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»Oberon«, fragte er, »ist es endlich Zeit?«

»Welche Zeit meinst du?« fragte ich leise.

Er kicherte.

»Na, welche schon? Zeit, die Welt zu vernichten!«

5

Ich hielt das Licht möglichst weit von meinem Gesicht ab und sprach sehr leise.

»Noch nicht ganz«, sagte ich. »Noch nicht ganz.«

Er seufzte.

»Du bist noch immer nicht überzeugt.«

Er legte den Kopf auf die Seite und blickte auf mich herab.

»Warum mußt du immer alles verderben?« wollte er wissen.

»Ich habe nichts verdorben.«

Er senkte die Lampe. Ich drehte wieder den Kopf, doch er konnte schließlich mein Gesicht deutlich erkennen. Er lachte.

»Lustig, lustig, lustig, lustig«, sagte er. »Du kommst als der junge Lord Corwin und glaubst mich mit Familiengefühlen rühren zu können. Warum hast du nicht Brand oder Bleys genommen? Clarissas Kinder haben uns am besten gedient.«

Ich zuckte die Achseln und stand auf.

»Ja und nein«, sagte ich, entschlossen, ihn solange mit doppeldeutigen Antworten zu versorgen, wie er sie glaubte und darauf reagierte. Vielleicht ergab sich dabei etwas Interessantes – außerdem schien es mir die einfachste Methode zu sein, ihn bei Laune zu halten. »Und du?« fuhr ich fort. »Welches Aussehen würdest du den Dingen geben?«

»Nun, um dich mir gewogen zu machen, werde ich mithalten«, sagte er und begann zu lachen.

Er warf den Kopf zurück, und während sein Gelächter erklang, überkam ihn die Veränderung. Sein Körper schien länger zu werden, sein Gesicht flatterte wie ein Segel, das zu dicht vor den Wind geholt wurde. Der Höcker auf seinem Rücken nahm ab, er richtete sich auf, gewann an Größe. Seine Züge formten sich um, der Bart wurde dunkler. Nun gab es keinen Zweifel mehr daran, daß er die Masse seines Körpers irgendwie neu verteilte, denn das Nachthemd, das eben noch seine Knöchel bedeckt hatte, reichte plötzlich nur noch bis zur Mitte der Schienbeine. Er atmete tief, und seine Schultern wölbten sich. Die Arme wurden länger, der massige Unterleib schmaler, enger. Er wuchs mir bis zur Schulter, dann weiter. Er sah mich offen an. Seine Kleidung reichte nur noch bis zu den Knien. Der Buckel war völlig verschwunden. Über das Gesicht lief ein letztes Zucken, seine Züge beruhigten sich, erhielten ein neues Aussehen. Sein Lachen wurde zu einem leisen Kichern und verhallte.

Ich betrachtete eine etwas schlankere Version meiner selbst.

»Na, reicht das?« fragte er.

»Gar nicht übel«, sagte ich. »Warte, bis ich ein paar Scheite ins Feuer geworfen habe.«

»Ich helfe dir.«

»Schon gut.«

Ich nahm Holz von einem Gestell zur Rechten. Jede weitere Verzögerung war mir nützlich, brachte mir Erkenntnisse für meine Rolle. Während ich an der Arbeit war, näherte er sich einem Stuhl und setzte sich. Ich bemerkte, daß er mich nicht ansah, sondern in die Schatten starrte. Ich zog das Feuermachen in die Länge, in der Hoffnung, er würde etwas sagen, irgend etwas. Schließlich tat er mir den Gefallen.

»Was ist nur aus dem großen Plan geworden?« wollte er wissen.

Ich wußte nicht, ob er das Muster oder einen alles umfassenden Plan meines Vaters meinte, an dem er beteiligt gewesen war. »Sag du´s mir«, forderte ich ihn auf.

Wieder lachte er.

»Warum nicht? Du hast es dir anders überlegt, das ist daraus geworden!«

»Und wie stellt er sich jetzt für dich dar?«

»Mach dich nicht über mich lustig! Selbst du hast nicht das Recht, dich über mich lustig zu machen. Ja, du am allerwenigsten.«

Ich stand auf.

»Ich habe mich nicht über dich lustig gemacht«, sagte ich.

Ich ging quer durch das Zimmer zu einem anderen Stuhl, brachte ihn in die Nähe des Feuers, stellte ihn gegenüber Dworkin hin. Dann nahm ich Platz.

»Wie hast du mich erkannt?« fragte ich.

