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Ich kam an einer Büste Randoms vorbei, die links an der Wand auf einem hohen Regal stand. Ich war schon daran vorbei, ehe mir auffiel, daß hier mein Bruder dargestellt war. Auf der anderen Seite des Zimmers entdeckte ich Vialles Arbeitstisch. Ich drehte mich um und betrachtete die Büste.

»Ich wußte gar nicht, daß Ihr Skulpturen macht«, sagte ich.

»Ja.«

Ich sah mich in der Wohnung um und entdeckte dabei andere Arbeiten, die von ihr sein mußten.

»Recht gut«, sagte ich.

»Vielen Dank. Möchtet Ihr Euch nicht setzen?«

Ich ließ mich in einen großen Stuhl mit hohen Armlehnen sinken, der bequemer war, als er aussah. Sie nahm auf einem niedrigen Diwan zu meiner Rechten Platz und zog die Beine hoch.

»Kann ich Euch etwas zu essen oder zu trinken anbieten?«

»Nein danke. Ich kann nicht lange bleiben. Die Sache ist die: Random, Ganelon und ich sind auf dem-Rückweg ein bißchen vom Wege abgekommen, anschließend haben wir uns noch eine Zeitlang mit Benedict besprochen. Daraus hat sich ergeben, daß Random und Benedict eine weitere kurze Reise machen mußten.«

»Wie lange wird er fort sein?«

»Wahrscheinlich nur über Nacht. Vielleicht ein bißchen länger. Sollte es erheblich länger werden, wird er sich wahrscheinlich über irgendeinen Trumpf melden, und dann geben wir Euch Bescheid.«

Meine Wunde begann zu schmerzen, und ich legte die Hand darauf und massierte vorsichtig die Stelle.

»Random hat mir viel von Euch erzählt«, sagte sie.

Ich lachte leise.

»Seid Ihr sicher, daß Ihr nicht doch etwas essen möchtet? Es macht keine Schwierigkeiten . . .«

»Hat er Euch etwa gesagt, daß ich immer Hunger habe?«

Sie lachte.

»Nein. Aber wenn Ihr wirklich so aktiv gewesen seid, wie Ihr eben angedeutet habt, ist Euch sicher nicht viel Zeit zum Essen geblieben.«

»Na, das stimmt nicht ganz. Aber gut. Wenn Ihr noch irgendwo ein Stück Brot herumliegen habt, würd´ ich schon gern daran herumknabbern.«

»Gut. Einen Augenblick.«

Sie stand auf und verschwand im Nachbarzimmer. Ich ergriff die Gelegenheit, mir energisch die Wunde zu kratzen, die plötzlich unangenehm zu jucken begann. Erst danach fiel mir auf, daß sie ja gar nicht hätte sehen können, wie ich meine Hüfte bearbeitete. Ihre sicheren Bewegungen, ihr selbstbewußtes Benehmen hatten mich vergessen lassen, daß sie blind war. Es freute mich, daß sie so gut damit fertigwurde.

Ich hörte sie ein Lied singen: »Die Ballade der Wassergeher«, das Lied von Ambers großer Handelsflotte. Amber ist nicht wegen seiner Industrie bekannt, und Landwirtschaft ist auch nicht unsere Stärke. Doch unsere Schiffe segeln durch die Schatten, zwischen irgendwo und überall, und nehmen jede Ladung. So ziemlich jeder männliche Amberianer, von hohem Blute oder auch nicht, verbringt eine gewisse Zeit in der Flotte. Die vom Blute haben die Handelsrouten vor langer Zeit festgelegt, auf daß andere Schiffe ihnen folgen konnten; im Kopf jedes Kapitäns befinden sich die Meere von etwa zwei Dutzend Welten. Ich hatte früher bei dieser Arbeit mitgeholfen, und obwohl ich mich nie so sehr damit beschäftigt hatte wie Gérard oder Caine, hatten mich die Kräfte der Tiefe und der Geist der Männer, die sie überquerten, sehr beeindruckt.

Nach einer Weile kehrte Vialle zurück. Sie brachte ein Tablett mit Brot, Fleisch, Käse, Früchten und einer Flasche Wein und stellte es auf einen Tisch in meiner Nähe.

»Wollt Ihr ein ganzes Regiment abfüttern?« fragte ich.

»Ich gehe lieber sicher.«

»Vielen Dank. Wollt Ihr nicht mitessen?«

»Vielleicht etwas Obst«, erwiderte sie.

Ihre Finger suchten einen Augenblick lang herum, fanden einen Apfel. Sie kehrte zum Diwan zurück.

»Random hat mir gesagt, Ihr hättet dieses Lied geschrieben«, sagte sie.

