Die Leute sahen ihn und runzelten finster die Stirn. Einige funkelten ihn an. Andere musterten ihn abschätzend.
Kalia hat zweifellos bekannt werden lassen, dass ich mich verspätet habe. Er war jedoch nicht so spät dran. Er hatte Zeit wettgemacht, indem er sein Bad im Waschraum sehr kurz gehalten hatte, und konnte nur hoffen, dass dieser Umstand seine Gesellschaft für andere nicht allzu unangenehm machen würde. Wenn ein ordentliches Bad doch nur alles wäre, was es brauchte, um Kalias Gesellschaft angenehm zu machen.
Als er den Raum betrat, wurde ihm schwer ums Herz beim Anblick und Geruch der vielen Kranken. Kalia entdeckte ihn und kam unverzüglich quer durch den Raum auf ihn zustolziert, und er wappnete sich für eine Strafpredigt. Aber stattdessen packte sie ihn am Ellbogen und führte ihn zu einem Ehepaar, das sich über ein Mädchen von etwa sechs Jahren beugte.
»Untersuch sie«, verlangte sie. »Komm und sag mir, wie du den Fall einschätzt.«
Er betrachtete die Eltern, und Mutlosigkeit stieg in ihm auf. Beide starrten ihn mit dunklen, verzweifelten Augen an und sagten nichts. Als er sich dem Mädchen zuwandte, sah er, dass es sehr bleich war; sein Atem ging mühsam, zum Husten hatte es beinahe keine Kraft mehr, und seine verschleimte Lunge rasselte.
Bevor er sie berührte und seine Sinne in sie hineinsandte, wusste er bereits, dass sie kränker war, als sie es hätte sein sollen. Das Kältefieber forderte jedes Jahr seine Opfer bei den Verräterinnen. Die Alten und die Jungen waren die wahrscheinlichsten Opfer und jene, die schon von anderen Krankheiten geschwächt waren.
Außerdem wusste er, dass er sich dem hier irgendwann würde stellen müssen. Kalia hatte es ebenfalls gewusst. Er hatte bereits beschlossen, was er tun würde. Aber er würde es nicht jetzt tun. Nicht solange ihn all diese Leute so eindringlich beobachteten.
Und, begriff er, nicht bevor er eine Gelegenheit gehabt hatte, Tyvara zu fragen, ob er richtig vermutete, was die Konsequenzen sein würden.
Als die Sklaven des Gildehauses begannen, das Abendessen zu servieren, war Dannyl überrascht, Tayends Stimme im Flur zu hören.
»Dann werde ich mich zu ihm gesellen«, sagte Tayend. Einen Moment später trat er durch die Haupttür von Dannyls Räumen. »Hättest du gern ein wenig Gesellschaft beim Abendessen?«
Dannyl nickte und deutete auf einen nahen Hocker. Er hatte befürchtet, dass es zwischen ihm und Tayend zu einem Streit oder irgendeiner Art von Auseinandersetzung kommen würde, aber nichts dergleichen war passiert, und bisher hatten sie sich ohne Konflikte in ihre jeweiligen neuen Rollen gefügt. Und da Tayend so oft unterwegs war, um Sachakaner zu besuchen, war es vielleicht sinnvoll, die Gelegenheit zu nutzen, über diplomatische Angelegenheiten zu sprechen.
»Hast du heute Abend keinen Ashaki zu besuchen?«
Tayend nahm Platz und schüttelte den Kopf. »Ich habe Achati um einen freien Abend gebeten. Es überrascht mich, dass er nicht stattdessen dich eingeladen hat.«
Dannyl zuckte die Achseln. »Ich bin mir sicher, dass er außer uns Botschaftern noch andere Leute hat, mit denen er sich trifft. Du kommst sehr gut mit den Sachakanern aus.«
Ein Sklave eilte mit einem Teller und einem Messer für Tayend in den Raum, so dass er beginnen konnte, sich von den Essenstabletts zu bedienen, die andere Sklaven ihnen darboten.
»Ja, nicht wahr? Es macht gewiss diesen Eindruck. Oder befinde ich mich da im Irrtum? Nach dem, was Ashaki Achati mir erzählt, warst du direkt nach deiner Ankunft auch sehr beliebt. Vielleicht werde ich ebenfalls in Ungnade fallen.«
»Du hast keinen Assistenten, den irgendjemand entführen könnte.«
»Nein, obwohl ich einen gebrauchen könnte – vorzugsweise von der Art, die niemand würde entführen wollen.« Tayend verzog das Gesicht. »Ich wollte mir einen Überblick über die hiesige Situation verschaffen, bevor ich noch jemand anderen darin verwickle. Herausfinden, ob es sicher ist. Wie die Dinge funktionieren.« Er schob etwas von dem würzigen Fleisch auf seinen Teller, dann ließ er einiges an gefülltem Gemüse folgen, bevor er den Sklaven bedeutete, dass sie sich zurückziehen konnten.
