»Ist er überhaupt mal draußen gewesen?«
»Ein paar kurze Spaziergänge. Aber das war schon vor Tagen.«
»Dann sollte ich ihn jetzt aufsuchen. Ist irgend etwas über Random bekannt?«
»Ja«, gab er zurück. »Benedict kehrte vor einigen Tagen zurück. Er sagte, sie hätten etliche Spuren gefunden, die auf Randoms Sohn hindeuteten. Ein paar hat er mit überprüft. Eine Spur jedoch führte weiter, doch Benedict war der Meinung, er sollte sich bei der unsicheren Lage nicht allzu lange von Amber entfernen. So ließ er Random die Suche allein fortsetzen. Die Sache hat ihm allerdings etwas eingebracht. Als er zurückkam, hatte er einen künstlichen Arm an der Schulter, ein schönes Stück. Er kann damit praktisch alles machen – fast wie früher.«
»Wirklich?« fragte ich. »Hört sich seltsam bekannt an.«
Er lächelte und nickte.
»Er sagte mir, du hättest ihm das Ding aus Tir-na Nog´th mitgebracht. Er möchte so bald wie möglich mit dir darüber sprechen.«
»Kann ich mir denken. Wo ist er jetzt?«
»Bei einem der Vorposten, die er an der schwarzen Straße stehen hat. Du müßtest dich über Trumpf mit ihm in Verbindung setzen.«
»Vielen Dank. Irgendwelche Neuigkeiten über Julian oder Fiona?«
Er schüttelte den Kopf.
»Na schön«, sagte ich und wandte mich zur Tür. »Dann will ich mal Brand besuchen.«
»Würde mich interessieren zu erfahren, was er im Schilde führt«, bemerkte Gérard.
»Ich werde dran denken.«
Ich verließ den Raum und ging zur Treppe.
7
Ich klopfte an Brands Tür.
»Herein, Corwin«, sagte er.
Ich gehorchte. Während ich über die Schwelle trat, nahm ich mir vor, nicht zu fragen, woher er gewußt hatte, wer vor der Tür stand. Sein Zimmer war ziemlich düster; obwohl es heller Tag war und es vier Fenster gab, brannten zahlreiche Kerzen. Drei Fensterläden waren geschlossen, nur der vierte war einen Spalt breit geöffnet. Brand stand dicht davor und starrte auf das Meer hinaus. Er war von Kopf bis Fuß in schwarzen Samt gekleidet und trug eine Silberkette um den Hals. Sein Gürtel bestand ebenfalls aus Silber – ein schönes Stück aus zahlreichen Gliedern. Er spielte mit einem kleinen Dolch herum und sah mich nicht an. Er war noch immer ziemlich bleich, doch sein Bart war inzwischen säuberlich getrimmt, und er wirkte frischer und ein wenig rundlicher als bei unserer letzten Begegnung.
»Du siehst besser aus«, stellte ich fest. »Wie fühlst du dich?«
Er wandte sich um und sah mich mit halb geschlossenen Augen ausdruckslos an.
»Wo bist du gewesen, zum Teufel?« fragte er.
»Da und dort. Weshalb wolltest du mich sprechen?«
»Ich habe gefragt, wo du warst!«
»Und ich habe dich verstanden«, gab ich zurück und machte die Tür hinter mir wieder auf. »Ich werde jetzt noch mal rausgehen und wieder hereinkommen. Ich würde vorschlagen, wir fangen unser Gespräch von vorn an.«
Er seufzte.
»Moment doch! Es tut mir leid. Warum sind wir denn alle so empfindlich? Ich weiß nicht . . . Na schön, vielleicht ist es besser, wenn wir einen Neuanfang machen.«
Er steckte den Dolch ein, ging durch das Zimmer und setzte sich in einen breiten Stuhl aus dunklem Holz und schwarzem Leder.
