Er schob sein Widerstreben beiseite, holte Osens Ring aus seiner Robe, streifte ihn über einen Finger und schloss die Augen.
– Osen?
– Dannyl!
– Könnt Ihr frei reden? Ich habe einige Informationen für Euch.
– Wir warten auf den Beginn einer Anhörung, und bis es so weit ist, habe ich ein wenig Zeit. Ich könnte das Gespräch jedoch abrupt beenden müssen.
– Ich werde mich so präzise ausdrücken, wie ich kann.
Dannyl beschrieb seine Begegnung mit den Duna-Sprechern und der Hüterin und berichtete von ihrem Vorschlag.
– Wie interessant.
Osens Erregung war schwach wahrnehmbar wie das Geräusch einer fernen Vibration.
– Ein Stein, der eine Gedankenlesung blockiert und falsche Gedanken übermittelt.
Dannyl verspürte Erheiterung und ein wenig Frustration. Er hatte erwartet, dass der Vorschlag eines Handels mit Duna Osen mehr interessieren würde.
– Wie ich schon sagte, wenn die Ashaki und der sachakanische König dies herausfinden, werden sie …
– Die Anhörung beginnt. Entschuldigt mich, Dannyl. Ich muss gehen. Nehmt bitte den Ring ab.
Dannyl öffnete die Augen, streifte den Ring wieder vom Finger und steckte ihn ein. Zweifel nagte an ihm. Hatte Osen die Bedeutung dessen, was Dannyl ihm erzählt hatte, begriffen? Hatte er das Potenzial erkannt, das ein Handel mit den Duna darstellte? Und wichtiger noch, begriff er die Gefahren eines solchen Unternehmens und der Möglichkeit, dass die Ashaki etwas über die Steine erfahren könnten, die eine Gedankenlesung blockierten?
Ich werde darauf vertrauen müssen, dass er es tut – oder tun wird, wenn er die Gelegenheit bekommt, darüber nachzudenken.
Dannyl verdrängte die Zweifel. Ich wünschte doch, ich könnte dies mit irgendjemandem besprechen, aber ich kann mich nicht einmal Tayend anvertrauen. Nicht jetzt, da er ein elynischer Botschafter ist.
Die einzige Person in Sachaka, mit der er über die Steine hätte sprechen können, war Lorkin, und dieser war weit fort in den Bergen, ein freiwilliger Gefangener der Verräterinnen.
Stimmengewirr erfüllte die Gildehalle, während die Magier darauf warteten, dass die Anhörung begann. Sonea, die vorn an einer Seite der Halle stand, blickte zu den Höheren Magiern empor und bemerkte auf ihren Gesichtern die gleiche Mischung aus Sorge und Ungeduld, die in ihr selbst wuchs.
Wo ist Osen? Warum sind Kallen und Naki noch nicht eingetroffen?
Lilia, die neben ihr stand, schien von der wachsenden Anspannung nichts mitzubekommen. Die junge Frau hatte ihren Blick auf ein anderes Ziel gerichtet. Ihre Miene war traurig und resigniert.
Sie ist in diesen letzten Monaten sehr erwachsen geworden, ging es Sonea durch den Kopf. Die verwirrte, benommene junge Frau, deren Gedanken Sonea nach Lord Leidens Ermordung gelesen hatte, war naiv und kurzsichtig gewesen – wie es eine Person gewiss sein musste, um mit schwarzer Magie zu experimentieren, ohne an die Konsequenzen zu denken.
Um gerecht zu sein, sie war von Feuel benommen und vollkommen vernarrt gewesen. Eins dieser Dinge allein könnte die meisten Novizen zu Dingen verleiten, die sie später bereuen würden.
Lilia war jedoch reifer geworden. Sie hatte gelernt, innezuhalten und zu versuchen, die Auswirkungen ihrer Taten im Voraus abzuschätzen. Sie war weniger vertrauensvoll. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, als sie sich bereitfand, mit Lorandra zu fliehen, obwohl sie gewusst hatte, dass die Frau vielleicht nicht vertrauenswürdig war. Auch wenn es eine schlechte Entscheidung gewesen war, war es Lilias Meinung nach die beste Chance gewesen, ihre Freundin zu retten.
