Er errötete. »Nein«, sagte er etwas zu hastig. »Nur das einemal.«
»Ich verstehe«, erwiderte ich. Random war ein zu guter Pokerspieler, um dieses Signal zu übersehen; so hatte ich uns eine schnelle Bestätigung verschafft um den geringen Preis, daß ein Vater gegenüber seinem lang verlorenen Sohn mißtrauisch wurde.
Ich brachte die Sprache wieder auf Brand. Als wir gerade dabei waren, unsere psychopathologischen Beobachtungen zu vergleichen, spürte ich plötzlich das leise Kribbeln und das Gefühl der Anwesenheit, die einen Trumpfkontakt ankündigten. Ich hob die Hand und wandte mich zur Seite.
Gleich darauf bestand der Kontakt, und Ganelon und ich sahen uns an.
»Corwin«, sagte er. »Ich hielt die Zeit für gekommen, mich nach dir zu erkundigen. Hast du das Juwel, oder hat Brand das Juwel, oder sucht ihr beide danach? Wie lautet die Antwort?«
»Brand hat das Juwel«, sagte ich.
»Um so schlimmer«, sagte er. »Erzähl mir davon.«
Das tat ich.
»Dann hat Gérard also alles richtig mitbekommen«, sagte er.
»Er hat dir das alles schon mitgeteilt?«
»Nicht so detailliert«, erwiderte Ganelon, »außerdem wollte ich mich vergewissern, daß ich alles richtig verstanden hatte. Ich habe bis eben mit ihm gesprochen.« Er blickte nach oben. »Ich würde sagen, daß ihr euch langsam in Bewegung setzen solltet, wenn mich meine Erinnerungen an den Zeitpunkt des Mondaufgangs nicht täuschen.«
Ich nickte. »Ja, ich breche bald zur Treppe auf. Sie ist nicht allzuweit entfernt.«
»Gut. Du mußt dich auf folgendes vorbereiten . . .«
»Ich weiß, was ich tun muß«, sagte ich. »Ich muß vor Brand nach Tir-na Nog´th hinaufsteigen und ihm den Weg zum Muster verstellen. Wenn mir das nicht gelingt, muß ich ihn noch einmal durch das Muster verfolgen.«
»Das ist nicht die richtige Methode«, sagte er.
»Hast du einen besseren Plan?«
»Ja. Du hast deine Trümpfe bei dir?«
»Ja.«
»Erstens bist du auf keinen Fall in der Lage, schnell genug dort hinaufzusteigen, um ihm den Weg zum Muster zu verstellen . . .«
»Warum nicht?«
»Du mußt den Aufstieg machen, dann zum Palast marschieren und dort zum Muster vordringen. Das kostet Zeit, sogar in Tir-na Nog´th – und besonders in Tir-na Nog´th, wo die Zeit ohnehin ihre Tücken hat. Vielleicht steckt in dir ja ein unbewußter Zerstörungsdrang, der dich langsamer gehen läßt. Wie auch immer, wenn du eintriffst, ist er bestimmt schon auf dem Muster. Durchaus möglich, daß er diesmal schon zu weit vorgestoßen wäre und du ihn nicht mehr einholen könntest.«
»Er wird müde sein. Das macht ihn bestimmt langsamer.«
»Nein. Versetz dich mal an seine Stelle. Wenn du Brand wärst, würdest du dich nicht in einen Schatten zurückziehen, in dem die Zeit anders läuft? Anstelle eines Nachmittags kann er sich durchaus mehrere Tage Ruhe verschafft haben, um für die Anstrengungen dieses Abends gerüstet zu sein. Sicherheitshalber solltest du annehmen, daß er gut bei Kräften ist.«
»Du hast recht«, entgegnete ich. »Darauf verlassen darf ich mich nicht. Also gut. Eine andere Möglichkeit, die ich mir überlegt hatte, die ich aber nur im äußersten Notfall in Betracht ziehen wollte, liefe darauf hinaus, ihn aus der Ferne zu töten. Ich nehme eine Armbrust oder eines unserer Gewehre mit und erschieße ihn einfach mitten auf dem Muster. Problematisch ist dabei die Wirkung unseres Blutes auf das Muster. Kann sein, daß nur das Ur-Muster darunter leidet, aber ich weiß es nicht.«
»Richtig. Du weißt es nicht«, sagte er. »Außerdem würde ich nicht empfehlen, daß du dich dort oben auf normale Waffen verläßt. Die Stadt am Himmel ist ein seltsamer Ort. Du hast selbst gesagt, sie wäre wie ein seltsames Stück Schatten, das am Himmel dahintreibt. Du weißt zwar, wie man in Amber ein Gewehr zum Funktionieren bringt – aber vielleicht gelten diese Regeln da oben nicht mehr.«
»Ein Risiko ist es«, gab ich zu.
