»Ist es das nicht immer?«, sagte Isobel laut.
Sie warf einen Blick auf ihre Uhr, holte tief Luft und ging zum Badezimmer. Der kleine blaue Streifen war schon sichtbar, bevor sie die Tür erreicht hatte. Plötzlich wurde ihr übel.
»Nein«, flüsterte sie. »Das kann nicht sein.« Sie wich vor dem Schwangerschaftstest wie vor etwas Giftigem zurück und schloss die Tür. Nach einem tiefen Atemzug griff sie automatisch nach ihrem Wodkaglas. Dann hielt ihre Hand in plötzlicher Erkenntnis inne.
»Isobel?«, meldete sich der Anrufbeantworter gerade fröhlich. »Hier noch mal Milly. Ich bin heute Abend bei Simon, könntest du mich also bitte dort anrufen?«
»Nein!«, brüllte Isobel und spürte, wie ihr die Tränen kamen. »Kann ich nicht, okay?« Sie nahm das Wodkaglas, leerte es in einem Zug und knallte es trotzig auf den Nachttisch. Doch plötzlich traten weitere Tränen in ihre Augen, plötzlich konnte sie ihren Atem nicht mehr kontrollieren. Wie ein verwundetes Tier krabbelte sie ins Bett und vergrub den Kopf im Kissen. Und als das Telefon abermals klingelte, fing sie lautlos zu weinen an.
3. Kapitel
Um halb neun trafen Olivia und Milly in Pinnacle Hall ein. Simon machte ihnen auf und führte sie in den großen, fürstlichen Salon.
»Oh!« Olivia schlenderte zu dem knisternden Feuer. »Wie gemütlich!«
»Ich hole Champagner«, meinte Simon. »Dad sitzt noch immer am Telefon.«
»Ach«, meinte Milly schwach, »ich glaube, ich versuch’s auch noch mal bei Isobel. Ich telefoniere vom Billardzimmer aus.«
»Kann das nicht warten?«, fragte Olivia. »Was willst du denn von ihr?«
»Ach, nichts Besonderes«, sagte Milly sofort. »Ich muss bloß … mit ihr sprechen.« Sie schluckte. »Es dauert nicht lange.«
Als die beiden verschwunden waren, nahm Olivia in einem Sessel Platz und bewunderte das Porträt über dem Kamin. Ein prachtvoll gerahmtes Ölgemälde, das aussah, als sei es zusammen mit dem Haus gekauft worden; tatsächlich war es ein Jugendbild von Harrys Großmutter. Harry Pinnacle war als Selfmademan so berühmt, dass vielfach angenommen wurde, er hätte aus dem Nichts angefangen. Die Tatsache, dass er eine teure Privatschule besucht hatte, hätte die Geschichte nur verdorben – ebenso die saftigen elterlichen Darlehen, die ihm den Start überhaupt ermöglicht hatten –, infolgedessen wurden sie im Allgemeinen unter den Teppich gekehrt, auch von Harry selbst.
Die Tür ging auf, und eine hübsche, blonde junge Frau in einem schicken Hosenanzug kam mit einem Tablett voller Champagnergläser herein. »Simon kommt gleich«, erklärte sie. »Ihm ist bloß gerade eingefallen, dass er noch ein Fax versenden muss.«
»Danke.« Mit huldvollem Lächeln nahm Olivia sich ein Glas.
Die junge Frau verließ den Raum, und Olivia nippte an ihrem Champagner. Das Feuer erwärmte ihr Gesicht, ihr Sessel war bequem, durch verdeckte Lautsprecher ertönte angenehme klassische Musik. So, dachte sie, sollte das Leben sein. Sie verspürte einen Stich – teils Entzücken, teils Neid – angesichts der Tatsache, dass ihre Tochter bald ein ähnliches Leben führen würde. Milly war in Pinnacle Hall bereits genauso zu Hause wie in der Bertram Street. Sie war daran gewöhnt, unbefangen mit Harrys Personal umzugehen und bei großen Dinnerpartys neben Simon zu sitzen. Natürlich konnten sie und Simon vorgeben, wie jedes andere junge Paar zu sein, ohne nennenswertes Vermögen – aber wem konnten sie damit schon was vormachen? Eines Tages würden sie reich sein. Sagenhaft reich. Milly würde sich jeden Wunsch erfüllen können.
