Sie wandten sich einander zu. Sie sahen einander an. Keiner von ihnen sprach.
Dann ließ ein fernes Rumoren sie beide zum Himmel aufblicken. Sie waren zu tief im Tal, um das kommende Wetter zu sehen. Tyvara fluchte leise.
»Ich werde zuerst aufbrechen, damit ich keinen Schnee auf dich hinabwerfe«, sagte sie. »Versuch, die Hütte des Jägers vor dem nächsten Sturm zu erreichen.«
Er nickte. Sie ging davon und schob mit Magie Schnee von ihrem Pfad. Er schaute ihr nach und hatte das Gefühl, dass jeder Schritt, den sie machte, ein unsichtbares Band zwischen ihnen in die Länge zog. Sie drehte sich nicht noch einmal um, und er konnte sich nicht entscheiden, ob er enttäuscht oder erleichtert war.
Als sie endlich das obere Ende der steilen Wand erreicht hatte, blieb sie stehen. Sie blickte zu ihm herunter und hob einen Arm, um ihm zuzuwinken. Es war weniger eine Geste des Abschieds als eine Geste der Ungeduld. Seine Fantasie beschwor ihre Stimme und ihre Miene herauf. »Worauf wartest du? Setz dich in Bewegung!« Er lachte leise und machte sich auf den Weg ins Tal, wobei er den Schnee mit Magie vor sich herschob. Unten angekommen blickte er nach oben.
Sie war fort. Er verspürte eine seltsame Leere.
Dann wurde sein Blick auf die Wand aus Eis gelenkt, die eine Seite der Höhle bedeckte, in der sie den letzten Tag und die letzte Nacht verbracht hatten, und er schnappte nach Luft. Er sah einen gefrorenen Vorhang aus Wasser vor sich.
Ein Wasserfall, dachte er. Er ist wunderschön.
Er wünschte, Tyvara wäre bei ihm gewesen, um es ebenfalls zu sehen. Aber andererseits war sie wahrscheinlich schon früher über diesen Weg gereist und hatte den Wasserfall bereits gesehen. Trotzdem, es wäre schön gewesen, einen solchen Anblick mit ihr teilen zu können.
Er seufzte. Es hatte keinen Sinn, sich zu wünschen, die Dinge stünden anders, und er musste alle romantischen Vorstellungen beiseiteschieben und sich darauf konzentrieren, nach Kyralia zurückzukommen. Vor ihm lagen raue und gefährliche Zeiten und, wenn alles gutging, wichtige Treffen und Verhandlungen.
Er drehte sich um und zog seinen Schlitten in die Richtung, die nach Hause führen würde.
Der Weg den Pfad hinunter ins Tal schien viel gefährlicher zu sein als der Weg nach oben.
Achati war noch schweigsamer und schmallippiger als zuvor. Tayend war untypisch still. Niemand wollte sich im Sattel umdrehen, um jemand anderen anzusehen, aus Angst, die Bewegung könnte die Pferde aus dem Gleichgewicht bringen und zu nahe an den Abgrund führen.
Dies gab Dannyl viele Stunden Zeit, um darüber nachzudenken, was er von den Duna erfahren hatte.
Es war schon spät gewesen, als er sich in der vergangenen Nacht wieder zu Achati und Tayend gesellt hatte, nachdem er viele Stunden damit verbracht hatte, zuzuhören und die Legenden und Geschichten der Hüterin niederzuschreiben. Er erzählte ihnen, was er über Lagersteine erfahren hatte, und teilte seine Erleichterung mit ihnen, dass ihre Herstellung so schwierig und gefährlich war und dass Steine, die solche Macht in sich bergen konnten, sehr selten vorkamen.
Er erwähnte nicht, dass die Verräterinnen Steine hatten, die eine Gedankenlesung blockieren und einem Gedankenleser die Dinge präsentieren konnten, die er vielleicht erwarten würde. Der Umstand, dass er eine solche Information vor Achati verborgen hielt, bescherte ihm Gewissensbisse, aber er wusste, dass er sich viel schlimmer fühlen würde, wenn er sie weitergab und Tausende von Sklaven und Rebellen deswegen niedergemetzelt wurden. Obwohl Dannyl es den Verräterinnen verübelte, dass sie Lorkin fortgeholt hatten, hatten sie den jungen Mann nicht getötet und verdienten es gewiss nicht, gejagt und ermordet zu werden.
Es gab auch jede Menge strategischer Gründe, das Wissen zu verbergen. Wenn die Ashaki den Verräterinnen das Wissen über die Herstellung magischer Steine stahlen, würde Kyralias ehemaliger Feind noch stärker werden und noch weniger geneigt sein, seine Gepflogenheiten zu ändern, um den Verbündeten Ländern beizutreten. Die Duna hatten ihm die Informationen in der Hoffnung anvertraut, dass sie freundschaftliche Bande zu den Verbündeten Ländern würden knüpfen können. Vielleicht würden sie als Gegenleistung für irgendetwas die Kenntnis der Herstellung von Steinen eintauschen.
