»Richtig.«
»Er erzählte mir, er habe Caine angesprochen, um ihn für eure Seite zu gewinnen, doch Caine wollte davon nichts hören; vielmehr habe er Eric und Julian Bescheid gegeben, was dazu führte, daß die drei eine eigene Gruppe bildeten, um euch den Weg zum Thron zu verstellen.«
»In groben Zügen ist das richtig. Caine hatte eigene ehrgeizige Pläne – langfristige Hoffnungen, doch immerhin Hoffnungen. Allerdings war er nicht in der Lage, sie zu realisieren, und wenn er schon die zweite Geige spielen mußte, wollte er lieber unter Eric als unter Bleys dienen. Das kann ich ihm sogar nachfühlen.«
»Brand behauptet weiterhin, ihr drei hättet ein Arrangement mit den Mächten am Ende der schwarzen Straße, mit den Höfen des Chaos getroffen.«
»Ja, das war richtig.«
»Du sprichst in der Vergangenheit?«
»Für mich und Bleys – jawohl.«
»Aber so hat Brand es nicht dargestellt.«
»Kein Wunder!«
»Er sagte, du und Bleys wolltet dieses Bündnis weiter ausbauen, er aber hätte es sich anders überlegt. Und deswegen, so sagt er, hättet ihr euch seiner entledigt und ihn in jenem Turm eingeschlossen.«
»Warum hätten wir ihn nicht einfach umbringen sollen?«
»Keine Ahnung. Verrat´s mir.«
»Er war zu gefährlich, als daß er frei herumlaufen durfte; andererseits konnten wir ihn nicht umbringen, weil er über etwas Entscheidendes verfügte.«
»Was?«
»Nach Dworkins Verschwinden war Brand der einzige, der wußte, wie der Schaden, den er dem Ur-Muster zugefügt hatte, getilgt werden konnte.«
»Ihr hattet genug Zeit, um diese Information aus ihm herauszubekommen.«
»Er verfügte über unglaubliche Kräfte.«
»Warum bist du dann trotzdem mit dem Dolch auf ihn losgegangen?«
»Um dies alles zu verhindern, wie ich eben schon sagte. Wenn ich zwischen seiner Freiheit oder seinem Tod zu wählen hatte, war es besser, ihn zu töten. Dann hätten wir eben selbst eine Möglichkeit finden müssen, das Muster wiederherzustellen, so riskant das auch sein mag.«
»Wenn das alles so ist, warum hast du dich dann bereit erklärt, an seiner Zurückholung mitzuwirken?«
»Zunächst habe ich nicht daran mitgewirkt, vielmehr habe ich den Versuch sabotieren wollen. Aber zu viele haben sich wirklich Mühe gegeben. Ihr kamt zu ihm durch. Zweitens mußte ich zur Stelle sein und ihn zu töten versuchen, sobald ihr Erfolg hattet. Schade, daß die Dinge sich dann doch ganz anders entwickelt haben.«
»Du behauptest also, du und Bleys hättet Bedenken gehabt wegen eures Bündnisses mit den Kräften der Finsternis – Brand aber nicht?«
»Genau.«
»Wie wirkten sich diese Bedenken auf eure Bestrebungen aus, den Thron zu erlangen?«
»Wir glaubten, wir könnten es ohne weitere Hilfe von außerhalb schaffen.«
»Ich verstehe.«
»Glaubst du mir?«
»Ich fürchte, daß ich mich allmählich überzeugen lasse.«
»Hier abbiegen.«
Ich ritt in einen Einschnitt zwischen Hügeln. Der Weg war eng und sehr dunkel; über uns schimmerte lediglich ein schmales Sternenband. Fiona hatte während unseres Gesprächs die Schatten manipuliert; sie hatte uns von Eds Feld aus in die Tiefe geführt, in ein nebliges, moorähnliches Gebiet, dann wieder in die Höhe, auf einen Felspfad zwischen hohen Bergen. Während wir uns durch den düsteren Engpaß bewegten, spürte ich, wie sie erneut mit den Schatten arbeitete. Die Luft war kühl, aber nicht kalt. Die Schwärze links und rechts war absolut und ließ nicht etwa an schattenumhüllte nahe Felsen denken, sondern erzeugte die Illusion gewaltiger Tiefe. Ich erkannte plötzlich, daß dieser Eindruck durch die Tatsache verstärkt wurde, daß Drums Hufschlag kein Echo fand und auch keinen Nachhall, keine Obertöne hatte.
»Was kann ich tun, um dein Vertrauen zu erringen?« fragte sie.
»Das ist eine kitzlige Frage.«
Sie lachte. »Ich will sie neu formulieren. Was kann ich tun, um dich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit sage?«
»Beantworte mir bitte eine Frage.«
»Welche?«
»Wer hat auf meine Reifen geschossen?«
Wieder lachte sie.
