»Ja«, erwiderte Sonea. Kallen sagte das Gleiche.
Osen schaute in die Runde. »Dann müssen wir Übrigen jetzt die Entscheidung treffen. Ich werde Euch alle nacheinander bitten, Eure Meinung zu sagen. Lady Vinara?«
Sonea war wie erstarrt, während die Höheren Magier recht offen erörterten, warum sie lieber sie oder Kallen als ihren Repräsentanten sahen. Es überraschte sie nicht, als Lord Garrel unumwunden die Frage ihrer Vertrauenswürdigkeit aufwarf und Bezug nahm auf ihre Entscheidung, schwarze Magie zu lernen, und ihre Weigerung, der Gilde zu gehorchen, was zu ihrer Verbannung geführt hatte. Die anderen protestierten nicht und stimmten auch nicht zu, sondern gingen lediglich zu anderen Fragen über, als sei das, was er gesagt hatte, nicht wichtig. Als die Diskussion sich dem Ende näherte, war sie sich nicht sicher, ob die Mehrheit der Höheren Magier sich für sie oder für Kallen ausgesprochen hatte.
»Ich denke, wir haben alle Fragen erörtert«, sagte Osen. »Jetzt werden wir zur Abstimmung kommen. Alle, die dafür sind, dass Schwarzmagierin Sonea die Verbündeten Länder in diesen Verhandlungen vertritt, heben bitte die Hand.«
Sonea zählte. Sie bemerkte, dass einige der Magier, die sich für sie ausgesprochen hatten, ihre Meinung geändert hatten, und umgekehrt. Sie lag mit einem Handzeichen zurück. Soneas Herz schlug noch schneller vor Aufregung und Sorge. Osen wandte sich an den Hohen Lord Balkan.
»Habt Ihr Eure Meinung geändert?«
Balkan sah Sonea an und schüttelte den Kopf.
»Meine Stimme und die des Hohen Lords gehören Sonea«, erklärte Osen. »Was zu ihren Gunsten den Ausschlag gibt.« Er sah sie an und lächelte grimmig. »Herzlichen Glückwunsch.«
Sie nickte, zu überwältigt, um zu sprechen. Auch wenn sie gehofft hatte, dass man sich für sie entscheiden würde, damit sie Lorkin so bald wie möglich sehen und beschützen konnte, war die Last der Verantwortung, nicht nur die Gilde und Kyralia, sondern auch die gesamten Verbündeten Länder zu repräsentieren, einschüchternd. Das Gleiche galt für die Aussicht auf eine Rückkehr nach Sachaka, obwohl sie diesmal keine Verbannte sein und nicht von Ichani gejagt werden würde.
Nach allem, was ich Dorrien darüber gesagt habe, dass ich Heilerin sein wolle, habe ich eine Aufgabe übernommen, die die Benutzung von schwarzer Magie notwendig machen wird. Aber ich werde nicht töten müssen. Jene, die mir Macht geben, werden das aus freien Stücken tun, und hoffentlich werde ich auch diese Macht nicht benutzen müssen, um zu töten.
»Es müssen Einzelheiten geklärt und Vorbereitungen getroffen werden«, richtete Osen das Wort an sie alle. Er stand auf. »Schwarzmagierin Sonea wird so bald wie möglich aufbrechen, aber ich nehme an, dass das noch mindestens einige Tage dauern wird. Vielleicht einige Wochen. Lorkin wird unsere Entscheidung über das Netzwerk der Sklavenspione an die Verräterinnen weitergeben und auf eine Antwort warten müssen. Außerdem muss noch ein Assistent ausgewählt werden, und das wird weitere Erörterungen und Beratungen erfordern. Vielen Dank für Eure Vorschläge und Euren Rat. Ich brauche Euch nicht daran zu erinnern, dass dies alles streng geheim ist. Gute Nacht.«
Als die Magier sich erhoben, trat Balkan vor und berührte Sonea an der Schulter. »Bleibt«, murmelte er.
Sie nickte, keineswegs überrascht. Als die letzten Höheren Magier mit Ausnahme von Osen und Balkan den Raum verlassen hatten, ließ sie sich mit einem Seufzen wieder auf den Stuhl fallen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch gratulieren soll oder nicht«, bemerkte Osen, während er zu seinem Platz zurückkehrte.
