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Plötzlich riss ihn erneutes Gelächter aus dem Zimmer seines Vaters aus seinen Gedanken, eine gemurmelte Unterhaltung folgte und dann ein Bimmeln, das Signal, dass sein Vater den altmodischen Hörer seines Privattelefons aufgelegt hatte. Simon wartete noch eine Weile, holte tief Luft, ging auf die Tür zu und klopfte.

Als Harry Pinnacle das Klopfen an der Tür hörte, fuhr er zusammen, was gar nicht seine Art war. Rasch verstaute er die kleine Fotografie, die er in der Hand gehalten hatte, in der Schreibtischschublade vor sich und schob sie zu. Sicherheitshalber sperrte er sie dann auch noch ab. Ein paar Augenblicke saß er gedankenverloren da und starrte den Schubladenschlüssel an.

Es klopfte noch einmal, und er sah auf. Er drehte sich mit seinem Stuhl vom Schreibtisch fort und fuhr sich durch das ergrauende Haar.

»Ja?« Er beobachtete, wie die Tür aufging.

Simon kam herein, machte ein paar Schritte auf seinen Vater zu und sah ihn wütend an. Es war immer das Gleiche. Er klopfte an die Tür seines Vaters, und dieser ließ ihn warten wie einen Bediensteten. Nicht ein Mal hatte Harry ihn gebeten, das Klopfen sein zu lassen. Kein einziges Mal hatte er bei seinem Anblick erfreut gewirkt. Immer wirkte er ungeduldig, so, als würde Simon ihn bei einer entscheidenden geschäftlichen Transaktion stören. Aber das ist völliger Blödsinn, dachte Simon. Das stimmt überhaupt nicht. Du bist lediglich ein arroganter Scheißkerl.

Sein Herz schlug schnell; er steuerte auf Konfrontationskurs. Aber er brachte es nicht über sich, einen der hämischen Gedanken zu äußern, die ihm durch den Kopf gingen.

»Hi«, sagte er mit angespannter Stimme. Er umklammerte die Lehne eines Lederstuhls und starrte seinen Vater zornig an, in der vagen Hoffnung, auf diese Weise eine Reaktion provozieren zu können. Aber sein Vater starrte einfach nur zurück. Nach einer Weile legte er seufzend seinen Füller ab.

»Hallo«, sagte er. »Einen angenehmen Tag gehabt?« Simon zuckte mit den Achseln und sah fort. »Lust auf einen Whisky?«

»Nein, danke.«

»Tja, ich schon.«

Als Harry aufstand, um sich einen Drink einzuschenken, erhaschte er einen Blick vom unkontrollierten Gesicht seines Sohnes: angespannt, unglücklich, wütend. Der Junge war voller Zorn; ein Zorn, der in ihm steckte, seit Harry ihn zum ersten Mal im Krankenhaus vor dem Zimmer seiner Mutter gesehen hatte. An jenem Tag hatte er seinem Vater vor die Füße gespuckt und war davonstolziert, ehe Harry noch etwas sagen konnte. Ein entsetzliches Schuldgefühl hatte von ihm Besitz ergriffen, das ihm jedes Mal einen Stich versetzte, wenn der Junge ihn mit den verdammten Augen seiner Mutter ansah.

»Angenehmen Tag gehabt?«, fragte er und hob das Whiskyglas an seine Lippen.

»Das hast du mich schon gefragt.«

»Stimmt.« Harry trank einen Schluck der feurigen Flüssigkeit und fühlte sich ein wenig besser. Er trank noch einen.

»Ich bin gekommen«, sagte Simon, »um dich an das Dinner heute Abend zu erinnern. Die Havills kommen.«

»Weiß schon«, sagte Harry. Er stellte das Glas ab und sah auf. »Nicht mehr lange hin bis zum großen Tag. Bist du nervös?«

»Nein, keine Spur«, sagte Simon sofort.

Harry zuckte die Achseln.

»Es ist eine große Verpflichtung.«

Simon starrte seinen Vater an. Ihm lag eine Entgegnung auf der Zunge, aufgestaute Worte, die er seit Jahren wie eine ständige Last mit sich herumgeschleppt hatte.

»Tja«, brach es aus ihm hervor, »von Verpflichtungen hast du ja wenig Ahnung, oder?«

Ein zorniger Ausdruck huschte über das Gesicht seines Vaters, und Simon stockte der Atem. Er wartete darauf, dass er ihn anschrie, zu einer noch zornigeren Erwiderung ansetzte. Aber so plötzlich, wie er erschienen war, verschwand er wieder, und Harry ging zu den riesigen Schiebefenstern hinüber. Die Frustration in Simon wurde übermächtig.

