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»Ja«, sagte sie in der Dunkelheit vor mir, »du hast richtig vermutet. Brand hatte Angst vor dir. Er behauptete, er hätte eines Nachts in Tir-na Nog´th deine Rückkehr erschaut, zum Nachteil für unsere Pläne. Damals achtete ich nicht weiter auf ihn, wußte ich doch gar nicht, daß du noch am Leben warst. Kurz darauf muß er sich auf die Suche nach dir gemacht haben. Ob er deinen Aufenthaltsort auf übernatürlichem Wege herausfand oder ihn nur in Erics Verstand las, weiß ich nicht. Vermutlich das letztere. Gelegentlich vollbringt er solche Taten. Jedenfalls fand er dich – und den Rest weißt du selbst.«

»Es waren Floras Anwesenheit an jenem Ort und ihre seltsame Beziehung zu Eric, die sein Mißtrauen weckten. Jedenfalls behauptet er das. Aber darauf kommt es nicht mehr an. Was gedenkst du mit ihm zu tun, wenn wir ihn erwischen?«

Sie lachte leise.

»Du hast deine Klinge bei dir«, sagte sie.

»Brand sagte mir kürzlich, Bleys sei noch am Leben. Ist das richtig?«

»Ja.«

»Warum bin ich dann hier und nicht Bleys?«

»Bleys ist nicht auf das Juwel eingestimmt – im Gegensatz zu dir. Du hast aus geringer Entfernung Einfluß darauf, und es wird versuchen, dich zu schützen, solltest du in Lebensgefahr sein. Das Risiko ist deshalb nicht besonders groß«, sagte sie und fuhr fort: »Aber du solltest dich nicht zu sehr darauf verlassen. Ein schneller Hieb kann der Reaktion des Juwels zuvorkommen. Du könntest trotz allem in seiner Gegenwart sterben.«

Das Licht vor uns wurde größer und heller, doch es kamen kein Windhauch, kein Laut und auch kein Geruch aus dieser Richtung. Im Weiterreiten dachte ich an die verschiedenen Konstellationen von Erklärungen, die ich seit meiner Rückkehr gehört hatte, jede Version mit einem eigenen Komplex an Motiven und Rechtfertigungen für die Geschehnisse während meiner Abwesenheit, für die Ereignisse seither und die bevorstehenden Dinge. An all die Emotionen, die Pläne, die Gefühle, die Ziele, die ich wie eine Sturzflut durch das Gebäude der Tatsachen hatte strömen sehen, das ich auf dem Grab meines anderen Ich errichtete – und obwohl in der besten Steinschen Tradition eine Tat eine Tat ist, verschob jede Woge der Interpretation, die mich untertauchen ließ, dieses oder jenes Detail, das ich fest verankert geglaubt hatte, und führte dadurch eine Veränderung des Ganzen herbei, mit der Folge, daß das Leben mir fast wie ein bewegtes Spiel der Schatten um das Amber einer nie zu erlangenden Wahrhaftigkeit anmutete. Trotzdem, ich konnte nicht leugnen, daß ich inzwischen mehr wußte als noch vor mehreren Jahren, daß ich dem Kern der Dinge näher stand als früher, daß der ganze Strom der Ereignisse, der mich bei meiner Rückkehr ergriffen hatte, nun der letzten Lösung entgegenzustürzen schien. Und was wollte ich dabei? Ich wünschte mir eine Chance, zu erfahren, was richtig war, eine Chance, danach zu handeln! Ich lachte. Wem gelingt es jemals, die erste Chance zu erringen, geschweige denn die zweite? Also eine vernünftige Annäherung an die Wahrheit. Das würde genügen . . . Und die Gelegenheit, meine Klinge ein paarmal in die richtige Richtung zu schwingen: Ich lachte wieder und vergewisserte mich, daß mein Schwert locker in der Scheide saß.

»Brand sagt, Bleys hätte eine neue Armee aufgestellt . . .«, begann ich.

»Später«, sagte sie, »später. Dazu ist keine Zeit mehr.«

Sie hatte recht. Das Licht war größer geworden, hatte sich zu einer kreisförmigen Öffnung erweitert. Die Erscheinung hatte sich mit einem Tempo genähert, das nichts mit dem Schritt des Pferdes zu tun haben konnte; als zöge sich der Tunnel selbst zusammen. Tageslicht schien durch die Öffnung hereinzudringen, die ich mir als Tunnelausgang vorstellte.

»Also schön«, sagte ich, und gleich darauf erreichten wir die Öffnung und stürmten hindurch.

Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte. Links befand sich das glitzernde Meer, das mit einem hellen Himmel zu verschmelzen schien. Die goldene Sonne, die darin schwebte, schien aus allen Richtungen gleichzeitig mit grellen Strahlen einzufallen. Hinter mir war nur noch Felsgestein; der Tunnel verschwunden. Ziemlich dicht unter uns, etwa hundert Fuß entfernt – lag das Ur-Muster. Eine Gestalt durchschritt den zweiten seiner äußeren Bögen; sie war dermaßen konzentriert, daß sie unsere Gegenwart offenbar noch nicht wahrgenommen hatte. Als sie um eine Biegung kam, ein rotes Aufblitzen: das Juwel, das um ihren Hals hing wie zuvor um meinen, um Erics und Vaters Hals. Die Gestalt war natürlich Brand.

