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»Mag sein«, sagte ich. »Eine andere Möglichkeit siehst du nicht?«

»Ich weiß, daß es zu schaffen ist, indem man ganz von vorn anfängt; so habe ich es nämlich gemacht. Abgesehen davon sehe ich keine Alternative. Je länger du wartest, desto schlimmer wird die Situation. Warum holst du nicht das Juwel und leihst mir deine Klinge, Sohn? Ich wüßte keinen anderen Weg.«

»Nein«, antwortete ich. »Ich muß mehr wissen. Erzähl mir noch einmal, wie der Schaden entstanden ist.«

»Bis heute weiß ich nicht, welches deiner Kinder unser Blut an dieser Stelle vergossen hat – wenn du das meinst. Jedenfalls ist es geschehen. Laß es dabei bewenden. In den Kindern ist die dunkle Seite unserer Natur längst ausgeprägt. Wahrscheinlich leben sie zu nahe an jedem Chaos, aus dem wir hervorgegangen sind; sie sind aufgewachsen ohne die Willenanstrengungen, die von uns gefordert wurden, damit wir es abstreifen konnten. Ich hatte angenommen, daß das Ritual des Muster-Durchschreitens für sie genügen müßte. Etwas Schwierigeres ist mir nicht eingefallen. Aber es hat nicht genügt. Und jetzt schlagen sie wild um sich. Sie sind bestrebt, das Muster selbst zu vernichten.«

»Wenn es uns gelingt, einen Neuanfang zu machen – könnten sich all diese Ereignisse nicht einfach wiederholen?«

»Keine Ahnung. Aber welche andere Möglichkeit gibt es als den Fehlschlag und die Rückkehr ins Chaos?«

»Was wird aus ihnen, wenn wir einen Neuanfang versuchen?«

Er schwieg eine lange Zeit. Dann zuckte er die Achseln.

»Ich vermag es nicht zu sagen.«

»Wie hätte eine andere Generation ausgesehen?«

Er lachte leise.

»Was soll man auf eine solche Frage antworten? Ich habe keine Ahnung.«

Ich nahm den beschädigten Trumpf heraus und reichte ihm die Karte. Er betrachtete sie im Licht seines Stabes.

»Ich glaube, es ist das Blut von Randoms Sohn Martin, das hier vergossen wurde«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob er noch lebt. Was meinst du, welche Rolle mag er gespielt haben?«

Er blickte auf das Muster hinaus.

»Dies ist also das Objekt, das dort draußen lag«, sagte er. »Wie hast du es geholt?«

»Es wurde geholt«, erwiderte ich. »Die Karte ist doch nicht etwa deine Arbeit, oder?«

»Natürlich nicht. Ich habe den Jungen noch nie gesehen. Aber dies beantwortet doch deine Frage, oder? Gibt es eine andere Generation, werden deine Kinder sie vernichten.«

»So wie wir sie vernichten wollen?«

Er starrte mir konzentriert in die Augen.

»Solltest du dich plötzlich zum fürsorglichen Vater wandeln?« fragte er.

»Wenn du den Trumpf nicht gezeichnet hast, wer dann?«

Er senkte den Blick und schnipste mit dem Fingernagel auf das Bild.

»Mein bester Schüler. Dein Sohn Brand. Das ist sein Stil. Begreifst du, was sie tun, sobald sie ein wenig Macht erringen? Würde einer von ihnen sein Leben riskieren, um das Reich zu erhalten, um das Muster wiederherzustellen?«

»Wahrscheinlich doch«, sagte ich. »Benedict, Gérard, Random, Corwin . . .«

»Benedict läuft mit dem Zeichen des Untergangs durch das Leben, Gérard hat den Willen, aber nicht den Verstand, Random fehlt es an Mut und Entschlossenheit. Corwin . . . steht er nicht in Ungnade und ist ohnehin verschwunden?«

Meine Gedanken kehrten zu unserem letzten Zusammentreffen zurück, in dessen Verlauf er mir geholfen hatte, aus meiner Zelle nach Cabra zu fliehen. Vielleicht hatte er sich deswegen inzwischen Gedanken gemacht, wußte er doch nicht, welche Umstände mich dorthin geführt hatten.