Sonea lächelte schief. »Es ist beruhigend und sogar schmeichelhaft, dass Ihr bereit seid, mir diese Aufgabe anzuvertrauen. Vor allem, da ich bei der letzten Aufgabe, die Ihr mir übertragen habt, gescheitert bin.«
Osen runzelte die Stirn, dann zog er die Augenbrauen hoch. »Ihr sprecht von der Suche nach Skellin?« Er zuckte die Achseln. »Das ist eine schwierigere Aufgabe als die, die Ihr jetzt habt.«
»Wer wird sie übernehmen?«
»Höchstwahrscheinlich Schwarzmagier Kallen«, erwiderte er. »Werden Eure Verbindungsmänner bereit sein, mit ihm zusammenzuarbeiten?«
Sonea dachte nach. »Ja, ich denke schon. Es bleibt ihnen kaum etwas anderes übrig. Darf ich einen Vorschlag machen?«
Er nickte. »Natürlich.«
»Lilia hat sich, während sie nach Naki suchte, mit einer der loyalen Mitarbeiterinnen meines Verbindungsmannes angefreundet. Da Kallen außerdem ihr Mentor ist, könnte es für alle von Nutzen sein, wenn Lilia seine Assistentin würde – oder eine seiner Assistentinnen.«
Osen blickte nachdenklich drein, dann nickte er. »Ich werde es erwägen und Kallen vorschlagen. Es würde nicht gegen die Einschränkungen verstoßen, die wir ihr in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit auferlegt haben, wenn sie unter Kallens Befehl stünde.«
Sonea versuchte, sich ein Treffen zwischen Cery und Kallen vorzustellen, und scheiterte. Sie bemühte sich, nicht zusammenzuzucken.
Tut mir leid, Cery, aber ich kann nicht gleichzeitig an zwei Orten sein. Wenn Kallen irgendetwas ist, dann gründlich und gewissenhaft. Ich bin mir sicher, dass er Skellin irgendwann finden wird. Sie fragte sich, ob sie sonst noch etwas tun konnte, um ihm zu helfen.
»Nun, habt Ihr jemand Bestimmten im Sinn, den Ihr gern als Assistenten mitnehmen würdet?«
Sie zwang sich, sich auf ihre neue Aufgabe zu konzentrieren, dachte über die Frage nach und nickte.
Alles wurde von Lampenlicht erhellt. Als die Inava am Kai längsseits ging, warfen die Sklaven auf Deck Festmachleinen an Land, die dort von eifrigen Helfern an Pollern belegt wurden. Dannyl hielt sich abseits des Geschehens, um niemandem in die Quere zu kommen, und blickte auf die Stadt. Es gab nicht viel zu sehen. Da die Mehrzahl der Gebäude in Arvice einstöckig war, bot sich ihm ein ziemlich langweiliger Ausblick auf ähnliche Dächer.
»Ah, seht«, sagte Achati. »Die Kutsche des Gildehauses ist eingetroffen. Ich hätte Euch anderenfalls mit meiner nach Hause gebracht.«
Dannyl musterte den Sachakaner und runzelte besorgt die Stirn. »Vielleicht ist es besser, dass Ihr auf direktem Weg nach Hause fahrt. Ihr seht immer noch sehr müde aus.«
Achati lächelte. »Ich bin auch ein wenig müde, aber nicht weil ich zu viel Macht gebraucht hätte. Das Reisen erschöpft mich heutzutage mehr als früher. Wie Ihr wisst, habe ich gestern Nacht nicht viel Schlaf bekommen.«
Ein erheitertes Glitzern war in seine Augen getreten. Dannyl lächelte und wandte den Blick ab. Am Tag nachdem der Sturm weitergezogen war, hatte das Schiff bei einem Besitz Halt gemacht, der einem Freund von Achati gehörte. Sie waren auf die angebotenen Betten gefallen, hatten bis spät in den nächsten Tag hinein geschlafen und dann beschlossen, am darauf folgenden Tag früh morgens aufzubrechen, um nicht bei Nacht segeln zu müssen. Trotzdem hatten ungünstige Winde dazu geführt, dass sie Arvice zu später Stunde erreicht hatten.
Der Besitz war luxuriös und riesig gewesen. Es hatte Dannyl nicht überrascht, dass Tayend, nachdem er festgestellt hatte, dass ihr Gastgeber möglicherweise über Waren verfügte, die sich für den Handel mit Elyne eigneten, darauf bestanden hatte, dass Achati ihm bei allen Gesprächen über dieses Thema zur Seite stand. Und die Gespräche hatten bis tief in die Nacht angedauert.
»Sieht so aus, als müssten wir von hier aus getrennt weiterfahren«, bemerkte Tayend, als er durch die Luke an Deck kam und seine Umgebung in sich aufnahm. Dann wandte er sich lächelnd an Achati. »Vielen Dank, Ashaki Achati, dass Ihr dieses Abenteuer für uns arrangiert und uns herumgeführt habt.«
Achati neigte nach kyralischer Sitte den Kopf. »Es war mir eine Freude und eine Ehre«, erwiderte er.
»Werden wir Euch bald im Gildehaus begrüßen können?«
»Ich hoffe es«, antwortete Achati. »Ich werde natürlich zuerst meinem König Bericht erstatten und mich um die Dinge kümmern, die während meiner Abwesenheit liegen geblieben sind. Sofern diese Dinge nicht einen von Euch oder Euch beide betreffen, werde ich Euch, sobald es mir freisteht, einen freundschaftlichen Besuch abstatten.«