotzdem vertraute. Er hatte seine Adresse ausfindig gemacht, er hatte Mae gefunden. Dave kannte die Adresse, Isabelle kannte sie vielleicht. Sie warf sich ihm an den Hals. Sie bewohnte mit ihrem Mann ein ganzes Haus und warf sich ihm an den Hals. Würde mit ihm schlafen, wenn er es wollte. Aber er wollte nicht, nicht das. Als er aufstand, rempelte er das kleine Mädchen an, das sich schweigend an seine Mutter klammerte. Sie schaute zu ihm auf, grünen Rotz in den Nasenlöchern, schniefte, rieb sich mit ihrer kleinen, rosa Hand; er ekelte sich. Dann lief er los, es war windig, aber die Luft war nicht klar, sondern stickig, und er machte einen Umweg, um Isabelle zu sehen. Da war noch Licht. Er wollte klingeln, es war fast Mitternacht. Isabelles Mann sah er im ersten Stock, sie ließ sich nicht blicken. Der Mann räumte anscheinend auf, mit einer Blumenvase kam er ins Erdgeschoß, ging zum Fenster, schaute hinaus, dann verschwand er. Schließlich tauchte sie doch auf, hatte vielleicht im hinteren Zimmer gesessen, sie trat auch ans Fenster, schob es hinauf und lehnte sich auf die Fensterbank. Hastig duckte Jim sich hinter ein parkendes Auto. Er konnte ihr Gesicht erkennen, glatt und leuchtend. Aber da stolzierte die fette schwarz-weiße Katze von Daves Schwester durch die Stäbe des Gittertörchens, sprang auf die Fensterbank, als wüßte sie sich willkommen, miaute. Doch Isabelle griff sie nur, um sie hinunterstoßen zu können, mit beiden Händen, mit einer wütenden, angewiderten Bewegung, Jim grinste, er gönnte beiden, Katze wie Frau, das Mißvergnügen dieser Begegnung. Die Katze knickte ein, fauchte, lief schnurstracks auf das Auto zu, hinter dem er sich verbarg, ging ihm direkt in die Falle, rannte fast gegen seine Beine, und er packte sie, mit beiden Händen, während Isabelle das Fenster heftig herunterzog, sich wegdrehte, als wäre die Sache mit der Katze endgültig erledigt, doch da war die Katze, in seinen Händen, und er stand auf, hielt sie fest, während sie versuchte, ihn zu kratzen, ging bis zur Ecke der Asham Street und schleuderte sie mit aller Kraft über die Mauer dort. Er hatte aber zu kurz geworfen. Der Kopf schlug auf der Kante auf, und das Tier fiel diesseits der Mauer wie ein Stein zu Boden, blieb dort liegen, im Lichtkreis einer Straßenlampe. Jim drehte sich um, aber Isabelle war nicht mehr da. Wenn sie ihn beobachtet hatte, würde sie es niemals zugeben, dachte Jim zornig. Sie würde niemals zugeben, daß es sie mit Befriedigung erfüllte, wie die Katze dalag, mit gebrochenem Genick. Er kniete sich neben das Tier, betrachtete den dicklichen Leib. Nein, das Genick war in Ordnung, der Schädel war zerschmettert, Blut sickerte heraus. Vorsichtig berührte er das Fell, drehte die Katze zur Seite, um zu sehen, ob sie noch lebte. Er schauderte. Katzen hatten ihren Stolz, sie besaßen eine Seele, vielleicht hatten sie wirklich sieben Leben. Nein, sie lebte nicht mehr. Jetzt tat es ihm leid. Drüben war inzwischen alles dunkel. Aber Isabelle war keinen Deut besser, dachte Jim, sie hatte die Katze von der Fensterbank gestoßen, haßerfüllt, und morgen hatte sie es vergessen, weil es ihr gleichgültig war. Doch er würde sie finden, morgen, er würde sie daran erinnern, er würde sie morgen oder übermorgen abpassen. Sie war nicht besser als er.

31

Obwohl die Rasenflächen sich schon bräunlich verfärbten, war es so mild und angenehm in der Sonne, daß sie sich an den Teich setzten und Tee tranken, — natürlich, sagte Bentham, gibt es hier nur schlechten Kaffee und schlechten Tee; er aß die Hälfte von Jakobs Muffin und sah zufrieden aus. — Das ist natürlich lächerlich, wenn man an eine richtige Tee-Mahlzeit denkt. Wir sind früher gerudert und dann nach Hause gelaufen, wo unsere Haushälterin schon den Tisch gedeckt hatte, es gab Kuchen und Marmelade, Toast natürlich. Sie wollte, daß wir Obst essen. Sie hat damit geprahlt, wie gesund sie sei, daß sie nie krank wurde. Und wirklich hatte sie nie eine Erkältung. Aber dann entwickelte sich eine Geschwulst, und sie wurde wunderlich.

— Ein Tumor? fragte Jakob.

— Nein, nicht im Kopf, aber sie wurde trotzdem seltsam. Wir bemühten uns, möglichst lange darüber hinwegzusehen, bis sie eines Tages anfing, die Sofas und Sessel aufzuschlitzen. Sie sah es selbst am nächsten Morgen und schrieb uns einen Brief, in dem sie bat, daß wir nicht nach ihr suchen sollten. Graham war verzweifelt, und ich auch. Sie hatte Zeichen in einen Schrank geritzt, wir haben lange überlegt, ob wir ihn restaurieren lassen.

Er brach noch ein Stück Muffin ab und warf es einer Ente zu. — Schade, daß es kaum noch Spatzen gibt. Jemand hat mir gesagt, daß Spatz auf hebräisch dror heißt, Freiheit. Anscheinend sind sie ausgewandert. Seit ich ihren Namen kenne, ihren hebräischen Namen, meine ich, sind sie mir noch lieber.

— Und Sie haben sie wirklich nie gesucht, Ihre Haushälterin?

— Nein. Wir haben sie auf Umwegen unterstützt, Graham fand eine Möglichkeit. Wir haben den Schrank gelassen, wie er war. Die Vergangenheit findet immer Gegenstände, an denen sie sich ablesen läßt.

— Stimmt es, daß Sie Bensheim hießen? fragte Jakob.

— Ja, meine Eltern haben den Namen in Bentham anglisiert. Ich bin sogar vor ein paar Jahren nach Deutschland gefahren, um mir das Städtchen anzusehen. Ein hübscher Ort.

Der Wind wurde um weniges stärker, ein Junge setzte vorsichtig sein Segelboot ins Wasser, die weißen Segel neigten sich bedenklich, aber der Kiel hielt das Boot, und als seine Mutter lachend zu ihm rannte, war es zu spät, das Boot war schon auf Reise gegangen, es richtete sich auf und gewann an Fahrt. Der Junge aber begriff noch nicht, daß es ihm außer Reichweite geriet, stolz lachte er seine Mutter an, sie standen Hand in Hand am Wasser, und es war möglich, daß das Schiffchen das gegenüberliegende Ufer erreichen, sich dort an Land holen lassen würde. Jakob konnte die Augen nicht von der Mutter abwenden, sie erinnerte ihn an Miriam, hoch aufgerichtet stand sie da, und wenn es auch mit Tränen enden mochte, dachte Jakob, so würde sie ihren Sohn doch trösten können. Glücklich fühlte er, daß Bentham die Szene ebenso gut gefiel wie ihm, und einen Moment spürte er Benthams Hand auf seinem Arm.