Was könnten wir ihnen dafür anbieten?, überlegte er. Schutz? Wie könnten die Verbündeten Länder den Duna jemals helfen, solange die Ashaki sich zwischen Duna und Kyralia befinden und nur zwei Gildemagier schwarze Magie benutzen dürfen?
Überhaupt nicht. Kyralia besaß keine Höhlen voller Steine, soweit er wusste, daher würden die Kenntnisse des Steinemachens für die Gilde gleichermaßen nutzlos sein. Aber es könnte Höhlen in Elyne oder in anderen der Verbündeten Länder geben. Die Höhle der höchsten Strafe könnte ein solcher Ort sein. Doch was das betraf, hatte er seine Zweifel. Die Höhle hatte zu symmetrisch ausgesehen, um natürlichen Ursprungs zu sein. Er vermutete, dass sie erbaut oder aus dem Fels gehauen worden war und dass irgendjemand die Kristalle später an den Wänden befestigt hatte.
Die Duna wussten, dass die Verbündeten Länder ihnen keinen ausreichenden Schutz bieten konnten. Sie wollten Handel. Sie würden die Gilde mit magischen Steinen versorgen – sobald ihre eigenen Höhlen sich von dem Angriff der Verräterinnen erholt hatten. Es war Sache der Gilde, etwas zu finden, das die Duna im Austausch für die Steine würden haben wollen.
Die Hüterin hatte ihm erzählt, dass die Verräterinnen immer darauf hingearbeitet hätten, magische Steine, die die Ashaki den Duna gestohlen hatten, zu vernichten oder ihrerseits zu stehlen, und die Duna gewarnt hätten, sie würden versuchen, jeden Handel der Wüstenbewohner mit Kyralia zu verhindern. Die Duna erlaubten ihrem eigenen Volk normalerweise nicht, magische Steine aus ihren geheimen Verstecken zu holen. Es würde ein Weg gefunden werden müssen, die Steine außer Landes zu bringen, ohne den Verdacht der Verräterinnen oder Sachakas zu erregen.
Solche Vorsichtsmaßnahmen sowohl auf Seiten der Duna als auch auf Seiten der Verräterinnen erklärten, warum die Ashaki praktisch vergessen hatten, dass solche Steine existierten.
Es würde mich nicht überraschen, wenn einige auf ihren Anwesen einen geheimen Schatz versteckt hätten. Vielleicht geben sie das Wissen, wie man sie benutzt, an ihre Erben weiter, vielleicht haben sie vergessen, dass sie etwas Größeres in ihrem Besitz haben als nur hübschen Schmuck.
Wenn die Gilde vergessen konnte, dass sie jemals schwarze Magie benutzt hatte, war es schließlich auch möglich, dass die Ashaki vergessen hatten, dass sie den Duna jemals magische Edelsteine gestohlen hatten.
Dannyl hoffte, dass es so war, denn anderenfalls könnte es schwierig werden, die Steine von Duna nach Kyralia zu schaffen, ohne dass die Ashaki es bemerkten. Es musste nur eine einzige Schiffsladung entdeckt werden, um ihn in eine diplomatisch peinliche und gefährliche Situation zu bringen. Achatis Ärger würde dann die geringste von Dannyls Sorgen sein.
Er hatte noch keine Chance gehabt, sich mit Administrator Osen in Verbindung zu setzen. Im Zelt war er in Versuchung gewesen, hatte sich aber Sorgen gemacht, dass Achati denken würde, er habe es ungewöhnlich eilig, seinen Vorgesetzten Bericht zu erstatten, obwohl er im Wesentlichen nur erfahren hatte, dass Lagersteine keine Bedrohung darstellten, und der Rest der Informationen sich lediglich auf seine Forschungsarbeiten bezog.
Wie wäre es jetzt?, fragte er sich. Er musste zugeben, der Gedanke gefiel ihm nicht, seine Aufmerksamkeit an einen anderen Ort zu lenken, wenn nur wenige Schritte entfernt ein tödlicher Abgrund lauerte. Der Führer hatte ihnen versichert, dass die Pferde den Weg von allein fanden. Sie kannten den Pfad und waren ebenso erpicht darauf, nicht abzustürzen, wie ihre Reiter es waren. Ich werde einfach darauf vertrauen müssen, dass mein Reittier nicht spürt, dass ich mit meinen Gedanken woanders bin, und mich nur zum Spaß abwirft. Obwohl diese Pferde bisher ein verlässliches, friedliches Temperament an den Tag gelegt hatten, waren ihm in seinem Leben genug andere Tiere begegnet, um den Verdacht zu haben, dass die Spezies als Ganzes einen schelmischen Sinn für Humor hatte und geneigt war, Streiche zu spielen, sobald die Aufmerksamkeit ihres Reiters nachließ.