Brand hob den Kopf. Vermutlich hätte ich ihn in diesem Augenblick töten können, doch er war vom Zielgebiet noch einige Schritte entfernt.
Er faßte sich schnell Und starrte mich finster an.
»Verdammt, Corwin! Das Ding kommt von dir, nicht wahr?« rief er und griff an, wobei er den letzten Rest von Vorsicht über Bord warf.
Leider war ich jetzt in einer schlechten Ausgangslage, aufgrund meines Bemühens, ihn auch den Rest des Weges vor mir her zu treiben. Ich war ohne Deckung und nicht sehr standfest. Noch während ich parierte, wurde mir klar, daß ich so nicht durchkam. Ich drehte mich zur Seite und stürzte rückwärts.
Dabei versuchte ich die Füße auf der Linie des Musters zu halten. Ich fing mich mit dem rechten Ellbogen und der linken Hand ab und fluchte. Der Schmerz war zu groß; mein Ellbogen glitt ab, und ich fiel auf die rechte Schulter.
Brands Stich aber hatte mich verfehlt, und in blauen Kaskaden berührten meine Füße noch immer die Linie. Brand vermochte nun keinen Todesstoß mehr anzubringen; dazu war ich zu weit entfernt; er konnte mir höchstens die Achillessehnen durchschneiden.
Grayswandir haltend, hob ich den rechten Arm. Ich versuchte mich aufzurichten. Dabei erkannte ich, daß die rote Formation, die am Rande gelblich schimmerte, nun direkt über Brand kreiselte, knisternd vor Funken und kleinen Blitzen, während das Brausen zu einem schrillen Heulton anschwoll.
Brand packte seine Klinge unter dem Griffschutz und hob sie über die Schulter wie einen Speer, der in meine Richtung wies. Ich wußte, daß ich diese Attacke nicht parieren, ihr nicht ausweichen konnte.
Dieser Erkenntnis folgend, griff ich im Geiste nach dem Juwel und zu dem Gebilde am Himmel . . .
Helles Licht zuckte auf, als ein kleiner Blitzfinger herablangte und seine Waffe berührte.
Die Klinge fiel ihm aus der Hand, die Hand hob sich ruckartig an seinen Mund. Mit der Linken zerrte er am Juwel des Geschicks, als würde ihm plötzlich klar, was ich tat, als wollte er meinen Angriff zunichtemachen, indem er den Stein bedeckte. An seinen Fingern saugend, blickte er empor; der Ausdruck des Zorns wich aus seinem Gesicht und wurde von einem der Angst, ja des Entsetzens abgelöst. Der Kegel begann sich herabzusenken.
Er machte kehrt, betrat das schwarze Gebiet und wandte sich nach Süden. Ruckhaft hob er beide Arme und schrie etwas, das ich über dem Heulen nicht verstehen konnte.
Der Kegel stürzte auf ihn zu, doch noch während der Annäherung schien er plötzlich zweidimensional zu werden. Sein Umriß schwankte. Er begann zu schrumpfen – was aber nicht eine Funktion tatsächlicher Größe zu sein schien, sondern eher die Auswirkung eines Davonrückens. Er wurde kleiner, immer kleiner und war verschwunden, einen Sekundenbruchteil bevor der Kegel die Stelle bedeckte, an der er eben noch gestanden hatte.
Mit ihm verschwand das Juwel, so daß ich nun keine Möglichkeit mehr hatte, das Gebilde über mir zu kontrollieren. Ich wußte nicht, ob es besser war, am Boden sitzenzubleiben oder aufzustehen. Ich entschied mich für das letztere, denn der Wirbelwind schien es auf Dinge abgesehen zu haben, die den normalen Fluß des Musters störten. Ich rutschte vorsichtig zur Linie. Dann beugte ich mich vor, bis ich hockte; gleichzeitig hatte der Kegel wieder zu steigen begonnen. Das Heulen glitt dabei in eine tiefere Tonlage ab. Das blaue Feuer um meine Stiefel war erloschen. Ich drehte mich um und sah zu Fiona hinüber. Sie bedeutete mir aufzustehen und weiterzugehen.
Ich richtete mich langsam auf, wobei ich sah, daß sich der Wirbel über mir weiter auflöste. Ich näherte mich der Stelle, auf der Brand eben noch gestanden hatte, und ließ mir von Grayswandir den Weg öffnen. Die verbogenen Überreste von Brands Klinge lagen auf der anderen Seite des dunklen Flecks.
