Ihre Augen waren hart, und es stand ein kaum merklicher Ausdruck der Anklage darin. Er spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg, und wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.
»Aber sie werden vielleicht damit zufrieden sein, dass ich dich einbestellt habe, um dir ordentlich den Kopf zu waschen. Savara hat entschieden, dass es das Beste sei, Tyvara zu verbieten, sich mit dir sehen zu lassen, damit völlig klar ist, dass sie deine Erkundung der Höhlen missbilligt.«
Lorkins Mut sank. Aber wir haben uns ja ohnehin nicht gesehen, rief er sich ins Gedächtnis.
Zarala lächelte und tätschelte ihm abermals das Knie. »Ich habe noch einen freundschaftlichen, kostenlosen Rat für dich, Lorkin. Sei vorsichtig, wie viel Unruhe du stiftest. Du könntest dir und anderen damit viel mehr Ärger einhandeln, als du jetzt begreifst.«
Er nickte. »Vielen Dank. Ich werde deinen Rat beherzigen. Und keine Unruhe stiften.«
Sie wirkte erfreut. »Du bist ein kluger junger Mann. Bitte schön – jetzt habe ich dir meinerseits geschmeichelt. Möchtest du etwas zu essen?« Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern drehte sich zu der Tür, hinter der Pelaya verschwunden war.
»Pelaya? Haben wir etwas zu essen für unseren Besucher?«
»Natürlich«, antwortete die junge Frau. Sie erschien mit einem schlichten Holztablett mit Gläsern, Wasser und einer Schale mit Keksen in der Tür. Offensichtlich hatte sie darauf gewartet, dass die Königin sie rief.
»Ah, meine Lieblingskekse«, sagte die Königin und rieb sich die Hände. Mit einem spitzbübischen Grinsen wandte sie sich Lorkin zu. »Pelaya ist eine fabelhafte Köchin. Sie tut das alles mit Magie.« Als die junge Frau das Tablett in den Raum trug, drehte Zarala sich um, um einen in der Nähe stehenden kleinen Tisch anzustarren. Er erhob sich in die Luft, schwebte auf sie zu und stand kurz darauf vor Lorkin.
Sie mag zu alt und zu müde für Förmlichkeiten sein, überlegte Lorkin, aber ich kann erkennen, warum sie Königin ist. Und ich wette, dass sie noch genauso mächtig und klug ist wie an dem Tag, an dem sie es wurde.
Als Pelaya das Tablett abstellte und Lorkin einen Keks anbot, fragte er sich, wie viel die Königin von seinen Plänen erraten hatte. Er bezweifelte sehr, dass sie glaubte, er sei zufrieden damit, sein ganzes Leben bei den Verräterinnen zu verbringen.
Vielleicht hatte sie ihm sagen wollen, er möge sich jetzt zurückhalten, weil er nach ihrem Tod, wenn Savara ihre Nachfolge antrat, eine bessere Chance auf Erfolg haben würde.
Aber nachdem ich sie jetzt kennengelernt habe und sie wirklich mag, hoffe ich, dass dieser Fall nicht allzu bald eintreten wird.
5
Fragen über Fragen
Als die Lampen im Innenhof entzündet wurden, ging Sonea auf das seltsamste Gebäude auf dem Gelände der Gilde zu. Die Kuppel war nicht wirklich eine Kuppel, sondern eine Kugel aus massivem Fels, aber ausgehöhlt. Da sie jedoch zum Teil unter der Erde lag, hatte der sichtbare Teil des Gebäudes ein kuppelartiges Aussehen.
Die Kuppel war so alt wie die Gilde selbst. Bevor die Gilde die Arena gebaut hatte – ein von riesigen, gebogenen Pfeilern getragener magischer Schild –, waren die gefährlicheren Kampflektionen in der Kuppel abgehalten worden. Die Benutzung des Gebäudes für diesen Zweck hatte viele Nachteile gehabt. Im Gegensatz zur Arena konnten Zuschauer die darin abgehaltenen Lektionen nicht mitverfolgen. Die dicken Mauern hätten niemals einen starken Angriff überstanden, also mussten alle Übungsschläge maßvoll ausgeführt werden. Die Schläge, die dann doch die Mauern trafen, konnten den Stein aufheizen, so dass es im Innern unerträglich heiß wurde. Und die einzige Möglichkeit, frische Luft hineinzulassen, bestand darin, die einem Stöpsel ähnliche Tür zu öffnen.
