Ich bin in Ungnade gefallen, überlegte Dannyl. Weil ich die Jagd aufgegeben habe. Weil ich wie ein Feigling vor den Verräterinnen geflohen bin. Und wahrscheinlich auch, weil ich zugelassen habe, dass ein Gildemagier, für den ich verantwortlich war und der im Rang unter mir stand, sich einem Feind des sachakanischen Volkes angeschlossen hat.
Hätte er sich noch einmal in dieser Situation befunden, hätte er die gleiche Entscheidung getroffen. Wenn die Verräterinnen tatsächlich über eine neue Art von Magie verfügten und Lorkin sie überreden konnte, ihn darin einzuweihen und ihm zu erlauben, nach Hause zurückzukehren, wäre dies das erste Mal seit Jahrhunderten, dass der Kernbestand der Gilde an magischen Künsten ergänzt wurde. Schwarze Magie zählte er nicht als neu; sie war eher eine Wiederentdeckung und wurde noch immer als gefährlich und wenig wünschenswert erachtet.
Ashaki Achati hatte ihm versichert, dass einige Sachakaner Dannyls »Opferung« seines Stolzes als eine bewundernswert noble Tat betrachteten. Dannyl hätte dieses Opfer vermeiden können, indem er seine Helfer bat, ihm bei der Entscheidungsfindung zur Seite zu stehen, so dass der Schaden sich auf sie alle verteilt hätte. Aber damit hätte er eine völlig nutzlose Fortsetzung der Jagd riskiert, die niemandem zum Vorteil gereicht hätte.
Dannyl ging am Eingang der Gästewohnung vorbei weiter den Flur entlang. Schon bald erreichte er das Herrenzimmer, den wichtigsten öffentlichen Raum des Gebäudes. Dies war der Ort, an dem der Besitzer oder die Person, die innerhalb des Hauses den höchsten Rang innehatte, Gäste begrüßte und bewirtete. Besucher betraten das Anwesen über den Haupthof, wurden von einem Türsklaven begrüßt und dann durch eine überraschend bescheidene Tür und einen kurzen Flur in diesen Raum geführt.
Er setzte sich auf einen von einer Handvoll Hocker, die in einem Halbkreis aufgestellt waren, und dachte an die vielen köstlichen Mahlzeiten, die man ihm vorgesetzt hatte, während er in ähnlichen Räumen auf ähnlichen Möbelstücken gesessen hatte. Achati, der Repräsentant des Königs, hatte die Aufgabe gehabt, Dannyl wichtigen Personen vorzustellen und ihm Anweisungen in Bezug auf Protokoll und Manieren zu geben. Es war gleichzeitig interessant und ein wenig besorgniserregend, dass dieser Mann der einzige war, der Dannyl immer noch besuchen konnte, ohne dass Dannyls beschädigter Ruf auf ihn abfärbte. War er immun gegen derartige gesellschaftliche Regeln, oder war es etwas anderes?
Kommt er mich besuchen, weil sein Interesse an mir nicht ausschließlich politischer Natur ist?
Dannyl erinnerte sich an den Moment, in dem Achati angedeutet hatte, er hätte gern eine engere Beziehung zu ihm als Freundschaft. Wie immer stieg eine Mischung von Emotionen in ihm auf: Er fühlte sich geschmeichelt, er empfand Furcht, spürte seine Neigung zu Vorsicht und hatte ein schlechtes Gewissen. Das schlechte Gewissen war nicht überraschend, überlegte er. Obwohl er frustriert aus Kyralia abgereist war, nachdem er sich von Tayend, seinem Liebhaber, entfremdet hatte, war von ihnen keine klare Entscheidung für eine Trennung getroffen worden.
Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich diese Trennung will. Vielleicht bin ich sentimental, dass ich etwas, das nur noch in der Vergangenheit existiert, nicht loslassen will. Doch wenn ich mich frage, ob ich an Achati interessiert bin, kann ich weder so noch so antworten. Ich bewundere den Mann. Ich habe das Gefühl, dass wir vieles gemeinsam haben – Magie, Interessen, unser Alter …
Ein Sklave betrat den Raum und warf sich zu Boden. Dannyl quittierte die Störung mit einem Seufzer.
»Sprich«, befahl er.
»Gildekutsche hier. Zwei Fahrgäste.«
Dannyl stand hastig auf, und sein Herz machte einen Satz, der auf jähe Erregung und Hoffnung zurückzuführen war. Endlich war sein neuer Assistent eingetroffen. Obwohl er keine Arbeit für ihn hatte, würde er zumindest ein wenig Gesellschaft bekommen.