»Was ist an einer Verpflichtung verkehrt?«, brüllte er. »Was ist daran verkehrt, jemanden sein ganzes Leben lang zu lieben?«

»Nichts«, erwiderte Harry, ohne sich umzudrehen.

»Warum hast du dann …«, begann Simon und verstummte. Eine lange Stille trat ein, unterbrochen nur vom Knistern des Feuers. Simon starrte den Rücken seines Vaters an. Sag etwas, dachte er verzweifelt. Sag etwas, du Arschloch.

»Wir sehen uns um acht«, meinte Harry.

»Gut.« Simon klang zutiefst verletzt. »Bis dann.«

Und er verließ schnurstracks den Raum.

Harry starrte auf das Glas in seiner Hand und verfluchte sich. Er hatte nicht die Absicht gehabt, den Jungen zu reizen. Oder vielleicht doch. Er konnte seinen eigenen Motiven nicht länger trauen, war nicht länger Herr über seine Empfindungen. Mitgefühl verwandelte sich so rasch in Irritation, Schuldgefühle in Zorn. Gute Absichten gegenüber seinem Sohn verschwanden, sobald er den Mund aufmachte. Ein Teil von ihm konnte es gar nicht erwarten, dass Simon endlich heiratete, sein Haus verließ und eine eigene Familie gründete, die ihm endlich Frieden gab. Und ein Teil von ihm fürchtete es, er wollte nicht einmal daran denken.

Stirnrunzelnd goss Harry sich noch einen Whisky ein und begab sich zurück an seinen Schreibtisch. Er griff nach dem Telefon, wählte eine Nummer, lauschte ungeduldig dem Klingelton und knallte den Hörer dann mit finsterem Blick wieder auf die Gabel.

Milly saß mit klopfendem Herzen am Küchentisch und wünschte sich, sie könnte das Weite suchen. Es war der Junge aus Oxford. Der Junge, der gesehen hatte, wie sie Allan geheiratet hatte; der ihren Hochzeitsschleier aufgehoben und ihn ihr wiedergegeben hatte. Er war nur älter. Seine Gesichtszüge waren kantiger, und er hatte Stoppeln auf dem Kinn. Aber seine Nickelbrille trug er immer noch, genauso den arroganten, fast verächtlichen Gesichtsausdruck. Gerade lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und sah sie neugierig an. Erinnere dich bloß nicht, dachte Milly, die seinen Blick nicht zu erwidern wagte. Erinnere dich um Himmels willen nicht daran, wer ich bin.

»So!« Olivia kam an den Tisch. »Ich habe die Blumen für dich arrangiert, Schatz. Du kannst sie doch nicht einfach fortlegen und vergessen!«

»Ich weiß«, murmelte Milly. »Danke.«

»Ja, und Sie, Alexander, noch etwas Tee?«

»Jepp«, sagte der junge Mann und hielt ihr seine Tasse hin. »Vielen Dank.« Olivia goss den Tee ein, dann setzte sie sich und lächelte in die Runde.

»Ach, ist es nicht schön«, meinte sie. »So allmählich habe ich das Gefühl, als ob die Hochzeit wirklich stattfindet!« Sie trank einen Schluck Tee und sah dann auf. »Milly, hast du Alexander deinen Verlobungsring gezeigt?«

Langsam zeigte Milly Alexander ihre linke Hand, und alles in ihr verkrampfte sich. Seine Augen glitten unergründlich über den alten Diamantring, dann hob er den Blick zu ihr.

»Sehr nett«, sagte er und trank einen Schluck Tee. »Sie sind mit Harry Pinnacles Sohn verlobt. Dem Erben von Fruit’n Smooth, stimmt’s?«

»Ja«, sagte Milly widerstrebend.

»Kein schlechter Fang.«

»Er ist ein süßer Junge«, sagte Olivia auf der Stelle, wie sie das immer tat, wenn jemand von Simons finanziellem oder familiärem Hintergrund sprach. »Gehört schon richtig zu uns.«

»Und was tut er?« In Alexanders Stimme schwang leichter Spott mit. »Arbeitet er für seinen Vater?«

»Nein«, sagte Milly unsicher. »Er ist Werbevertreter.«