»Ich begann mir Gedanken zu machen über all die Dinge, die wir besprochen hatten«, sagte er, »und über einige, die wir noch nicht diskutieren konnten. Ich wartete eine mir angemessen erscheinende Zeit auf den Abschluß deines Anliegens in Tir-na Nog´th und auf deine Rückkehr. Anschließend erkundigte ich mich nach dir und bekam zur Antwort, du seist noch nicht zurück. Ich wartete noch länger. Zuerst war ich ungeduldig, dann begann ich mir Sorgen zu machen, daß dich unsere Feinde vielleicht in einen Hinterhalt gelockt hätten. Als ich später wieder nach dir fragte, erfuhr ich, daß du nur eben lange genug in der Stadt gewesen warst, um mit Randoms Frau zu sprechen – es muß ein wichtiges Gespräch gewesen sein – und um zu schlafen. Anschließend seist du sofort wieder abgereist. Ich war ärgerlich, daß du es nicht für nötig befunden hattest, mich über die Ereignisse zu informieren, doch ich beschloß, noch ein wenig länger zu warten. Schließlich bat ich Gérard, dich über deinen Trumpf anzusprechen. Als er keinen Erfolg hatte, machte ich mir ernsthafte Sorgen. Ich versuchte es selbst; dabei hatte ich zwar mehrfach das Gefühl, dich zu berühren, drang aber nicht ganz zu dir durch. Ich hatte Angst um dich; dabei sehe ich jetzt, daß ich mir überhaupt keine Sorgen hätte machen müssen. Deshalb war ich so aufgebracht.«
»Ich verstehe«, sagte ich und nahm zu seiner Rechten Platz. »Genau genommen ist die Zeit für mich schneller verstrichen als für dich; ich habe gar nicht das Gefühl, überhaupt fort gewesen zu sein. Wahrscheinlich ist deine Stichwunde inzwischen besser verheilt als meine.«
Er lächelte vorsichtig und nickte.
»Wäre ja wenigstens etwas«, sagte er, »als Gegenleistung für meinen Schmerz.«
»Ich habe ein paar Sorgen hinzugewonnen«, sagte ich. »Bitte verpaß mir keine neuen. Du wolltest mich sprechen. Raus damit.«
»Irgend etwas bekümmert dich«, sagte er. »Vielleicht sollten wir zunächst darüber sprechen.«
»Na schön«, sagte ich.
Ich wandte mich um und blickte auf das Bild neben der Tür. Ein Ölgemälde, eine ziemlich düstere Darstellung des Brunnens bei Mirata, in der Nähe zwei Männer im Gespräch, neben ihren Pferden.
»Du hast einen unverwechselbaren Stil«, sagte ich.
»In allem.«
»Damit hast du mir den nächsten Satz aus dem Mund genommen«, sagte ich, nahm Martins Trumpf zur Hand und gab ihn Brand.
Sein Gesicht zeigte keine Regung, während er die Zeichnung betrachtete, mir einen kurzen Seitenblick zuwarf und nickte.
»Ich kann meinen Stil nicht ableugnen«, sagte er.
»Deine Hand hat mehr als eine Karte gefertigt. Oder nicht?«
Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe.
»Wo hast du sie gefunden?« fragte er.
»Dort wo du sie zurückgelassen hast, im Zentrum der Dinge – im wirklichen Amber.«
»Also . . .«, sagte er, stand auf und kehrte zum Fenster zurück, wobei er die Karte hielt, als wollte er sie sich im hellen Licht genauer ansehen. »Du weißt also mehr, als ich dachte. Wie hast du vom Ur-Muster erfahren?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Du antwortest als erster: Hast du Martin überfallen?«
Daraufhin wandte er sich wieder in meine Richtung, sah mich einen Augenblick lang an und nickte kurz. Seine Augen erforschten mein Gesicht.
»Warum?«
»Jemand mußte es tun«, erklärte er, »um den Mächten, die wir brauchten, den Weg zu bereiten. Wir haben Strohhalme gezogen.«
»Und du hast gewonnen?«
»Gewonnen? Verloren?« Er zuckte die Achseln. »Was kommt es noch darauf an? Die Dinge entwickelten sich nicht so, wie wir beabsichtigt hatten. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich damals war.«
»Hast du ihn umgebracht?«
»Was?«
»Martin, Randoms Sohn. Ist er an der von dir beigebrachten Wunde gestorben?«
Er drehte die Handflächen nach außen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Wenn er nicht gestorben ist, dann nicht deswegen, weil ich´s nicht versucht hätte. Du kannst deine Suche einstellen. Du hast den Schuldigen gefunden. Was fängst du jetzt mit diesem Wissen an?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich? Nichts. Vielleicht lebt er noch.«
»Dann sollten wir uns Dingen zuwenden, die von größerer Bedeutung sind. Wie lange weißt du schon von dem echten Muster?«
»Lange genug«, antwortete ich, »Herkunft, Funktionen, die Wirkung des Blutes von Amber auf das Muster – lange genug. Ich habe mehr auf Dworkin gehört, als du vielleicht angenommen hast. Doch sah ich keinen Vorteil darin, die Grundlage des Seins zu beschädigen. Ich ließ die schlafenden Hunde also in Ruhe. Erst nach unserem kürzlichen Gespräch bin ich auf den Gedanken gekommen, daß die schwarze Straße mit einer solchen Torheit zusammenhängen könnte. Als ich mir das Muster dann anschaute, fand ich Martins Trumpf und das übrige.«