»Ist das der Grund, warum du seine Gestalt angenommen hast?« fuhr er fort. »Soll das eine Art Tadel sein? Stellst du mich wieder einmal auf die Probe?«

»Er steht weder in Ungnade, noch ist er verschwunden«, sagte ich, »obwohl er in und außerhalb der Familie Feinde hat. Er würde alles tun, um das Reich zu retten. Wie beurteilst du seine Chancen?«

»Ist er nicht lange Zeit fort gewesen?«

»Ja.«

»Dann hat er sich vielleicht verändert. Ich weiß es nicht.«

»Ich glaube, er ist anders geworden. Ich weiß genau, daß er gewillt ist, es zu versuchen.«

Wieder starrte er mich an, er wandte den Blick nicht mehr von meinem Gesicht.

»Du bist nicht Oberon«, stellte er schließlich fest.

»Nein.«

»Du bist der, den ich vor mir sehe.«

»Nicht mehr und nicht weniger.«

»Ich verstehe . . . Ich hatte keine Ahnung, daß du von diesem Ort wußtest.«

»Ich wußte auch nichts davon – bis neulich. Beim erstenmal wurde ich vom Einhorn hierhergeführt.«

Er riß die Augen auf.

»Das ist – sehr – interessant . . . sehr . . . interessant«, sagte er. »Es ist lange her . . .«

»Was ist mit meiner Frage?«

»Wie? Frage? Welche Frage?«

»Meine Chancen. Glaubt Ihr . . . glaubst du, ich könnte das Muster wieder instandsetzen?«

Er näherte sich langsam, hob den Arm und legte mir die rechte Hand auf die Schulter. Gleichzeitig wurde der Stab in seiner anderen Hand zur Seite geneigt, so daß das blaue Gesicht einen Fuß vor meinem Gesicht schimmerte; trotzdem spürte ich keine Hitze. Er starrte mir in die Augen.

»Du hast dich verändert«, sagte er schließlich.

»Ausreichend, um es zu tun?«

Er wandte den Blick ab.

»Vielleicht genug, um den Versuch zu rechtfertigen«, sagte er, »selbst wenn uns der Fehlschlag vorbestimmt ist.«

»Hilfst du mir?«

»Ich weiß nicht, ob ich das vermag«, antwortete er. »Das Problem mit meinen Stimmungen, meinen Gedanken – es kommt und geht. In diesem Augenblick spüre ich, daß mir die Beherrschung irgendwie entgleitet. Vielleicht die Aufregung . . . Wir wollen lieber wieder hineingehen.«

Ich hörte ein Klirren hinter mir. Als ich mich umdrehte, entdeckte ich den Greif, dessen Kopf mit hervorzuckender Zunge langsam von links nach rechts schwang, während der Schwanz entgegengesetzt pendelte. Das Wesen begann uns zu umkreisen und blieb stehen, als es sich zwischen Dworkin und dem Muster befand.

»Er weiß Bescheid«, sagte Dworkin. »Er spürt es, wenn ich mich zu verändern beginne. Dann läßt er mich nicht mehr in die Nähe des Musters. Braver Kerl. Wir gehen wieder hinein. Es ist alles in Ordnung. Komm, Corwin.«

Wir näherten uns der Höhlenöffnung, und der Greif folgte uns – ein Klirren bei jedem Schritt.

»Das Juwel«, sagte ich, »das Juwel des Geschicks . . . du meinst, wir brauchen es für die Wiederherstellung des Musters?«

»Ja«, sagte er. »Es muß den ganzen Weg durch das Muster getragen werden und muß an den Stellen, wo sie unterbrochen sind, die ursprünglichen Linien nachzeichnen. Das läßt sich nur durch jemanden bewerkstelligen, der auf das Juwel eingestimmt ist.«

»Ich bin auf das Juwel eingestimmt«, sagte ich.

»Wie?« wollte er wissen und blieb stehen.

Hinter uns stieß der Greif ein Krächzen aus, und wir gingen weiter.

»Ich bin deinen schriftlichen Anweisungen gefolgt – und Erics mündlichen Hinweisen«, erwiderte ich. »Ich nahm das Juwel mit in die Mitte des Musters und projizierte mich hindurch.«

»Ich verstehe«, sagte er. »Wie bist du an das Juwel gekommen?«

»Eric hat es mir auf seinem Sterbebett überlassen.«

Wir betraten die Höhle. »Du hast es noch?«

»Ich war gezwungen, es an einem Ort in den Schatten zu verstecken.«

»Ich würde vorschlagen, daß du es schleunigst holst und hierherbringst oder in den Palast schaffst. Es sollte in der Nähe des Zentrums aller Dinge aufbewahrt werden.«