Den alten Unterlagen zufolge, die Akkarin gefunden hatte, war der Stöpsel im Laufe der Jahre während des Unterrichts viele Male hinausgeschlagen worden, und einmal hatte er sogar einen gerade vorbeigehenden Diener getötet. Jetzt wurde er mit Magie festgehalten. Zweimal am Tag entfernte man ihn und ließ frische Luft in das Innere der Kuppel, um die alte zu ersetzen. Gleichzeitig wurden Nahrung und Wasser hineingebracht und die Eimer, die als Toilette dienten, geleert.
Sonea konnte nicht umhin, an ihre Erfahrung als eine gefangene wilde Magierin zu denken. Rothen hatte sie in seinen Räumen wohnen lassen und langsam mit Freundlichkeit und Geduld ihr Vertrauen gewonnen, während er sie unterrichtet hatte. Aber Lorandra war keine unwissende junge Frau, die durch Zufall in den Besitz von Magie gelangt war und eine größere Gefahr für sich selbst darstellte als für die Gilde. Sie hatte ihre Kräfte gut unter Kontrolle und sich zusammen mit ihrem Sohn gegen die Gilde verschworen.
Doch ich weiß, wie es ist, in der Kuppel eingesperrt zu sein. Als die Gilde herausgefunden hatte, dass sie schwarze Magie erlernt hatte, hatte man sie für eine Nacht hier eingesperrt und Akkarin in der Arena festgehalten, während die Gilde für ihre Verhandlung zusammengerufen wurde. In der Kuppel war es stickig und drückend. Ich habe dort nur ein paar Stunden verbracht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, monatelang hier festzusitzen.
Sonea holte tief Luft und widerstand dem Drang, sich umzudrehen und in eine andere Richtung zu gehen. Obwohl sie ein gewisses Mitgefühl für Lorandra empfand, widerstrebte es ihr stets, die Frau zu besuchen. Skellins Mutter hatte niemals ein Wort gesagt, und sie verströmte Hass und Furcht. Mit dem Hass der Frau konnte sie leben. Es war der kompromisslose Hass einer Mutter auf jene, die ihrem Sohn schaden wollten, und nachdem sie dieses Gefühl selbst erlebt hatte, fand Sonea, dass es nachvollziehbar war.
Nein, es war die Furcht, die Sonea zu schaffen machte. Sie war es gewohnt, dass Menschen ein wenig Angst vor ihr hatten – wegen der Dinge, die sie in ihrer Jugend getan hatte und die sie mit schwarzer Magie heute tun konnte –, aber Lorandras Furcht war simples, blindes Entsetzen, und dieses Gefühl machte alles, was Sonea in ihrem Leben getan hatte, um zu beweisen, dass sie ein ehrenhafter und vertrauenswürdiger Mensch war, bedeutungslos.
Und Cery will, dass ich sie belüge.
Die zwei Wachen, die links und rechts neben der Tür standen, wirkten gelangweilt und verärgert. Erst als die beiden sie kommen sahen, richteten sie sich auf und nickten ihr respektvoll zu. Es waren Männer, und sie stammten aus den Häusern, wie sie bemerkte. Bisher hatte sie noch keine Magier aus den unteren Klassen Wache stehen sehen. Hatte Administrator Osen kein Vertrauen, dass sie die Mutter eines Diebes eingekerkert halten würden? Gewiss war er nicht naiv genug, um zu denken, dass Magier aus der höheren Klasse immun dagegen waren, von der Unterwelt erpresst oder bestochen zu werden. Sie blieb stehen und deutete mit dem Kopf auf die Tür.
»Wann wurde sie das letzte Mal geöffnet?«
»Vor drei Stunden, Schwarzmagierin Sonea«, antwortete der größere der Magier.
»Habt Ihr Administrator Osens Anweisungen erhalten?«
Der Mann nickte.
»Gut. Lasst mich ein.«
Die beiden Magier starrten in stiller Konzentration auf die Tür. Statt aufzuschwingen, glitt sie langsam aus der Kuppel heraus und rollte seitlich herum, bis sie an der Felskugel anlag.
Im Innern der Kuppel war es dunkel. Lorandra hatte jede Menge Macht, mit der sie ihr Gefängnis beleuchten konnte – aber wenn sie das tat, löschte sie jedenfalls stets ihr Licht, wenn sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde. Sonea holte tief Luft, schuf eine Lichtkugel und sandte sie voraus, bevor sie eintrat.