Was mich beeindruckt, ist die Tatsache, dass sie bereit war, ihre eigene Zukunft – und vielleicht ihr eigenes Leben – zu opfern, um Naki zu finden. Ich wünschte nur, sie hätte mir in Bezug auf Lorandra vertraut. Aber andererseits ist es vielleicht meine Schuld, dass ich sie nicht davon überzeugt habe, dass ich alles in meiner Macht Stehende tat, um Naki zu finden.
Was nicht viel gewesen war, gestand Sonea sich ein. Sie hatte die Angelegenheit Kallen überlassen. Diesen Fehler würde sie nicht noch einmal machen.
Nicht einmal Cery hat mir genug vertraut, um mir zu offenbaren, dass er Lilia bei sich hatte. Vielleicht hat er uns beide beschützt. Solange ich nichts darüber wusste, fühlte ich mich nicht verpflichtet, mich darum zu kümmern. Es macht mir allerdings Sorgen, dass er Lilia ausgeschickt hat, um Naki zu retten. Ist ihm denn nicht der Gedanke gekommen, dass Naki vielleicht nicht gerettet werden wollte? Wenn ich nicht da gewesen wäre, hätte Naki Lilia getötet.
Sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob Cery gehofft hatte, Lilia für sich behalten zu können. Hätte Lilia dem zugestimmt?
Was Naki betraf, so war das einzige Verbrechen, das sie zugegeben hatte, das Erlernen und die Benutzung von schwarzer Magie. Sie hatte dies aus dem gleichen törichten Drang heraus getan, der auch Lilia dazu verleitet hatte, diese Dinge zu lernen. Ihre Geschichte über Erpressung und die Arbeit für einen Dieb war ein wenig dürftig. Sonea, Dorrien und Nikea hatten Naki zu Lilia sagen hören, dass sie gerade erst die Grundlagen des Gewerbes erlerne. Vielleicht hatte Naki die Hoffnung aufgegeben, aus der Unterwelt zu entkommen, und sich überlegt, dass ihre einzige Zukunft in ebendieser Welt lag – selbst bis zu dem Punkt, an dem sie einen Befehl, Lilia zu töten, befolgen würde.
Womit der Dieb ihr auch immer gedroht hat, falls sie nicht für ihn arbeitete, es war jedenfalls nicht die Ermordung Lilias gewesen. Was für eine Drohung war es dann gewesen? Kallen hat nichts darüber gesagt.
Nachdem Naki und Lilia die Zusammenkunft der Höheren Magier in Osens Büro verlassen hatten, hatte Kallen ihnen berichtet, dass Naki die Gilde für ihre Situation verantwortlich machte. In ihren Augen trug die Gilde die Schuld daran, dass sie erpressbar und für Verbrecher zu leicht erreichbar war, indem sie sie gezwungen hatte, außerhalb der Gilde zu leben.
Sonea argwöhnte, dass viele Verständnis für diese Sicht der Dinge haben würden. Obwohl Naki genau wie Lilia mithilfe törichter Experimente schwarze Magie erlernt hatte, war sie dazu gezwungen worden, für einen Dieb zu arbeiten. Lilias Position war ein wenig heikler. Sie war absichtlich davongelaufen – und hatte dabei auch Lorandra befreit. Sie hätte einwenden können, dass Lorandra sie überredet habe zu gehen – das entsprach zum Teil der Wahrheit –, aber das würde den positiven Aspekt ihrer Hingabe an die Suche nach ihrer Freundin auslöschen. Trotzdem, die Tatsache, dass Lilias einziges Motiv die Suche nach Naki gewesen war und dass sie Erfolg gehabt hatte, würde ihr beträchtliche Unterstützung eintragen.
Beide jungen Frauen verstanden sich auf schwarze Magie. Wenn die Gilde sich entschied, sie dafür zu bestrafen, war das Geringste, was sie erwarten könnten, eine Einkerkerung. Das Problem war, dass die Blockade ihrer Magie gescheitert war. Sonea wusste, dass einige Magier behaupteten, sie habe in diesem Punkt schlechte Arbeit geleistet. Sie wünschen, dass es so wäre, daher glauben sie, dass es sich so verhielt, dachte sie. Zweifellos würde Kallen beim nächsten Mal die Blockade vornehmen. Sie glaubte nicht, dass er Erfolg haben würde. Was würde geschehen, wenn Kallens Blockade versagte? Wenn sich herausstellte, dass die Kräfte eines Schwarzmagiers nicht blockiert werden konnten, was würde dann mit den Mädchen geschehen? Man könnte sie trotzdem einkerkern, aber ihre Wachen würden Magier sein müssen, und …