»Ich vermute, es würde einige Jährchen dauern, um herauszufinden, wie die Dinge wirklich funktionieren.«
Tayend lächelte schief. »Trotzdem, ich denke, ich habe schon einiges herausgefunden«, erklärte er. »Wie wär’s, wenn ich dir sage, was ich erraten habe, und du mir sagst, ob ich recht habe.« Tayend schob sich einen Bissen in den Mund, kaute und sah Dannyl erwartungsvoll an.
Dannyl zog die Schultern hoch. »Nur zu.«
Tayend schluckte, trank ein wenig Wasser und räusperte sich dann. »Ich bin dahintergekommen, dass wir beide nicht länger ein Paar sind.«
Überraschung folgte eine Welle von Schuldgefühlen. Dannyl zwang sich, Tayend in die Augen zu sehen. Tayends Blick war ruhig.
»Ich schätze, das ist richtig«, erwiderte Dannyl. Ziemlich lahm, fügte er im Stillen hinzu.
»Ich habe es begriffen, als du mich in den Gästezimmern untergebracht hast«, sprach Tayend weiter. »Und erzähl mir nicht, dass es einen Skandal verursacht hätte, wenn ich in deinem Bett geschlafen hätte. Die Sachakaner wussten alles über uns, noch bevor du hierhergekommen bist.« Er spießte einen weiteren Bissen von seinem Teller auf.
Dannyl hustete protestierend. »Sie hätten es trotzdem missbilligen können – genug, um zu verlangen, dass man jemand anderen für uns schickt, oder um sich zu weigern, mit uns Geschäfte zu machen.«
»Es gibt nichts, womit man Geschäfte machen könnte. Wir haben hier nichts zu tun. Sie brauchen nicht mit unseren Ländern Handel zu treiben. Uns hier zu haben ist eine Geste des guten Willens, mehr nicht. Davon abgesehen haben wir für die Sachakaner nur deshalb einen gewissen Wert, weil wir etwas Neues sind oder zu ihrer Unterhaltung dienen. Ich nehme an, du hast länger gebraucht, um das zu begreifen.« Tayend machte eine abschätzige Handbewegung. »Ich habe außerdem begriffen, dass Achati einer wie wir ist und dass du ihm ziemlich gut gefällst.« Seine Augen wurden schmal. »Ich bin noch nicht ganz dahintergekommen, ob du seine Gefühle erwiderst.«
Einmal mehr spürte Dannyl, dass sein Gesicht warm wurde, aber diesmal steckten keine Gewissensbisse dahinter.
»Achati ist ein Freund«, sagte er.
»Dein einziger Freund unter den Sachakanern«, erwiderte Tayend und richtete, um seine Worte zu unterstreichen, sein Messer auf Dannyl. »Du wirst ihn nicht ewig hinhalten können. Was beabsichtigst du zu tun, wenn er des Wartens müde wird? Er scheint mir kein Mann zu sein, den man verärgern möchte.«
Dannyl öffnete den Mund, um zu widersprechen, dann schloss er ihn wieder. »Früher einmal hättest du das über mich gesagt«, brachte er heraus.
Tayend lächelte. »Dann habe ich dich kennengelernt, und so beängstigend warst du gar nicht. Manchmal bist du sogar ein wenig jämmerlich, stets besorgt darüber, was die Leute denken, und du vergräbst dich in deinen Forschungen, um dir selbst das Gefühl zu geben, etwas wert zu sein.«
»Es sind wichtige Forschungen!«, wandte Dannyl ein.
»Oh. Ja. Sehr wichtig. Wichtiger als ich.«
»Früher hast du dich ebenfalls dafür interessiert. Aber sobald es nicht mehr darum ging, umherzureisen und Abenteuer zu erleben, sondern nur noch um harte Arbeit, war es dir nicht mehr wichtig.«
Tayends Augen blitzten vor Ärger, aber dann zögerte er und wandte den Blick ab. »Ich nehme an, es muss wohl so aussehen. Für mich fühlte es sich so an, als hätte ich nichts mehr beizutragen. Das Schreiben war immer deine Aufgabe. Sobald ich die Große Bibliothek verlassen hatte, war ich ein jämmerlicher Gelehrter.«