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»Du bewahrst in der Bibliothek Feuel auf?«

»Vater tut es.«

»Dein Vater benutzt Feuel?«

Naki stieß ein freudloses Lachen aus. »Natürlich tut er das.«

Sie führte Lilia aus ihren Räumen heraus, durch Flure und einige Treppen hinab. Lilia fragte sich, wie spät es war. Spät genug, dass keine Diener mehr auf waren, wie es schien.

»Die Familie meines Vaters hat jede Menge schmutziger Angewohnheiten«, sagte Naki. »Bei meinem Onkel waren es Mädchen. Und ich meine damit nicht, dass er Frauen sehr mag. Ich meine, er mag kleine Mädchen. Die Diener wussten es und haben mich, wann immer er zu Besuch kam, von ihm ferngehalten. Vater hat mir nie geglaubt, als ich es ihm erzählte.«

Lilia schauderte. »Das ist ja schrecklich.«

Naki drehte sich um und lächelte, aber ihre Augen waren hart. »Oh, am Ende hat er dafür bezahlt.« Sie wandte sich ab und blieb vor einer Tür stehen. »Da wären wir.«

Sie trat durch die Tür in einen riesigen Raum. Lilia konnte ein Keuchen nicht unterdrücken, als sie all die mit Büchern und Papierrollen vollgestopften Regale sah. Sie hatte schnell gelernt, dass Naki es langweilig fand, wenn man ein zu großes Interesse an Studien bekundete, aber jetzt konnte sie ihre Ehrfurcht und ihr Entzücken nicht vor ihrer Freundin verbergen.

»Ich dachte mir schon, dass es dir gefallen würde.«

Lilia schaute Naki an, die breit grinste, und tat so, als sei es ihr peinlich.

Naki lachte. »Du bist eine schreckliche Schauspielerin. Komm, ich will dir etwas zeigen.«

Sie ging zu einem Beistelltisch mit gläserner Platte. Lilia sah, dass das Glas einen schubladenähnlichen Hohlraum voller sehr alter Bücher, Schriftrollen, Skulpturen und Schmuck bedeckte. Naki strich mit der Hand über die schmale Seite. Ein leises Klicken ertönte.

»Vater hält die Glasfläche sowohl mit Schlüssel als auch mit Magie verschlossen, aber er ist kein so mächtiger Magier, dass er Magie auf den Schutz des ganzen Kastens verschwenden würde«, murmelte Naki. Sie griff hinein, zog ein kleines Buch heraus und reichte es Lilia.

Der Buchdeckel war aus weichem Leder und leicht bröcklig vom Alter, und der Titel war nicht mehr zu erkennen. Lilia schlug den Band auf und war beunruhigt über die brüchige Steifheit der Seiten. Sie fühlten sich an, als würden sie zerfallen, wenn sie versuchte, sie zu bewegen. Die Schrift war verblasst, aber immer noch leserlich, und es war ein alter, förmlicher Schreibstil, der nicht leicht zu entziffern war.

»Was ist das?«

»Ein Buch darüber, wie man Magie benutzt«, antwortete Naki. »Das meiste davon wissen wir bereits. Magier haben in den letzten siebenhundert Jahren eine Menge gelernt.«

»Siebenhundert«, hauchte Lilia. »Es ist erstaunlich, dass es immer noch unversehrt ist.«

»So alt ist es nicht. Dies ist eine Kopie des Originals und wurde mehrmals neu gebunden.« Naki sah Lilia forschend an. »Es findet sich darin eine Art von Magie, die wir nicht kennen. Kannst du erraten, was es ist?«

Lilia dachte nach. »Siebenhundert Jahre? Vor dem Sachakanischen Krieg … Oh!« Sie drehte sich um und starrte ihre Freundin an. »Das ist nicht dein Ernst!«

»Doch.« Ein Glitzern ließ Nakis dunkle Augen aufleuchten. »Schwarze Magie.« Sie nahm Lilia das Buch aus der Hand und stellte es zurück unter die Glasplatte. »Ich habe dir doch erzählt, dass die Familie meines Vaters einige dunkle Geheimnisse hat.«

»Sie … sie verstehen sich doch nicht auf schwarze Magie, oder?«

»Nein. Nun, ich glaube nicht, dass sie es tun. Es wäre aber nicht schwer zu verbergen. Schwarzmagierin Sonea beherrschte diese Magie eine Ewigkeit, bevor die Gilde dahinterkam, und sie haben sie nur ertappt, weil der Hohe Lord Akkarin gefangen wurde. Und er wurde nur deshalb gefangen, weil die Sachakaner ihm eine Falle gestellt hatten.« Sie betrachtete den Tisch. »Ich schätze, man könnte es sein Leben lang geheim halten, und niemand würde es wissen … Sieh mal, das hier ist wirklich alt.«

Sie griff unter das Glas und holte einen Ring heraus. Er war aus Gold, und darin war ein blasser Stein eingelassen.