»Du hast es herausgefunden, nicht wahr?«
»Vielleicht. Aber sag´s mir.«
»Brand«, sagte sie. »Er hatte es nicht geschafft, dein Erinnerungsvermögen zu vernichten, also beschloß er, dich ein für allemal auszuschalten.«
»Die Version, die ich bisher kannte, ging davon aus, daß Bleys schoß und mich im See ertrinken ließ, daß Brand aber noch rechtzeitig eintraf, um mich an Land zu ziehen und mir das Leben zu retten. Darauf schien mir auch der Polizeibericht hinzudeuten.«
»Wer aber rief die Polizei?« wollte sie wissen.
»Es war von einem anonymen Anruf die Rede, aber . . .«
»Bleys war der Anrufer. Als ihm klar wurde, was da eigentlich passierte, kam er nicht rechtzeitig an dich heran, um dich zu retten. Er hoffte, daß es die Beamten schaffen würden, was zum Glück der Fall war.«
»Was soll das heißen?«
»Brand hat dich nicht aus dem Autowrack gezerrt. Das hast du selbst geschafft. Er hielt sich in der Nähe auf, um sicher zu gehen, daß du auch tot warst. Statt dessen kamst du an die Wasseroberfläche und schwammst an Land. Er ging zu dir und beschäftigte sich gerade mit dir, um zu sehen, ob du von allein sterben würdest oder er dich wieder ins Wasser schubsen mußte. Etwa um diese Zeit traf die Polizei ein, und er mußte verschwinden. Wir erwischten ihn kurz darauf und vermochten ihn festzuhalten und in den Turm zu sperren. Das war keine Kleinigkeit. Später setzte ich mich mit Eric in Verbindung und teilte ihm mit, was geschehen war. Daraufhin befahl er Flora, dich in das andere Krankenhaus zu bringen und dafür zu sorgen, daß du bis nach seiner Krönung dort bliebst.«
»Es paßt alles«, sagte ich. »Vielen Dank.«
»Was paßt?«
»Ich war nur ein kleiner Landarzt in einer weniger komplizierten Zeit, und mit psychiatrischen Fällen hatte ich nie viel zu tun. Aber ich weiß, daß man niemandem eine Elektroschocktherapie verschreibt, wenn man sein Gedächtnis wiederherstellen will. EST bewirkt im allgemeinen genau das Gegenteil – es zerstört Kurzzeiterinnerungen. Mein Verdacht begann sich zu regen, als ich erfuhr, daß Brand mir eine solche Behandlung verschafft hatte. Darauf baute ich meine Hypothese auf. Das Autowrack löste keine Erinnerungen aus, ebensowenig das EST. Ich hatte schließlich begonnen, mein Gedächtnis auf natürlichem Wege zurückzugewinnen und nicht als Folge eines bestimmten Traumas. Ich muß irgend etwas getan oder gesagt haben, das auf diese Entwicklung hindeutete. Irgendwie erfuhr Brand davon und kam zu dem Schluß, daß dies keine gute Sache wäre. Also suchte er meinen Schatten auf, brachte mich in psychiatrischen Gewahrsam und unterwarf mich einer Behandlung, von der er hoffte, daß sie jene Dinge wieder auslöschen würde, an die ich mich seit kurzem erinnern konnte. Damit hatte er nur zum Teil Erfolg: Ich war nur in den Tagen unmittelbar nach der Behandlung verwirrt. Vielleicht hat auch der Unfall dazu beigetragen. Als ich jedoch aus dem Porter-Sanatorium floh und seinen Mordversuch überlebte, setzte sich der Prozeß der Erholung fort, und erst recht, als ich in Greenwood wieder zu mir kam und auch dieses Krankenhaus verließ. Schon bei Flora kehrten meine Erinnerungen schneller zurück. Der Vorgang wurde weiterhin beschleunigt, als Random mich nach Rebma mitnahm, wo ich das Muster beschritt. Wäre das nicht geschehen, davon bin ich jetzt überzeugt, wäre mir trotzdem alles wieder eingefallen. Es hätte bestimmt länger gedauert, aber der Damm war gebrochen, die Erneuerung des Gedächtnisses war ein fortlaufender Prozeß, der sich mit der Zeit immer mehr beschleunigte. Ich schloß also, daß Brand mich hatte behindern wollen, und das paßt nun zu den Dingen, die du eben erzählt hast.«
Das Band der Sterne war noch schmaler geworden und verschwand schließlich völlig. Wir bewegten uns scheinbar durch einen völlig schwarzen Tunnel, an dessen anderem Ende ein sehr vager Lichtschimmer zu erkennen war.