11
Ich konnte manche Abkürzung über die Felder machen, wo sich Bill an die Straßen halten mußte; folglich kam ich dicht hinter ihm ans Ziel. Als ich Drum zügelte, unterhielt er sich gerade mit Ed, der nach Südwesten deutete.
Ich stieg ab, und Ed musterte mein Pferd.
»Schönes Tier«, sagte er.
»Vielen Dank.«
»Sie sind fort gewesen?«
»Ja.«
Wir gaben uns die Hand.
»Schön, Sie wieder mal zu sehen. Ich habe Bill eben gesagt, daß ich gar nicht weiß, wie lange der Künstler eigentlich hier war. Ich dachte mir nur, daß er schon verschwinden würde, sobald es dunkel wird, und habe mich gar nicht mehr um ihn gekümmert. Wenn der Bursche nun wirklich etwas gesucht hat, das Ihnen gehört, und über den Komposthaufen Bescheid wußte, könnte er sich noch immer da draußen herumtreiben. Wenn Sie wollen, hole ich meine Schrotflinte und komme mit.«
»Nein, vielen Dank«, sagte ich. »Ich glaube, ich weiß schon, wer der Kerl war. Auf die Flinte können wir verzichten. Wir gehen nur mal eben hinüber und sehen uns die Stelle an.«
»Na schön«, sagte er. »Ich komme mit und helfe Ihnen.«
»Das ist aber nicht notwendig«, gab ich zurück.
»Was ist mit Ihrem Pferd? Soll ich es tränken und ihm zu fressen geben und es etwas abreiben?«
»Dafür wäre es Ihnen sehr dankbar – und ich auch.«
»Wie heißt es denn?«
»Drum.«
Er näherte sich dem Pferd und begann sich mit ihm anzufreunden.
»Gut«, sagte er. »Dann bin ich drüben in der Scheune. Wenn Sie mich brauchen – ein Ruf genügt!«
»Vielen Dank.«
Ich holte die Werkzeuge aus Bills Wagen, und er führte mich im Schein einer Taschenlampe nach Südwesten, in die Richtung, in die Ed vorhin gedeutet hatte.
Ich folgte Bills Licht über das Feld und suchte nach dem Komposthaufen. Als wir eine Stelle erreichten, an der etwas lag, das wie die Überreste eines solchen Haufens aussah, atmete ich unwillkürlich tief. Irgend jemand mußte hier am Werk gewesen sein; die herumgestreuten Brocken sprachen eine deutliche Sprache. Vom bloßen Abladen wäre die Masse nicht so verstreut worden.
Trotzdem . . . Die Tatsache, daß hier jemand gewühlt hatte, bedeutete nicht, daß das Gesuchte auch gefunden worden war.
»Was meinst du?« erkundigte sich Bill.
»Keine Ahnung«, gab ich zurück, legte die Werkzeuge fort und näherte mich dem größten Haufen. »Leuchte mal hierher.«
Ich sah mir die Überreste an, griff schließlich nach einer Harke und begann alles zu zerstreuen. Ich zerbrach jeden Brocken, breitete ihn über den Boden aus und fuhr mit den Zacken hindurch. Nach einer Weile stellte Bill die Lampe auf einer kleinen Anhöhe ab und begann mir zu helfen.
»Ich habe ein seltsames Gefühl . . .«, brummte er.
»Ich auch.«
». . . als wären wir zu spät gekommen.«
Wir setzten unsere Arbeit fort: zerkleinern und ausbreiten, zerkleinern und ausbreiten . . .
Da spürte ich das vertraute Kribbeln. Ich richtete mich auf und wartete.
Sekunden später kam der Kontakt.
»Corwin!«
»Hier Gérard.«
»Was hast du gesagt?« wollte Bill wissen.
Ich hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und konzentrierte mich auf Gérard. Er stand im Schatten vor dem hellen Anfang des Musters und stützte sich auf seine riesige Klinge.
»Du hattest recht«, sagte er. »Brand hat sich eben hier blicken lassen. Ich weiß nicht genau, wie er überhaupt hergekommen ist. Er kam dort drüben links aus den Schatten.« Er machte eine Handbewegung. »Er sah mich einen Augenblick lang an, machte kehrt und marschierte zurück. Auf meine Rufe hat er nicht reagiert. Daraufhin habe ich die Laterne großgestellt, doch er war nirgends zu sehen. Er ist einfach verschwunden! Was soll ich jetzt tun?«
»Trug er das Juwel des Geschicks?«
»Das konnte ich nicht erkennen. Ich habe ihn nur eine Sekunde lang gesehen, bei diesem ganz schlechten Licht.«
»Wird das Muster in Rebma auch bewacht?«
»Ja. Llewella hat die Leute dort alarmiert.«
»Gut. Bleib auf Wache. Ich melde mich wieder.«
»Gut, Corwin – und was die Sache von vorhin angeht . . .«
»Längst vergessen.«
»Vielen Dank. Dieser Ganelon ist ein harter Bursche.«
»Kann man wohl sagen! Schlaf nicht ein!«
Sein Bild verblaßte, als ich den Kontakt fahren ließ; doch im gleichen Augenblick passierte etwas Seltsames. Das Gefühl der Verbindung, der Pfad blieb, objektlos, offen, wie ein eingeschaltetes Radio, das auf keine bestimmten Sender eingestellt ist.