»Schick sie herein.« Dannyl rieb sich die Hände, machte einige Schritte auf den Haupteingang zu und hielt dann inne. »Und sorge dafür, dass jemand etwas zu essen und zu trinken bringt.«
Der Sklave rappelte sich hoch und hastete davon. Dannyl hörte, wie eine Tür geschlossen wurde, dann Schritte im Eingangsflur. Der Türsklave trat in den Raum und warf sich Dannyl zu Füßen. Die junge Heilerin, die ihm folgte, betrachtete den Sklaven voller Entsetzen, dann schaute sie zu Dannyl auf und nickte respektvoll.
Er öffnete den Mund, um sie willkommen zu heißen, aber die Worte kamen ihm nicht über die Lippen, weil ein bunt gekleideter Mann, der hinter ihr herging, seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Der Mann musterte den Raum mit lebhaften, neugierigen Blicken.
Dann traf der Blick des Mannes den Dannyls, und seine Augen funkelten, als ein vertrauter Mund sich zu einem breiten Lächeln dehnte.
»Seid mir gegrüßt, Botschafter Dannyl«, sagte Tayend. »Mein König hat mir versichert, dass die Gilde Elynes Botschafter in Sachaka ein Quartier geben würde, aber wenn diese Bitte ungelegen kommt, bin ich mir sicher, dass ich in der Stadt eine passende Unterkunft finden kann.«
»Botschafter …?«, wiederholte Dannyl.
»Ja.« Tayends Lächeln wurde noch breiter. »Ich bin der neue elynische Botschafter in Sachaka.«
Obwohl eine Verbindung zu Verbrechern nicht länger gegen irgendeine Regel der Gilde verstieß und es für Sonea nur folgerichtig war, sich bei der Jagd auf wilde Magier mit Cery zu beraten – er hatte ihr bereits in der Vergangenheit geholfen, einen zu fangen –, traf Sonea sich lieber heimlich mit ihm. Manchmal erschien er in ihrem Quartier in der Gilde, manchmal traf sie ihn in einem abgelegenen Bereich der Stadt. Der Lagerraum des Nordseite-Hospitals hatte sich als einer der sichersten Orte für solche Zusammenkünfte erwiesen; er war durch eine Geheimtür auch von einem Nachbarhaus aus zugänglich, das Cery gekauft hatte.
Es war sicherer, sich heimlich zu treffen, weil der mächtigste Dieb der Stadt, der wilde Magier, auf den sie Jagd machte, gewiss nicht erfreut darüber gewesen wäre zu erfahren, dass Cery der Gilde geholfen hatte, seine Mutter, Lorandra, zu fangen und einzusperren. Skellin besaß noch immer großen Einfluss in Imardins Unterwelt und hätte alles getan – einschließlich der Ermordung seiner Verfolger –, um zu verhindern, dass auch er gefangen wurde.
Allerdings gab es seit Monaten nicht mehr die geringste Spur von Skellin. Obwohl Sonea endlich die Erlaubnis erhalten hatte, sich frei in der Stadt zu bewegen, waren ihre Nachforschungen über das Versteck des wilden Magiers ergebnislos geblieben. Cerys Leute, die vermutlich leichter etwas über den Wilden in Erfahrung bringen konnten, hatten ebenfalls nichts herausbekommen. Ein in seinem Äußeren so exotischer Mann wie Skellin sollte eigentlich Aufmerksamkeit erregen, aber es hatten sie keine Berichte über einen schlanken Mann mit rötlich dunkler Haut und fremdartigen Augen erreicht.
»Seine Feuel-Verkäufer sind überall in meinem Territorium«, erzählte Cery ihr. »Sobald ich ein Glühhaus schließe, öffnet ein anderes. Ich kümmere mich um einen Verkäufer, und zehn weitere tauchen auf. Ganz gleich wie ich mit ihnen verfahre, nichts schreckt sie ab.«
Sonea wollte nicht fragen, wie es aussah, wenn Cery sich um jemanden »kümmerte«. Sie bezweifelte, dass es bedeutete, dass er ihn freundlich bat zu verschwinden. »Klingt so, als hätten sie vor Skellin größere Angst als vor dir. Das heißt gewiss, dass er noch in der Stadt ist.«
Cery schüttelte den Kopf. »Er könnte jemand anderem den Auftrag gegeben haben, die Verkäufer in seinem Namen einzuschüchtern. Wenn du genug Leute hast, die für dich arbeiten, und außerdem Verbündete, kannst du ein Geschäft aus der Ferne betreiben. Als einziger Nachteil bleibt, dass es immer etwas Zeit kostet, Nachrichten und Befehle zu übermitteln.«
»Können wir das überprüfen? Wir könnten etwas tun, worum Skellin sich persönlich kümmern muss. Etwas, das seine Verbündeten und Handlanger nicht für ihn entscheiden können. Wir werden herausfinden, wie lange es dauert, eine Reaktion zu erzielen, und das könnte uns verraten, ob er in Imardin ist oder nicht.«