»Und die Armbrust – was ist, wenn ein plötzlicher Windstoß den Pfeil ablenkt, so oft du auf Brand schießt?«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das Juwel. Er ist damit durch einen Teil des Ur-Musters gegangen und hat seither ein bißchen Zeit gehabt, damit herumzuexperimentieren. Hältst du es für möglich, daß er schon etwas darauf eingestimmt ist?«
»Keine Ahnung. Soviel weiß ich gar nicht über seine Funktion.«
»Ich wollte dich nur darauf hinweisen, daß er das Juwel, wenn es wirklich so arbeitet, vielleicht zu seiner Verteidigung einsetzen kann. Der Stein mag sogar noch andere Eigenschaften besitzen, von denen du noch keine Ahnung hast. Damit will ich sagen, du solltest dich nicht zu sehr darauf verlassen, daß du in der Lage bist, ihn auf Distanz zu töten. Und bau bitte auch nicht darauf, noch einmal mit demselben Trick durchzukommen – nicht wenn er sich inzwischen eine gewisse Kontrolle über das Juwel angeeignet hat.«
»Du stellst die Verhältnisse ein wenig problematischer dar, als ich sie mir zurechtgelegt hatte.«
»Wahrscheinlich aber auch realistischer«, sagte er.
»Zugegeben. Sprich weiter. Du hast etwas von einem Plan gesagt.«
»Richtig. Ich meine, wir dürfen es überhaupt nicht zulassen, daß Brand das Muster erreicht; meines Erachtens erhöht sich die Gefahr einer Katastrophe beträchtlich, wenn er auch nur einen Fuß darauf stellt.«
»Und du glaubst nicht, daß ich rechtzeitig zur Stelle sein könnte?«
»Nicht, wenn er fast ohne Zeitverlust herumspringen kann, während du erst lange zu Fuß unterwegs sein mußt. Ich würde sagen, er wartet nur auf den Mondaufgang, und sobald die Stadt Gestalt annimmt, wird er direkt am Muster auftauchen.«
»Ich verstehe deine Einwände, weiß aber keine Antwort darauf.«
»Die Antwort ist, daß du Tir-na Nog´th heute nacht gar nicht betreten wirst.«
»Moment mal!«
»Luft anhalten! Du hast einen Meisterstrategen ins Spiel geholt, da solltest du dir anhören, was er zu sagen hat.«
»Na schön, ich höre.«
»Du hast mir zugestimmt, daß du wahrscheinlich nicht rechtzeitig an das Muster herankommst. Aber jemand anders könnte das schaffen.«
»Wer und wie?«
»Hör zu. Ich habe mit Benedict gesprochen. Er ist zurück. Im Augenblick befindet er sich in Amber unten im Saal mit dem Muster. Er dürfte das Muster inzwischen beschriften haben und in der Mitte warten. Du begibst dich unten an die Treppe zur Himmelsstadt. Dort erwartest du das Aufgehen des Mondes. Sobald Tir-na Nog´th Gestalt annimmt, setzt du dich über Trumpf mit Benedict in Verbindung. Du sagst ihm, daß alles bereit ist, dann nutzt er die Macht des Musters von Amber, um sich zum Muster von Tir-na Nog´th versetzen zu lassen. Wie schnell Brand auch reist – dem kann er nicht zuvorkommen.«
»Ich sehe den Vorteil«, sagte ich. »Das ist die schnellste Methode, einen Mann dort hinaufzuschaffen – und Benedict ist zweifellos ein guter Kämpfer. Er dürfte mit Brand keine Schwierigkeiten haben.«
»Glaubst du wirklich, Brand trifft keine anderen Vorbereitungen?« fragte Ganelon. »Nach allem, was ich über ihn gehört habe, ist er trotz seiner Verbohrtheit sehr schlau. Vielleicht hat er sich auf etwas Ähnliches vorbereitet.«
»Möglich. Hast du eine Ahnung, was er tun wird?«
Ganelon holte aus und klatschte sich mit der Hand gegen den Hals.
»Eine Wanze«, sagte er lächelnd. »Verzeih mir. Lästiges kleines Ding.«
»Du glaubst immer noch . . .«
»Ich glaube, du solltest den Kontakt mit Benedict aufrechterhalten, solange er dort oben ist, jawohl. Wenn Brand die Oberhand gewinnt, mußt du Benedict vielleicht herausholen, um sein Leben zu retten.«
»Selbstverständlich. Aber dann . . .«
»Damit hätten wir eine Schlacht verloren. Zugegeben. Aber nicht den Kampf um Amber. Selbst wenn er das Juwel voll auf sich eingestimmt hätte, müßte er an das Ur-Muster heran, um wirklichen Schaden anzurichten – und das wird streng bewacht.«
»Ja«, sagte ich. »Du scheinst dir alles genau überlegt zu haben. Und so schnell. Ich bin überrascht.«