»Meine Großmutter mütterlicherseits hat ihn früher getragen. Er wurde ihr von ihrer Großmutter geschenkt und jahrhundertelang von einer Frau an die nächste weitergegeben. Mutter hat mir erzählt, der Stein sei magischer Natur, und sie wollte mich eines Tages lehren, ihn zu benutzen. Natürlich starb sie, bevor sie die Möglichkeit dazu hatte, und Vater sagte, ich dürfe ihn nicht haben.«

»Was tut er denn angeblich?«

»Sie sagte, er helfe einer Frau, Geheimnisse zu wahren.«

»Dann hat er nicht viel Sinn, es sei denn, du hast ein Geheimnis, das du verbergen willst.«

»Oder jemanden, vor dem du es verbergen willst.«

»Hast du versucht herauszufinden, wie er funktioniert?«

»Natürlich. Deswegen habe ich mir ja die Mühe gemacht, an die Sachen unter dieser Glasplatte heranzukommen. Aber ich habe bisher noch keine Möglichkeit gefunden, auszuprobieren, ob er funktioniert, und das eine Geheimnis, das er bestimmt nicht verbergen wird, ist die Frage, ob er gestohlen wurde oder nicht. Also muss ich ihn jedes Mal zurücklegen.«

»Wie sollte so etwas denn funktionieren?«

»Wer weiß? Ich glaube, es ist einfach eine dumme Geschichte, die meine Mutter mir erzählt hat, um mich zu beschäftigen.« Mit einem schiefen Lächeln legte Naki den Ring zurück und schloss die Seite des Glaskastens, die sie zuvor geöffnet hatte.

»Vielleicht versteht sich dein Vater doch nicht auf schwarze Magie. Schließlich würde er den Ring gewiss tragen, wenn er wirklich hilft, Geheimnisse verborgen zu halten.«

Naki zog die Nase kraus, während sie darüber nachdachte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich denke nicht, dass er auch nur das Risiko eingehen würde, mehr über den Ring in Erfahrung zu bringen. Er ist nicht der Typ, der große Risiken eingeht.«

Lilia nickte zustimmend, überrascht, wie erleichtert sie war, Naki das sagen zu hören.

Ihre Freundin blickte plötzlich auf und grinste. »Lass uns noch etwas von Vaters Feuel stehlen!« Ohne eine Antwort abzuwarten, huschte sie auf die andere Seite des Raums, und Lilia folgte ihr.

7

Entscheidungen und Entdeckungen

Wann immer sich die Höheren Magier in der Gildehalle trafen, ohne dass der Rest der Gilde zugegen war, hallten ihre Stimmen auf eine Art wider, die Sonea stets beunruhigend fand. Sie betrachtete die beiden in die Höhe gestaffelten Doppelreihen von Sitzplätzen, die die Längswände der Halle säumten. Dazwischen befand sich ein langer, leerer Raum, der nur bei wenigen Gelegenheiten jedes Jahr besetzt war, wenn Novizen an Zeremonien teilnehmen durften.

Zwei große Türen befanden sich Sonea gegenüber am anderen Ende der Halle. Sie hatten ursprünglich nach draußen geführt, waren aber dennoch nach über sechshundert Jahren noch stabil und solide. Erst als man um die alte Halle herum die Universität gebaut hatte, waren sie zu Innentüren geworden und hatten nicht mehr den Unbilden der Witterung trotzen müssen.

Die Sitzplätze Soneas und der anderen Höheren Magier waren ihrem Rang nach in steilen Stufen angeordnet und über schmale Treppen erreichbar. Dieser Aufbau bot ihnen allen nicht nur einen guten Blick auf die Halle, er verdeutlichte auch die Hierarchie der Macht unter den Magiern. Die obersten Sitze waren für den König und dessen Ratgeber bestimmt. Die Reihe darunter bot dem Oberhaupt der Gilde Platz, dem Hohen Lord, dessen Sitz flankiert wurde von den beiden jüngsten Stühlen – denen der Schwarzmagier.

Ich habe mich nie wohlgefühlt mit der Entscheidung, uns hier oben unterzubringen, ging es Sonea durch den Kopf. Obwohl sie und Kallen das Potenzial hatten, stärker zu werden als jeder andere Magier in der Gilde, besaßen sie weder größere Macht noch größeren Einfluss als die anderen Höheren Magier. Es war ihnen verboten, schwarze Magie zu benutzen, es sei denn, man befahl es ihnen, und im Gegensatz zu gewöhnlichen Magiern war ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt.