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»He!«, rief Milly sofort. »Das ist meiner!« Und sie lief die Treppe hinunter auf ihn zu, eine Konfettispur im Schlepptau. »Der gehört mir«, wiederholte sie noch einmal deutlich, als sie sich dem Jungen näherte, weil sie dachte, er sei vielleicht ein ausländischer Student mit schlechten Englischkenntnissen.

»Ja«, erwiderte der Junge trocken. »Das dachte ich mir schon.«

Er reichte ihr den Schleier, und Milly lächelte ihn unsicher an, bereit, ein bisschen zu schäkern. Aber die Miene des Jungen veränderte sich nicht; in seinem Blick hinter der Nickelbrille erkannte sie so etwas wie Verachtung. Mit einem Mal kam sie sich in ihrem schlecht sitzenden Brautkleid aus Nylon und mit bloßem Kopf ein bisschen albern vor.

»Danke«, sagte sie und nahm den Schleier. Der Junge zuckte mit den Achseln.

»Nichts zu danken.«

Er beobachtete, wie sie, verunsichert von seinem Starren, den Schleier wieder befestigte.

»Gratulation«, setzte er hinzu.

»Wozu?«, fragte Milly, ohne nachzudenken.

»Eine glückliche Ehe!«, sagte der Junge mit unbewegter Stimme. Er nickte ihr zu und ging davon, bevor Milly noch etwas erwidern konnte.

»Wer war das?«, erkundigte sich Allan, der plötzlich neben ihr auftauchte.

»Keine Ahnung«, sagte Milly. »Er hat uns eine glückliche Ehe gewünscht.«

»Eine glückliche Scheidung wohl eher«, meinte Rupert, der Allans Hand umklammerte. Milly sah ihn an. Sein Gesicht leuchtete; er wirkte schöner denn je.

»Milly. Ich bin dir sehr dankbar«, sagte Allan. »Wir beide sind es.«

»Keine Ursache«, sagte Milly. »Es hat Spaß gemacht, ehrlich!«

»Na, trotzdem. Wir haben hier eine Kleinigkeit für dich.« Nach einem Blick zu Rupert griff Allan in seine Tasche und reichte Milly eine kleine Schachtel. »Süßwasserperlen«, erklärte er, während sie die Schachtel öffnete. »Wir hoffen, sie gefallen dir.«

»Oh, und wie!« Milly blickte strahlend von einem zum anderen. »Das wäre aber doch nicht nötig gewesen!«

»Wir wollten es aber«, erwiderte Allan ernst. »Als Dank dafür, dass du eine tolle Freundin bist – und eine perfekte Braut.« Er befestigte die Kette um Millys Hals, und sie errötete vor Freude. »Du siehst schön aus«, sagte er leise. »Die schönste Ehefrau, die sich ein Mann erhoffen kann.«

»Tja«, sagte Rupert, »und wie wär’s jetzt mit etwas Champagner?«

Den Rest des Tages verbrachten sie damit, auf dem Cherwell Stechkahn zu fahren, erlesenen Champagner zu trinken und extravagante Trinksprüche aufeinander auszubringen. In den folgenden Tagen verbrachte Milly jede freie Minute mit Rupert und Allan. An den Wochenenden fuhren sie aufs Land und veranstalteten verschwenderische Picknicks auf karierten Decken. Sie besuchten den Blenheim Palace, und Milly bestand darauf, im Gästebuch mit Mr. und Mrs. Allan Kepinski zu unterschreiben. Drei Wochen später, als ihre Zeit im Sekretärinnencollege um war, reservierten Allan und Rupert im Randolph einen Tisch und ließen Milly drei Gänge bestellen, ohne dass sie sich die Preise anschauen durfte.

Am nächsten Tag brachte Allan sie zum Bahnhof, half ihr beim Verstauen des Gepäcks und trocknete ihre Tränen mit einem seidenen Taschentuch. Er küsste sie zum Abschied, versprach zu schreiben und sagte, sie würden sich bald in London treffen.

Milly sah ihn niemals wieder. 

1. Kapitel

Zehn Jahre später

Das Zimmer war groß und luftig, und man blickte über die Straßen von Bath, die eine feine Schicht Januarschnee bedeckte. Vor ein paar Jahren war der Raum in traditionellem Stil mit gestreiften Tapeten und ein paar guten georgianischen Möbelstücken neu eingerichtet worden. Augenblicklich verschwanden diese allerdings unter einem Meer bunter Kleidungsstücke, CDs, Zeitschriften und Make-up. Den schönen Mahagonischrank in einer Ecke verdeckte fast völlig ein riesiger weißer Kleidersack aus Baumwolle; auf dem Sekretär stand eine Hutschachtel; auf dem Boden beim Bett lag ein Koffer, halb gefüllt mit Kleidungsstücken für Flitterwochen in warmen Regionen.