Bill musterte mich mißtrauisch.
»Carl, was geht hier eigentlich vor?«
»Keine Ahnung. Moment noch!«
Plötzlich hatte ich wieder Kontakt, allerdings nicht mit Gérard. Sie mußte versucht haben, mich zu erreichen, während meine Aufmerksamkeit Gérard galt.
»Corwin, es ist wichtig . . .«
»Sprich weiter, Fiona.«
»Was du suchst, wirst du dort nicht finden. Brand hat es.«
»Das ahnte ich schon.«
»Wir müssen ihn aufhalten. Ich weiß nicht, wieviel du weißt . . .«
»Ich auch nicht mehr«, gab ich zurück, »doch ich habe die Muster in Amber und Rebma unter Aufsicht gestellt. Gérard hat mir eben mitgeteilt, daß Brand am Muster von Amber erschienen ist, sich aber hat abschrecken lassen.«
Ihr hübsches kleines Gesicht nickte. Ihre roten Zöpfe waren ungewöhnlich zerzaust. Sie wirkte müde.
»Das ist mir bekannt«, sagte sie. »Ich beobachte ihn nämlich. Eine dritte Möglichkeit hast du allerdings vergessen.«
»Nein«, sagte ich. »Nach meinen Berechnungen dürfte an Tir-na Nog´th noch niemand herankommen . . .«
»Das meinte ich nicht. Er ist unterwegs zum Ur-Muster!«
»Um das Juwel einzustimmen?«
»Richtig!«
»Wollte er dieses Muster beschreiten, müßte er die beschädigten Stellen betreten. Soweit ich weiß, ist das kein geringes Problem.«
»Du weißt also davon«, sagte sie. »Gut, das spart uns Zeit. Die dunklen Stellen würden ihm nicht so sehr zu schaffen machen wie uns anderen. Er hat sich nicht mit der Dunkelheit arrangiert. Wir müssen ihn aufhalten!«
»Kennst du irgendwelche Abkürzungen dorthin?«
»Ja. Komm zu mir. Ich bringe dich hin.«
»Moment noch. Ich möchte Drum bei mir haben.«
»Weshalb denn das?«
»Man weiß nie – sicher ist sicher.«
»Na schön. Dann hol mich zu dir. Wir können genausogut von dort aufbrechen.«
Ich streckte die Hand aus. Gleich darauf hielt ich die ihre umklammert. Sie trat vor. »Himmelherrgott!« sagte Bill und wich zurück. »Ich hatte schon begonnen, an deinem Verstand zu zweifeln, Carl. Jetzt bin ich wohl reif für die Klapsmühle. Sie – sie steht auf einer der Karten, nicht wahr?«
»Ja, Bill, ich möchte dir meine Schwester Fiona vorstellen. Fiona, dies ist Bill Roth, ein guter Freund von mir.«
Fiona hielt ihm die Hand hin und lächelte, und ich ließ die beiden stehen und ging Drum holen. Wenige Minuten später führte ich ihn ins Freie.
»Bill«, sagte ich. »Es tut mir leid, dich gestört zu haben. Mein Bruder hat tatsächlich das Schmuckstück. Wir werden ihn jetzt verfolgen. Vielen Dank für deine Hilfe.«
Ich schüttelte ihm die Hand.
»Corwin«, sagte er, und ich lächelte.
»Ja, so heiße ich.«
»Wir haben uns unterhalten, deine Schwester und ich. In den wenigen Minuten konnte ich nicht viel erfahren, aber ich weiß, daß die Sache gefährlich ist. Viel Glück also: Und eines Tages möchte ich die ganze Geschichte hören.«
»Danke«, erwiderte ich. »Ich sorge dafür, daß du später alles erfährst.«
Ich stieg auf, beugte mich hinab und zog Fiona vor mich in den Sattel.
»Gute Nacht, Mr. Roth«, sagte sie. Dann zu mir: »Reite langsam an, über das Feld.«
Ich gehorchte.
»Brand behauptet, du hättest ihm die Messerwunde beigebracht«, bemerkte ich, als wir weit genug entfernt waren, um uns allein zu fühlen.
»Richtig.«
»Warum?«
»Um dies alles zu verhindern.«
»Ich habe mich lange mit ihm unterhalten. Er sagt, ursprünglich hättest du zusammen mit Bleys und ihm versucht, die Macht zu übernehmen.«