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»Durchaus«, antwortete Trautman. Er schüttelte den Kopf und maß Mike mit einem Blick, der ihm selbst angesichts seiner Heldentat an Bord der NAUTILUS nicht halb so bewundernd vorkam, wie es angemessen gewesen wäre. »Was du getan hast, war ziemlich tapfer -« Mike lächelte geschmeichelt, und Trautman fügte im gleichen Tonfall hinzu: »- aber auch ziemlich dumm.«

»So?« sagte Mike kleinlaut.

»Wenn du das nächste Mal kämpfen willst«, schlug Ben vor, »vergiß nicht wieder, ein Schwert zu benutzen.« Trautman brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Im Ernst«, fuhr er fort. »Fühlst du dich gut?«

»Ja«, antwortete Mike etwas ungeduldig. »Meine Hände tun weh, aber das ist auch alles.«

»Sei froh, daß du noch Hände hast, die dir weh tun können«, sagte Trautman ernst. »Eine Weile hatten wir ziemliche Angst um dich.«

»Habt ihr mich deshalb festgebunden?« fragte Mike. »Du hast geschrien und um dich geschlagen«, erklärte Trautman. »Und du hast immer wieder versucht, die Verbände herunterzureißen, so daß wir dich schließlich fesseln mußten. Du hattest ziemlich hohes Fieber.«

»Wie?« machte Mike verständnislos. Er kramte vergeblich in seinem Gedächtnis. Wenn er all das getan hätte, dann müßte er sich doch erinnern. Außerdem konnte er doch gar nicht so lange bewußtlos gewesen sein. Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Trautman in diesem Moment: »Du warst fast zwei Tage lang bewußtlos.«

»Zwei Tage?!« Mike richtete sich erschrocken auf und fiel sofort wieder zurück, denn das Schwindelgefühl hinter seiner Stirn wurde prompt heftiger. Zwei Tage! Kein Wunder, daß er sich so schlapp fühlte. Sehr viel vorsichtiger richtete er sich ein zweites Mal auf und sah erst Trautman, dann die anderen an.

»Was ist passiert?« fragte er. »Wo sind wir, und wo ist Serena?«

»Was passiert ist, weißt du ja selbst am besten«, antwortete Trautman. Er setzte sich auf die Kante von Mikes Bett und wartete, bis die anderen ebenfalls Platz genommen hatten. »Und wo wir sind, kann ich dir leider nicht sagen. Auch Das Volk weiß nichts über diesen Ort.«

»Das Volk?«

»Die Leute, die uns gefangengenommen haben«, antwortete Trautman. »Sie nennen sich selbst Das Volk. Sie sagen, sie brauchen keinen anderen Namen. Und eigentlich haben sie auch recht damit. Schließlich sind sie die einzigen hier unten... wenigstens die einzigen Menschen.«

Der letzte Satz weckte Mikes Neugier, aber Trautman sprach bereits weiter. »Serena ist bei ihnen. Keine Sorge, es geht ihr gut.«

Und da erinnerte sich Mike an den allerletzten Augenblick, bevor ihm die Sinne geschwunden waren. »Moment mal!« sagte er. »Wieso... wieso sind wir gefangen? Serena ist doch... ich meine, sie haben sie doch -«

Trautman unterbrach ihn. »Die Geschichte ist nicht ganz einfach, fürchte ich. Willst du etwas zu trinken?«

Mike war sehr durstig, und so nickte er. Singh reichte ihm eine hölzerne Schale mit etwas, was er für Wasser hielt, sich aber als eine Art klarer Fruchtsaft herausstellte, der nicht nur ausgezeichnet schmeckte, sondern auch den Durst viel besser löschte, als Wasser dies getan hätte. Trotzdem leerte er auch noch eine zweite Schale, ehe er sie an Singh zurückgab und Trautman mit einem entsprechenden Blick aufforderte, weiterzusprechen.

»Das beste wird wohl sein, wenn ich dir der Reihe nach erzähle, was wir in den letzten beiden Tagen in Erfahrung gebracht haben«, sagte Trautman. »Kannst du aufstehen?«

Mike versuchte es. Er war noch ein bißchen wackelig auf den Beinen, so daß Singh ihm helfen mußte, aber schon nach ein paar Schritten kehrten seine Kräfte zurück, und er konnte - wenn auch mühsam - allein gehen. Trautman und die anderen eilten voraus, und Chris öffnete eine Tür, die aus dem gleichen Material wie ihre gesamte Behausung bestand und sich knarrend in Angeln bewegte, die aus groben Stricken geflochten waren.

Mike war erstaunt. »Ich denke, wir sind Gefangene?« fragte er.