In diesem Augenblick wünschte ich mir, es gäbe einen schnellen Weg aus dem Muster. Es kam mir sinnlos vor, den Weg zu vollenden. Doch es gibt keine Umkehr, sobald man es einmal betreten hat, und ich wagte es nicht, über den schwarzen Fleck zu entfliehen. So näherte ich mich der Großen Kurve. Ich fragte mich, wohin Brand geflohen sein mochte. Ich hätte dem Muster befehlen können, mich ebenfalls dorthin zu versetzen. Vielleicht hatte Fiona eine Idee. Wahrscheinlich würde er sich aber ein Versteck suchen, in dem er Verbündete hatte. Sinnlos also, ihn allein zu verfolgen.
Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ich zumindest seine Einstimmung auf das Juwel verhindert hatte.
Dann erreichte ich die Große Kurve. Ringsum züngelten die Funken empor.
12
Spätnachmittag auf einem Berg: Die im Westen stehende Sonne schien grell auf die Felsen zu meiner Linken, schnitt lange Schatten in die Felsbrocken rechts von mir; ihr Licht sickerte durch das Laub rings um mein Grabmal und wirkte in gewissem Maße gegen die kalten Winde des Kolvir. Ich ließ Randoms Hand los und wandte mich zu dem Mann um, der auf der Bank vor dem Mausoleum saß.
Es war das Gesicht des Jünglings auf dem durchstochenen Trumpf. Linien zogen sich um seinen Mund, die Stirn wirkte betonter, und in der Bewegung der Augen, in der ganzen Gesichtshaltung lag eine Wachsamkeit, die auf der Karte nicht erkennbar gewesen war.
Ich wußte Bescheid, noch ehe Random sagte: »Dies ist mein Sohn Martin.«
Martin stand auf, als ich näherkam, ergriff meine Hand und sagte: »Onkel Corwin.« Dabei veränderte sich sein Gesichtsausdruck kaum. Er musterte mich aufmerksam.
Er war mehrere Zoll größer als Random, hatte aber dieselbe schlanke Statur. Kinn und Wangenknochen waren gleich geschnitten, das Haar ähnlich beschaffen.
Ich lächelte.
»Du bist lange fort gewesen«, sagte ich. »Dasselbe gilt für mich.«
Er nickte.
»Aber ich bin nie im eigentlichen Amber gewesen«, sagte er. »Aufgewachsen bin ich in Rebma – und an anderen Orten.«
»Dann möchte ich dich willkommen heißen, Neffe. Du stößt in einem interessanten Augenblick zu uns. Random hat dir sicher davon erzählt.«
»Ja«, sagte er. »Deshalb habe ich darum gebeten, dich hier zu sprechen – und nicht etwa in der Stadt.«
Ich blickte zu Random.
»Der letzte Onkel, den er kennenlernte, war Brand«, erklärte dieser. »Die Begegnung verlief sehr unangenehm. Nimmst du ihm das übel?«
»Aber nein. Ich bin ihm vorhin selbst über den Weg gelaufen. Ich kann nicht gerade behaupten, daß es die angenehmste Begegnung gewesen ist.«
»Über den Weg gelaufen?« fragte Random. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
»Er hat Amber verlassen und verfügt über das Juwel des Geschicks . Hätte ich früher gewußt, was ich jetzt weiß, säße er nach wie vor in seinem Turm. Er ist der Gesuchte, und er ist sehr gefährlich.«
Random nickte.
»Ich weiß«, sagte er. »Martin hat alle unsere Vermutungen hinsichtlich des Überfalls bestätigt – es war Brand, der den Dolch führte. Aber was war das eben mit dem Juwel?«
»Er war als erster an dem Ort auf der Schatten-Erde, wo ich das Juwel zurückgelassen hatte. Nun muß er allerdings damit das Muster beschreiten und sich durch den Stein projizieren, um es auf sich einzustimmen und es einsetzen zu können. Er hat es auf dem Ur-Muster des echten Ambers versucht – ich konnte das verhindern. Dabei ist er mir allerdings entkommen. Ich komme gerade von Gérard; wir haben eine Abteilung Wächter dorthin geschickt, zu Fiona, damit er nicht zurückkehrt und es noch einmal versucht. Unser eigenes Muster und das in Rebma werden ebenfalls bewacht.«