»Das ist jetzt schon lange her, Vialle.«

»Habt Ihr in letzter Zeit noch komponiert?«

Ich wollte den Kopf schütteln, faßte mich aber rechtzeitig und sagte: »Nein. Dieser Teil von mir . . . schlummert.«

»Schade. Das Lied ist schön.«

»Random ist der eigentliche Musiker in der Familie.«

»Ja, er ist sehr gut. Aber Musizieren und Komponieren sind etwas völlig anderes.«

»Gewiß. Wenn sich die Dinge etwas beruhigt haben, werde ich vielleicht . . . Sagt, seid Ihr glücklich hier in Amber? Ist alles so, wie Ihr es Euch wünscht? Braucht Ihr irgend etwas?«

Sie lächelte.

»Ich brauche nur Random. Er ist ein guter Mann.«

Es bewegte mich seltsam, so von ihm sprechen zu hören.

»Dann freue ich mich für Euch«, erwiderte ich. »Er ist jünger und kleiner als wir übrigen . . . vielleicht hat er es etwas schwerer gehabt als die anderen in unserer Familie. Es gibt nichts Nutzloseres als einen weiteren Prinzen, wenn bereits eine ganze Horde davon herumtobt. Ich war in dieser Beziehung ebenso gemein wie die anderen. Bleys und ich haben ihn einmal zwei Tage lang auf einer Insel südlich von hier ausgesetzt . . .«

». . . und Gérard zog los und befreite ihn, als er davon hörte«, fiel sie ein. »Ja, er hat mir davon erzählt. Es muß Euch aber zu schaffen machen, wenn Ihr nach so langer Zeit noch daran denkt.«

»Auf ihn scheint der Vorfall aber auch Eindruck gemacht zu haben.«

»Nein, er hat Euch schon vor langer Zeit verziehen. Mir hat er die Sache als Witz erzählt. Außerdem hat er Euch später einen Dorn durch den Stiefelabsatz gebohrt; das Ding stach Euch in den Fuß.«

»Random war das also! Da soll doch . . .! Ich hatte immer Julian in Verdacht.«

»Die Sache macht Random zu schaffen.«

»Wie lange das jetzt alles her ist . . .« Ich schüttelte den Kopf und aß weiter. Mehrere Minuten lang herrschte Schweigen, dann sagte ich: »So ist´s besser. Viel besser. Ich habe eine seltsame und anstrengende Nacht in der Himmelsstadt hinter mir.«

»Habt Ihr nützliche Omen erfahren?«

»Ich weiß nicht, als wie nützlich sie sich erweisen werden. Andererseits bin ich wohl froh, sie gesehen zu haben. Ist hier irgend etwas Interessantes passiert?«

»Ein Dienstbote hat mir gesagt, Euer Bruder Brand habe sich weiter gut erholt. Er hat heute früh mit Appetit gegessen, was immer ein ermutigendes Zeichen ist.«

»Das ist wahr«, sagte ich. »Es sieht aus, als wäre er außer Gefahr.«

»Anzunehmen. Es – es ist wirklich schrecklich, was Ihr alle habt durchmachen müssen. Es tut mir leid. Ich hatte gehofft, Ihr hättet in Tir-na Nog´th Hinweise auf eine positive Wende Eurer Angelegenheiten gefunden.«

»Ist nicht weiter wichtig«, sagte ich. »Ich bin mir nicht mal sicher, welchen Wert die Sache überhaupt hat.«

»Warum aber . . . Oh!«

Ich betrachtete sie mit neu erwachtem Interesse. Auf ihrem Gesicht zeigte sich noch immer keine Regung, doch ihre rechte Hand ruckte vor und zupfte an dem Stoff des Diwans.

Plötzlich hielt sie die Finger still, als sei ihr bewußt geworden, wie vielsagend die Bewegung sein konnte. Sie war offensichtlich eine Frau, die bereits eine Antwort auf ihre Frage gefunden hatte und sich jetzt wünschte, sie hätte sie lieber gar nicht gestellt.

»Ja«, sagte ich. »Ich habe Zeit zu gewinnen versucht. Ihr wißt natürlich von meiner Wunde.«

Sie nickte.

»Ich nehme es Random nicht übel, daß er Euch davon erzählt hat«, sagte ich. »Auf sein Urteil konnte man sich schon immer verlassen. Ich sehe keinen Grund, warum sich das jetzt ändern sollte. Dennoch muß ich mich erkundigen, wieviel er Euch verraten hat – zu Eurer eigenen Sicherheit und damit ich weiter ruhig schlafen kann. Denn es gibt Dinge, die ich vermute, von denen ich aber noch nicht gesprochen habe.«

»Ich verstehe das durchaus. Es ist schwierig, etwas Negatives zu beurteilen – die Dinge, die er vielleicht ausgelassen hat, meine ich –, aber er erzählt mir das meiste. Ich kenne Eure Geschichte und die der anderen in den wesentlichen Zügen. Er hält mich auf dem laufenden über Ereignisse, Verdächtigungen, Vermutungen, Schlußfolgerungen.«