Milly, die einige Zeit vorher zum Fertigpacken hochgekommen war, lehnte sich gemütlich auf ihrem Schlafzimmerstuhl zurück, sah auf die Uhr und biss in einen kandierten Apfel. Auf ihrem Schoß hielt sie Hochglanzmagazine, geöffnet bei den Ratgeberseiten, deren erste mit »Liebe Anne« begann. »Ich habe ein Geheimnis vor meinem Mann.« Milly verdrehte die Augen. Sie brauchte den Rat nicht einmal zu lesen. Der lautete nämlich immer gleich. Sag die Wahrheit. Sei ehrlich. Wie eine Art weltlicher Katechismus, den man, einmal auswendig gelernt, ohne nachzudenken herbeten konnte.

Ihre Augen wanderten zum zweiten Problem. »Liebe Anne, ich verdiene viel mehr Geld als mein Freund.« Milly nagte geringschätzig an ihrem kandierten Apfel. Die hatte Probleme! Sie blätterte zu den Homestyle-Seiten weiter und erspähte eine Auswahl teurer Papierkörbe. So etwas fehlte eigentlich noch auf ihrer Hochzeitsliste. Vielleicht war es noch nicht zu spät.

Unten klingelte es an der Tür, doch sie rührte sich nicht. Simon konnte es nicht sein, noch nicht; wahrscheinlich einer der Pensionsgäste. Träge hob Milly den Blick von ihrer Zeitschrift und sah sich in ihrem Zimmer um. Seit zweiundzwanzig Jahren wohnte sie hier, und zwar, seitdem die Familie Havill in die Bertram Street gezogen war und sie mit der Verzweiflung einer Sechsjährigen erfolglos gebettelt hatte, man möge ihr Zimmer babyrosa streichen. Seitdem war sie im Internat gewesen, im College, sogar kurz nach London gezogen – und jedes Mal war sie zurückgekehrt, zurück in dieses Zimmer. Aber am Samstag würde sie fortgehen und nie mehr zurückkommen. Sie würde ein eigenes Heim gründen. Einen Neuanfang machen. Als eine erwachsene, verheiratete Frau.

»Milly?« Die Stimme ihrer Mutter riss sie aus ihren Gedanken. »Simon ist da!«

»Was?« Milly warf einen Blick in den Spiegel und zuckte angesichts ihres zerzausten Erscheinungsbildes zusammen. »Bloß nicht!«

»Soll ich ihn raufschicken?« Ihre Mutter steckte den Kopf herein und musterte das Zimmer. »Milly! Du solltest dieses Durcheinander aufräumen!«

»Lass ihn ja nicht hochkommen!«, bat Milly und betrachtete den kandierten Apfel in ihrer Hand. Sie schlug die Zeitschrift zu und legte sie auf den Boden, dann überlegte sie es sich anders und kickte sie unter das Bett. Hastig pellte sie sich aus der jeansblauen Leggings und öffnete ihren Kleiderschrank. Auf der einen Seite hingen eine gut geschnittene schwarze Hose, ein anthrazitfarbener klassischer Rock, ein brauner Hosenanzug und eine Reihe adretter weißer Hemdblusen. Auf der anderen Seite befanden sich all die Kleidungsstücke, die sie trug, wenn sie nicht mit Simon zusammen war: zerfetzte Jeans, uralte Pullis, enge, knallige Miniröcke. All die Kleidungsstücke, die sie noch vor Samstag würde ausmustern müssen.

Sie zog die schwarze Hose und eine der weißen Hemdblusen an und griff nach dem Kaschmirpullover, den Simon ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie betrachtete sich eingehend im Spiegel, bürstete ihr Haar – nun honigblond und schulterlang – und schlüpfte in ein Paar teurer schwarzer Halbschuhe. Sie und Simon hatten einander oft versichert, dass man am falschen Ende sparte, wenn man sich billige Schuhe zulegte; soweit Simon wusste, besaß sie nur die schwarzen Halbschuhe, ein Paar braune Stiefel und ein Paar marineblaue Guccislipper, die er ihr selbst gekauft hatte. Seufzend schloss Milly die Schranktür, stieg über einen Unterwäschehaufen auf dem Boden hinweg und ergriff ihre Tasche. Sie besprühte sich mit Parfüm, schloss fest die Zimmertür und schickte sich an, die Treppe hinunterzugehen.

»Milly!«, zischte ihre Mutter ihr zu, als sie an deren Zimmer vorbeiging. »Komm her!«

Gehorsam betrat Milly das Zimmer. Olivia Havill stand an einer Kommode, vor sich ihre geöffnete Schmuckschatulle.