»Nicht wirklich«, antwortete Ben. »Du wirst gleich erfahren, warum.«

Das erste, was Mike sah, als sie das Haus verließen, war der Hafen. Die Basthütte lag auf einer etwa dreißig oder vierzig Meter hohen Klippe, die unmittelbar an das Wasser des halbrunden Hafenbeckens grenzen mußte, denn er konnte tief unter sich die sonderbare Flotte erkennen, die sie beim Auftauchen erblickt hatten. Er sah jetzt, daß sie in Wahrheit noch viel größer war, als sie auf den ersten Blick angenommen hatten - es mußten buchstäblich Hunderte von Schiffen sein. Und unter all diesen zum Teil vertrauten, zum Teil vollkommen fremdartigen Konstruktionen erblickte er auch die NAUTILUS. Sie war mit einem gewaltigen Seil am Heck des spanischen Kriegsschiffes vertäut, von dessen Deck aus die Piraten sie angegriffen hatten, und sah aus wie ein gefangener, stählerner Riesenfisch. Dieser Anblick gab Mike einen tiefen, schmerzhaften Stich, und offensichtlich spiegelten sich seine Empfindungen deutlich auf seinem Gesicht wider, denn Trautman sagte:

»Es ist nicht so schlimm, wie du vielleicht glaubst. Was dir passiert ist, war ein Unfall. Und das gleiche gilt für Singh. Es tut ihnen auch sehr leid. Aber das wird Denholm dir sicher noch selbst sagen.«

»Denholm?«

»Der Anführer des Volkes«, erklärte Trautman. »Du hast ihn bereits kennengelernt. Er war derjenige, den du... ähm... entwaffnet hast. Im Grunde sind es sehr freundliche Menschen.«

»Das habe ich gemerkt«, bemerkte Mike bissig.

Trautman lächelte. »Ich kann dich verstehen«, behauptete er. »Wir alle haben im ersten Moment so gedacht wie du - und das ist ja auch nicht weiter erstaunlich, nicht wahr? Aber sie haben es uns erklärt. Sie leben schon sehr lange hier unten, weißt du, und diese Art, Neuankömmlinge zu empfangen, hat sich nun einmal als die beste herausgestellt.«

»Sie zu überfallen?« fragte Mike ungläubig.

»Es war kein richtiger Überfall«, antwortete Trautman. »Ist dir nicht aufgefallen, daß sie versucht haben, keinen von uns zu verletzen?« Er machte eine erklärende Handbewegung zum Hafen hinunter. »Siehst du, all diese Schiffe sind auf die gleiche Weise wie wir hier heruntergekommen - sie wurden von der Qualle überfallen und hierhergebracht. Wir haben es nicht gemerkt, weil wir sowieso in einem luftdicht abgeschlossenen Schiff waren, aber das Tier hüllt seine Beute vollkommen ein, so daß die Menschen an Bord vor dem Wasser geschützt sind und nicht ertrinken müssen. Aber du kannst dir vorstellen, daß sie vollkommen verängstigt und zutiefst verstört sind, wenn sie hier ankommen. Es kam immer wieder vor, daß sie aus reiner Panik Denholms Männer angegriffen haben - weil sie glaubten, sie wären mit dem Ungeheuer im Bunde, das ihr Schiff verschlungen hatte. Es gab auf beiden Seiten Verletzte, manchmal auch Tote. Also haben sie beschlossen, alle Neuankömmlinge sofort und mit möglichst wenig Gewaltanwendung zu überwältigen und erst einmal auf diese Klippe zu bringen. Anscheinend funktioniert dieses System hervorragend - auf jeden Fall gibt es seit Jahren keine unnötigen Verluste an Menschenleben mehr.«

»Ach?« sagte Mike übellaunig. »Und dann?«

»Später nehmen wir sie in unsere Gemeinschaft auf. Sobald sie Zeit genug gehabt haben, sich an ihre neue Situation zu gewöhnen.«

Es war nicht Trautmans Stimme, die das sagte, sondern eine fremde, und Mike drehte sich hastig herum. Sie waren nicht mehr allein. Hinter Trautman und den anderen waren drei der zerlumpten Gestalten aufgetaucht. Zwei davon waren Mike vollkommen fremd, während ihm das Gesicht des dritten bekannt vorzukommen schien.

»Sie müssen dieser Denholm sein«, sagte er in unfreundlichem Ton.

»Stimmt«, antwortete der Fremde. »Aber es heißt: Du mußt Denholm sein. Wir duzen uns hier unten alle. Und du bist Mike.«

Mike verzichtete auf eine Antwort, sondern blickte Denholm feindselig an. Denholm war ein sehr großer, hagerer Mann, dessen Gesicht von der gleichen, fast unnatürlichen Blässe war wie das seiner beiden Begleiter, und er war in die hier offenbar üblichen Fetzen gehüllt, die kaum mehr als Kleidung zu erkennen waren. Sein Gesicht war scharf geschnitten und hatte einen sehr energischen Zug, und seinen dunklen, eng beieinanderstehenden Augen schien nicht die winzigste Kleinigkeit zu entgehen. Obwohl er sehr hager war, hatte er ungemein kräftige Hände. Und trotz allem wirkte er nicht unsympathisch.