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Brand schüttelte den Kopf und ließ sein Haar fliegen. Im gleichen Augenblick zog eine dünne Wolke vor dem Mond vorbei, und das Bild des Musters schwankte. Tir-na Nog´th verblaßte etwas, gewann dann seine normale Helligkeit zurück.

»Du meinst es ja wirklich ernst!« sagte Brand, der die Störung offenbar nicht bemerkt hatte. »Dann will ich dich nicht weiter in Versuchung führen. Probieren mußte ich es jedenfalls.« Wieder blieb er stehen und sah seinen Bruder an. »Du bist ein zu guter Mann, um dich für das Durcheinander in Amber zu verschwenden, um etwas zu verteidigen, das offensichtlich im Zerfall begriffen ist. Ich werde nämlich siegen, Benedict. Ich werde Amber auslöschen und es neu erbauen. Ich werde das alte Muster ausradieren und ein eigenes zeichnen. Dabei kannst du mich begleiten. Ich möchte dich auf meiner Seite haben. Ich werde eine vollkommene Welt schaffen, eine, die einen leichteren Zugang von und zu den Schatten möglich macht. Ich werde Amber mit den Höfen des Chaos verschmelzen. Ich werde dieses Reich durch sämtliche Schatten ausdehnen. Du wirst Legionen befehligen, die mächtigsten Streitkräfte, die es je gegeben hat. Du . . .«

»Wenn deine neue Welt so vollkommen wäre, wie du sagst, Brand, bestünde kein Bedarf mehr an Legionen. Wenn sie andererseits den Geist ihres Schöpfers widerspiegeln würde, wäre sie für mich keinesfalls eine Verbesserung der jetzigen Zustände. Vielen Dank für dein Angebot, doch ich halte mich an das Amber, das bereits besteht.«

»Du bist ein Dummkopf, Benedict. Ein wohlmeinender Dummkopf, aber doch nur ein Dummkopf . . .«

Lässig setzte er sich wieder in Bewegung. Noch war er vierzig Fuß von Benedict entfernt, dann dreißig . . . Er ging weiter. Schließlich blieb er zwanzig Fuß entfernt stehen, hakte die Daumen in den Gürtel und starrte Benedict an, der den Blick erwiderte. Ich schaute nach den Wolken. Ein langer dunkler Streifen rückte zum Mond vor. Doch ich konnte Benedict jederzeit herausholen. Es war kaum gerechtfertigt, ihn in diesem Augenblick zu stören.

»Na, warum kommst du nicht und stichst mich nieder?« fragte Brand jetzt. »Schließlich bin ich unbewaffnet, da sollte das doch kein Problem sein. Die Tatsache, daß in unseren Adern dasselbe Blut fließt, macht doch keinen Unterschied, oder? Worauf wartest du noch?«

»Ich habe dir schon gesagt, daß ich dir nicht wehtun möchte«, sagte Benedict.

»Und doch bist du dazu bereit, sollte ich versuchen, an dir vorbeizukommen?«

Benedict nickte.

»Gib zu, daß du Angst vor mir hast, Benedict! Ihr alle habt Angst vor mir. Selbst wenn ich waffenlos vorrücke wie jetzt, rührt sich die Furcht in deinen Eingeweiden. Du siehst mein Selbstbewußtsein und verstehst es nicht. Du mußt einfach Angst haben!«

Benedict antwortete nicht.

». . . Und du fürchtest mein Blut an deinen Händen«, fuhr Brand fort, »du fürchtest meinen Todesfluch.«

»Hast du Martins Blut an deinen Händen gefürchtet?« fragte Benedict.

»Dieser unreife Bastard?« rief Brand. »Der gehörte doch nicht wirklich zu uns. Er war lediglich ein Werkzeug.«

»Brand, ich habe nicht den Wunsch, einen Bruder zu töten. Gib mir das Schmuckstück, das du da um den Hals trägst, und kehre mit mir nach Amber zurück. Es ist nicht zu spät, alles zu regeln.«

Brand warf den Kopf in den Nacken und lachte.

»Edel gesprochen, Benedict! Wie ein wahrer Herr des Reiches! Du beschämst mich mit deiner übertriebenen Rechthaberei! Und was ist der entscheidendste Punkt von allen?« Er streichelte das Juwel des Geschicks. »Das Ding hier?« Wieder lachte er und trat vor. »Dieses Steinchen? Würde seine Übergabe uns Frieden, Freundschaft, Ordnung schenken? Würde er mein Leben sichern?«

Er blieb zum wiederholten Male stehen, jetzt nur noch zehn Fuß von Benedict entfernt. Er hob das Juwel mit zwei Fingern und blickte darauf hinab.

»Bist du dir über die Kräfte im klaren, die in diesem Stein schlummern?« fragte er.

»Jedenfalls soweit, daß . . .«, begann Benedict, und seine Stimme brach.