Olivia umklammerte ihr Glas fester. Als die Verlobung verkündet worden war, hatte eine erstaunte, fast Schwindel erregende Freude von ihr Besitz ergriffen. Es reichte ja schon, dass Milly überhaupt Kontakt zu Harry Pinnacles Sohn hatte. Aber dass die beiden auch noch heirateten – und das so rasch –, das überstieg ihre kühnsten Erwartungen. Während die Hochzeitsvorbereitungen voranschritten und konkreter wurden, brüstete sie sich damit, dass sie ihren Triumph zu verbergen wusste, dass sie mit Simon so ungezwungen umging wie mit jedem anderen Beau, dass sie die Bedeutung der Vermählung – gegenüber sich selbst wie gegenüber allen anderen – herunterspielte.
Aber nun, da es in wenigen Tagen soweit war, begann ihr Herz wieder triumphierend höher zu schlagen. In nur wenigen Tagen würde alle Welt sehen, wie ihre Tochter einen der begehrtesten Junggesellen des Landes heiratete. All ihre Freunde – ja, alle, die sie je gekannt hatten – müssten sie dabei bewundern, wie sie über die größte, glanzvollste und romantischste Hochzeit residierte, die jeder von ihnen je erlebt hatte. Ein Ereignis, das Olivias bisherigem Leben einen Glanzpunkt aufsetzte, das sogar ihre eigene Hochzeit übertraf. Das war eine bescheidene, anonyme kleine Angelegenheit gewesen. Wohingegen diesmal bedeutende, einflussreiche, betuchte Leute zugegen sein würden, die sich alle im Hintergrund halten müssten, während sie – und Milly natürlich – im Mittelpunkt stünden.
In nur wenigen Tagen würde sie sich in ihre Designerkluft werfen, in unzählige Kameras lächeln und beobachten, wie all ihren Freunden, Bekannten und neidischen Verwandten angesichts von Millys verschwenderischem Empfang die Augen übergingen. Der Tag würde wunderschön und unvergesslich werden. Wie ein schöner Kinofilm, dachte Olivia glücklich. Irgendein wunderbarer, romantischer Hollywoodfilm.
James Havill erreichte die Eingangstür von Pinnacle Hall und zog an dem schweren schmiedeeisernen Klingelzug. Während er darauf wartete, dass man ihm öffnete, sah er sich stirnrunzelnd um. Das Anwesen war schön, vollkommen, unwirklich – ein Klischee des Reichtums, das einem dieser entsetzlichen Hollywoodfilme entsprungen sein könnte. Wenn es das ist, was man sich mit Geld kaufen kann, dachte er nicht ganz ehrlich für sich, dann könnt ihr’s behalten. Mir ist das richtige Leben lieber.
Ihm fiel auf, dass die Tür nur angelehnt war, und er stieß sie auf. In einem riesigen Kamin loderte fröhlich ein Feuer, und sämtliche Kronleuchter brannten, aber zu sehen war niemand. Er blickte sich um und versuchte, sich einen Reim aus den vielen Türen zu machen. Eine davon führte in den riesigen Salon mit den Hirschgeweihen. Daran erinnerte er sich von früheren Besuchen. Aber welche bloß? Einen Augenblick zauderte er, dann trat er, plötzlich verärgert über sich selbst, zur nächsten Tür und machte sie auf.
Aber er hatte sich geirrt. Das Erste, was er sah, war Harry. Er saß an einem riesigen Eichenschreibtisch und schien gänzlich in ein Telefongespräch vertieft. Beim Geräusch der sich öffnenden Tür hob er den Kopf und winkte James irritiert fort.
»Entschuldigung«, sagte James leise und trat den Rückweg an.
»Mr. Havill?«, ertönte eine Stimme hinter ihm. »Verzeihen Sie, dass ich Ihnen nicht schneller aufgemacht habe.« James wandte sich um und sah eine blonde Frau, die er als eine von Harrys Assistentinnen erkannte. »Wenn Sie mir bitte folgen würden …« Sie führte ihn taktvoll aus dem Raum und schloss die Tür des Arbeitszimmers.
»Danke.« James fühlte sich von oben herab behandelt.
»Die anderen sind im Salon. Geben Sie mir doch Ihren Mantel.«
»Danke«, sagte James abermals.
»Und wenn Sie sonst noch etwas brauchen«, meinte das Mädchen freundlich, »dann fragen Sie mich einfach. Ja?« Mit anderen Worten – dachte James erbost –, wandern Sie hier nicht herum. Das Mädchen lächelte ihn aalglatt an, öffnete die Salontür und führte ihn hinein.
Die Tür öffnete sich plötzlich, und Olivia wurde aus ihrer angenehmen Traumwelt gerissen. Rasch glättete sie ihren Rock und blickte in Erwartung Harrys lächelnd auf. Aber es war wieder die hübsche Blondine.
»Ihr Mann ist da, Mrs. Havill«, sagte sie und trat zur Seite. James trat ein. Er kam direkt vom Büro, sein dunkelgrauer Anzug war zerknittert, und er sah müde aus.