»Mein Aufenthaltsort dürfte nicht überall bekannt sein.«

»Das stimmt.«

»Halten viele in Amber mich für tot?«

»Ja, und andere vermuten, daß du in den Schatten unterwegs bist.«

»Ich verstehe.«

»Wie – fühlst du dich so?«

»Du meinst, ob ich noch immer wahnsinnig bin?«

»So krass wollte ich es nicht ausdrücken.«

»Es verblaßt und verstärkt sich wieder«, sagte er. »Es überkommt mich und verfliegt wieder. Im Augenblick bin ich fast der alte – fast, sage ich. Vielleicht liegt es am Erschrecken über deinen Besuch . . . In meinem Gehirn ist irgend etwas zerbrochen. Das weißt du. Anders kann es nicht sein. Auch das ist dir bekannt.«

»Mag schon sein«, erwiderte ich. »Warum erzählst du mir nicht noch einmal alles im Zusammenhang? Vielleicht führt das bloße Reden dazu, daß du dich besser fühlst, und gib mir die Chance, etwas auszumachen, was ich bisher übersehen habe. Erzähl mir eine Geschichte.«

Wieder lachte er.

»Wie du willst. Irgendwelche Wünsche – was möchtest du hören? Meine Flucht aus dem Chaos auf diese kleine seltsame Insel im Meer der Nacht? Meine Meditationen über den Abgrund? Die Enthüllung des Musters in einem Juwel, das um den Hals eines Einhorns hing? Meine Übertragung dieses Musters durch Blitz, Blut und Lyra, während unsere Väter verwirrt tobten, zu spät, um mich zurückzurufen, während das Gedicht des Feuers jene erste Route in meinem Gehirn durchlief und mich mit seinem Formwillen ansteckte. Zu spät! Zu spät . . . Besessen von den Scheußlichkeiten, die sich aus der Krankheit ergaben, außerhalb ihrer Hilfsmöglichkeiten und ihrer Macht plante und baute ich, Gefangener meines neuen Ich. Ist das die Geschichte, die du noch einmal hören möchtest? Oder soll ich dir lieber von ihrer Ausheilung erzählen?«

Meine Gedanken wirbelten um all die Brocken, die er mir eben mit vollen Händen hingestreut hatte. Ich vermochte nicht zu erkennen, ob ich ihn wörtlich nehmen mußte oder ob er sich im übertragenen Sinne äußerte oder womöglich nur paranoide Wahnvorstellungen mitteilte; jedenfalls interessierte ich mich für Dinge, die der Gegenwart näher waren. Ich blickte also auf das umschattete Abbild meiner selbst, von dem die alte Stimme ausging, und sagte: »Berichte mir von deiner Heilung.«

Daraufhin legte er die Fingerspitzen zusammen und sprach darunter hindurch.

»In einem sehr realen Sinne bin ich das Muster«, sagte er. »Als es durch meinen Geist wanderte, um die Form anzunehmen, die es jetzt aufweist, das Fundament Ambers, zeichnete es mich so gewiß, wie ich Einfluß darauf hatte. Ich erkannte eines Tages, daß ich sowohl das Muster als auch ich selbst bin und daß das Muster im Zuge seiner Entstehung gezwungen war, zugleich Dworkin zu werden. Bei Geburt dieses Ortes und dieser Zeit gab es gegenseitige Anpassungen, und hierin lag unsere Schwäche wie auch unsere Stärke. Mir ging nämlich auf, daß ein Defekt am Muster automatisch auch mir schaden würde, während sich eine Beeinträchtigung meiner selbst umgekehrt dem Muster mitteilen würde. Dennoch konnte mir nichts Ernsthaftes zustoßen, denn das Muster schützt mich, und wer außer mir könnte dem Muster schaden? Ein wunderhübsches, in sich geschlossenes System, so sah es aus, die Schwächen von den Stärken völlig abgeschirmt.«

Er schwieg. Ich lauschte dem Knacken des Feuers. Was seine Ohren zu hören versuchten, weiß ich nicht.

»Ich irrte mich«, fuhr er fort. »Es war nur eine Kleinigkeit . . . Mein Blut, mit dem ich das Muster zeichnete, konnte es auch wieder auslöschen. Aber es dauerte Ewigkeiten, bis ich erkannte, daß das Blut meines Blutes dieselbe Eigenschaft hatte. Man konnte es benutzen, konnte es auch verändern – ja, bis in die dritte Generation.«

Es überraschte mich nicht, zu erfahren, daß er der Ur-Vater von uns allen war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, von Anfang an darüber Bescheid gewußt zu haben, ohne es mir jemals deutlich zu machen. Und doch . . . womöglich ergaben sich aus dieser Entdeckung mehr Fragen, als beantwortet wurden. Nimm eine Generation deiner Vorfahren. Rücke auf das Feld der Verwirrung vor. Ich wußte nun weniger denn je, was Dworkin eigentlich war. Und zu allem anderen die Tatsache, die er selbst anerkannte: Es war die Geschichte eines Wahnsinnigen.