Hastig machte Brand einen weiteren Schritt. Das Juwel schimmerte hell vor ihm. Benedicts Hand hatte sich zur Klinge bewegen wollen, sie aber nicht erreicht. Er stand starr da, als sei er plötzlich in ein Denkmal verwandelt worden. Endlich begriff ich, doch es war längst zu spät.

Auf Brands Worte war es gar nicht angekommen – sie waren im Grunde nur Ablenkung gewesen, während er sich vorsichtig in die richtige Entfernung manövrierte. Er war in der Tat teilweise auf das Juwel eingestimmt, und die beschränkte Kontrolle, die er darüber hatte, reichte aus, um etwas damit zu tun, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Er aber mußte es von Anfang an gewußt haben. Brand war absichtlich ein Stück von Benedict entfernt gelandet, hatte das Juwel ausprobiert, war ein Stück nähergekommen, hatte es erneut versucht, war immer weitergegangen und hatte es immer wieder versucht, bis er den Punkt gefunden hatte, von dem aus er auf Benedicts Nervensystem einwirken konnte.

»Benedict«, sagte ich, »du solltest jetzt lieber zu mir kommen.« Ich brachte meine ganze Willenskraft zum Tragen, doch er rührte sich nicht, er reagierte nicht. Sein Trumpf funktionierte, ich spürte seine Gegenwart, ich verfolgte die Ereignisse durch die Karte, doch ich kam nicht mehr an Benedict heran. Das Juwel beeinflußte offenbar mehr als nur seine motorischen Fähigkeiten.

Wieder blickte ich zu den Wolken empor. Sie breiteten sich immer mehr aus, begannen langsam nach dem Mond zu greifen. Es sah so aus, als würden sie ihn bald verdecken. Wenn ich Benedict dann nicht zurückholen konnte, würde er ins Meer stürzen, sobald das Licht ganz verdeckt war, sobald die Stadt verschwand. Brand! Wenn er die Entwicklung mitbekam, konnte er das Juwel benutzen, um die Wolken zu vertreiben. Aber um das zu tun, mußte er Benedict wahrscheinlich freigeben. Ich nahm nicht an, daß er dazu bereit war. Die Wolken schienen sich nur langsam zu bewegen. Vielleicht machte ich mir unnötige Sorgen. Trotzdem suchte ich Brands Trumpf heraus und hielt ihn griffbereit.

»Benedict, Benedict«, sagte Brand lächelnd, »was nützt einem der beste Schwertkämpfer der Welt, wenn er nicht in der Lage ist, seine Klinge zu heben? Ich hab´ dir doch gesagt, daß du ein Dummkopf bist! Hast du wirklich angenommen, ich würde freiwillig zur Schlachtbank schreiten? Du hättest auf die Angst vertrauen sollen, die du sicher gespürt hast. Du hättest wissen müssen, daß ich nicht hilflos hierherkommen würde. Ich sprach im Ernst, als ich sagte, daß ich siegen würde. Als Gegner warst du allerdings eine gute Wahl, denn du bist der beste. Ich wünschte ehrlich, du hättest mein Angebot angenommen. Aber so wichtig ist das nun nicht mehr. Nichts kann mich noch aufhalten. Keiner der anderen hat eine Chance, und sobald du aus dem Weg bist, wird es für mich noch leichter sein.«

Er griff unter den Mantel und zog einen Dolch.

»Hol mich zu dir, Benedict!« rief ich, doch es hatte keinen Sinn. Es kam keine Antwort, keine Kraft rührte sich, um mich an den Ort des Geschehens zu versetzen.

Ich ergriff Brands Trumpf. Dabei erinnerte ich mich meines Trumpfkampfes mit Eric. Wenn ich durch den Trumpf gegen Brand vorgehen konnte, störte ich damit vielleicht seine Konzentration soweit, daß Benedict freikam. Ich richtete all meine Sinne auf die Karte, rüstete mich für eine umfassende geistige Attacke. Aber nichts geschah. Der Weg war blockiert – Kälte und Dunkelheit schlugen mir entgegen.

Wahrscheinlich war seine Konzentration auf das Ziel, seine geistige Verwicklung mit dem Juwel so komplett, daß ich gar nicht an ihn herankam.

Plötzlich wurde die Treppe heller. Hastig blickte ich auf den Mond. Ein Streifen Kumuluswolken verdeckte einen Teil der Mondscheibe. Verdammt!

Ich wandte mich wieder Benedicts Trumpf zu. Es passierte langsam, doch ich gewann den Kontakt zurück, was doch darauf hindeutete, daß irgendwo tief im Innern Benedict bei vollem Bewußtsein war. Brand war noch einen Schritt nähergekommen und verspottete seinen Gegner weiter. Das Juwel an der dicken Kette schimmerte im Licht seiner Aktivität. Die beiden waren noch etwa drei Schritte voneinander entfernt. Brand spielte an seinem Dolch herum.