Ich stieg ab, blickte zu Fiona empor, eine nervöse zierliche Person. Ich reichte ihr Drums Zügel.

»Hast du irgendeinen Vorschlag – außer ihn zu verfolgen?« flüsterte ich.

Sie schüttelte den Kopf.

Da wandte ich mich um, zog Grayswandir und machte mich an den Abstieg.

»Viel Glück«, sagte sie leise.

Als ich mich dem Muster näherte, erblickte ich die lange Kette, die von der Höhlenöffnung zur unbeweglichen Gestalt des Greifen führte. Der Kopf des Tieres lag auf dem Boden, mehrere Schritte vom Rest seines Körpers entfernt. Körper und Kopf hatten den Felsboden mit Blut besudelt.

Als ich mich dem Ausgangspunkt des Musters näherte, stellte ich eine hastige Berechnung an. Brand hatte bereits mehrere Kurven der gewaltigen Spirale des Musters hinter sich. Er war annähernd zweieinhalb Biegungen vom Anfang entfernt. Sobald wir nur noch durch eine Windung voneinander getrennt waren, vermochte ich ihn mit meiner Klinge zu erreichen, sobald ich einen Standpunkt parallel zu seinem erreicht hatte. Allerdings war das Vorankommen schwerer, je tiefer man in das Muster eindrang. Folglich bewegte sich Brand mit ständig abnehmendem Tempo. Es wurde also knapp. Ich brauchte ihn gar nicht zu fangen. Ich brauchte nur anderthalb Windungen aufzuholen, um ihn über den Streifen zwischen den Linien hinweg berühren zu können.

Ich stellte den Fuß auf das Muster und machte mich auf den Weg, schritt aus, so schnell ich konnte. Als ich mich in der ersten Kurve gegen den wachsenden Widerstand bewegte, begannen die blauen Funken um meine Füße emporzustieben. Das Feuerwerk nahm schnell an Größe zu. Ich erreichte den Ersten Schleier, und meine Haare begannen sich aufzurichten. Das Knistern der Funken war nun deutlich vernehmbar. Ich stemmte mich gegen den Druck des Schleiers, wobei ich überlegte, ob Brand mich bereits entdeckt hatte: Jedenfalls konnte ich es mir in diesem Augenblick nicht leisten, zu ihm hinüberzublicken und mich womöglich ablenken zu lassen. Ich ging verstärkt gegen den Widerstand vor, und einige Schritte später war ich durch den Schleier und kam wieder etwas leichter voran.

Nun blickte ich auf. Brand verließ soeben den schrecklichen Zweiten Schleier; die blauen Funken sprangen hüfthoch. Er hatte ein Lächeln der Entschlossenheit und des Triumphes auf dem Gesicht, als er freikam und den nächsten Schritt machte. In dem Moment sah er mich.

Sein Lächeln erlosch, und er zögerte – ein Punkt zu meinen Gunsten. Wenn es nicht unbedingt sein muß, bleibt man auf dem Muster nicht stehen. Hält man an, kostet es erhebliche zusätzliche Energien, um wieder in Gang zu kommen.

»Du kommst zu spät!« rief er.

Ich antwortete nicht, sondern schritt eilig weiter aus. Blaues Feuer sprühte von den Linien des Musters auf Grayswandirs Klinge.

»Du schaffst es nicht über die schwarze Stelle«, rief er.

Ich ging weiter. Der schwarze Fleck lag vor mir. Ich war froh, daß sich der Schaden nicht über einen der schwierigeren Teile des Musters erstreckte. Brand setzte sich wieder in Bewegung und ging langsam auf die Große Kurve zu. Wenn ich ihn dort erwischte, hatte er keine Chance. In der Kurve hatte er weder die Kraft noch das Reaktionsvermögen, um sich erfolgreich zu verteidigen.

Als ich mich dem beschädigten Teil des Musters näherte, dachte ich an die Art und Weise, wie Ganelon und ich während unserer Flucht aus Avalon die schwarze Straße durchschnitten hatten. Es war mir gelungen, die Macht der Straße zu brechen, indem ich mir während der Überquerung das Bild des Musters vor Augen gehalten hatte. Hier war ich zwar ringsum von dem Muster selbst umgeben, doch die Strecke war nicht annähernd so groß. Ich hatte im ersten Augenblick angenommen, daß Brand mich mit seiner Drohung lediglich unsicher machen wollte, aber jetzt sagte ich mir, daß die Kraft des Schwarzen hier an ihrer Quelle womöglich viel stärker war. Als ich vor der verwischten Stelle stand, flammte Grayswandir in plötzlicher Intensität auf. Einer Eingebung folgend, setzte ich die Spitze der Klinge an den Rand des schwarzen Flecks – dort, wo die Linie des Musters endete.