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»Ich... ich dachte, du...« stammelte Mike. Serenas Verhalten verwirrte ihn. »Warum willst du denn schon gehen?« fragte er.

»Ich habe getan, wozu ich gekommen bin«, antwortete Serena. »Du hast mir geholfen, und ich habe dir jetzt geholfen. Ich denke, wir sind quitt - oder?«

»Natürlich«, antwortete Mike hastig. »Ich dachte nur... ich meine...«

»Ja?« fragte Serena. Ihre Ungeduld war nun nicht mehr zu übersehen.

»Ich dachte, wir könnten miteinander reden«, murmelte Mike.

»Reden? Aber worüber denn?« Serena schürzte geringschätzig die Lippen und schüttelte heftig den Kopf. »Es tut mir leid, aber dafür habe ich jetzt wirklich keine Zeit. Wir sehen uns bestimmt später.«

Und damit ging sie, rasch und ohne ein weiteres Wort. Mike blieb vollkommen verwirrt zurück. Er starrte die Tür an, und für einen Moment mußte er mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfen, die ihm in die Augen steigen wollten. Er war... ja, was eigentlich? Enttäuscht?

Es gelang Mike nicht, die Gefühle wirklich in Worte zu kleiden, die in ihm tobten. Es war nicht nur Enttäuschung. Es war etwas, wofür er einfach keine Bezeichnung fand, vielleicht, weil es sich um etwas handelte, was ihm bisher vollkommen fremd gewesen war. Wie lange hatte er diesen Moment herbeigesehnt, in dem Serena endlich aus ihrem todesähnlichen Schlaf erwachen und ihn das erste Mal bewußt aus ihren schönen Augen ansehen würde, den Augenblick, in dem er das erste Mal ihre Stimme hören würde? Und wie vollkommen anders war dieser Augenblick dann gewesen.

Nein, er war nicht nur enttäuscht. Was Mike in diesem Moment empfand, das ging viel tiefer, und es tat viel heftiger weh, als bloße Enttäuschung es gekonnt hätte.

Es vergingen mehr als zwei Stunden, bis Trautman und die anderen zurückkehrten. Mike hatte die ganze Zeit auf seinem Bett zugebracht und die Decke über sich angestarrt. Vergeblich hatte er versucht, eine Erklärung für Serenas sonderbares Verhalten zu finden. Er nahm sich vor, Serena bei nächster Gelegenheit geradeheraus zu fragen, womit er sich ihren Zorn zugezogen hatte. Sicher war es nur ein Mißverständnis.

Es konnte die aufgeregten Stimmen der anderen hören, bevor sie die Hütte betraten, und auch wenn er die Worte nicht verstand, so verriet ihm doch ihr Klang, daß sie in ausgezeichneter Stimmung waren. Was immer Denholm ihnen gezeigt hatte, es konnte nichts Unangenehmes gewesen sein. Wer weiß - vielleicht hatten sie ja bereits einen Weg gefunden, um wieder aus dieser merkwürdigen Stadt herauszukommen. Er stand auf und zwang ein möglichst unbefangenes Lächeln auf sein Gesicht.

Trautman und die vier anderen staunten nicht schlecht, als sie die Hütte betraten und Mike, der noch vor wenigen Stunden todkrank und erschöpft auf seinem Bett gelegen hatte, ihnen fröhlich entgegenspaziert kam. Aber der Moment, auf den Mike sich am meisten gefreut hatte - nämlich der, in dem er ihnen seine vollkommen verheilten Hände präsentierte und sie eigentlich fassungslos Mund und Augen hätte aufreißen sollen, kam nicht. Trautman betrachtete seine Hände nur mit wenig Interesse, und Ben sagte ruhig: »Sie war also schon da.«

Mike begriff. Offensichtlich waren Serenas unheimliche Kräfte nur für ihn noch ein Geheimnis gewesen - aber schließlich hatten die anderen ja schon zwei Tage länger Gelegenheit gehabt, mit der Atlanterin zu sprechen und sie kennenzulernen. Wahrscheinlich war es genau umgekehrt gewesen, und Trautman und seine Freunde hatten ihm absichtlich nichts von Serenas Fähigkeiten erzählt, um ihn zu überraschen. Trotzdem war er ein wenig enttäuscht.

»Und?« fragte Ben, nachdem Mike eine Weile geschwiegen hatte. »Was hältst du von ihr? Jetzt, wo du das Vergnügen hattest, sie richtig kennenzulernen.«

Die Art, auf die Ben diese Frage stellte, gefiel Mike nicht. Er mußte sich beherrschen, um den jungen Engländer nicht anzufahren. »Sie ist... ein bißchen sonderbar«, antwortete er ausweichend. Ben legte die Stirn in Falten, und Juan und Trautman warfen sich einen vielsagenden Blick zu.

»Sonderbar, so«, wiederholte Ben. »Na, so kann man es auch nennen.«

»Sie ist bestimmt genauso verwirrt und durcheinander wie wir alle«, sagte Mike. »Immerhin hat sie jahrtausendelang geschlafen. Für sie muß das alles hier noch viel fremder und erschreckender sein als für uns.«

»Sie ist eine eingebildete Kuh«, sagte Ben ruhig.

Eine Sekunde lang starrte Mike Ben nur fassungslos an, aber dann brodelte heißer Zorn in ihm empor. »Das nimmst du zurück!« sagte er. »Du weißt ja nicht, was du da redest!«

»Okay, die Kuh nehme ich zurück«, sagte Ben grinsend. »Überhebliche Zimtzicke trifft es sowieso besser.«

Mike mußte sich beherrschen, um sich nicht auf der Stelle auf Ben zu stürzen und so lange auf ihn einzuprügeln, bis er diese Beleidigung zurücknahm. Ohne daß er es merkte, ballten sich seine Hände zu Fäusten, und er sah im wahrsten Sinne des Wortes rot.

»He, ihr beiden - aufgehört!« sagte Trautman scharf. »Reißt euch gefälligst zusammen!«

»Ich will, daß er das zurücknimmt!« sagte Mike. Seine Stimme zitterte. »Serena ist -«

»Wir wissen, was Serena ist«, unterbrach ihn Trautman in scharfem Ton. »Sie ist ein bißchen seltsam, wie du es bezeichnet hast.« Er kam auf Mike zu, ergriff ihn am Arm und schob ihn ein paar Schritte zur Seite. »Nimm es ihnen nicht übel, Mike«, fuhr Trautman fort. War es wirklich nur Zufall, daß er plötzlich so leise sprach, daß die anderen seine Worte kaum verstehen konnten? »Serena ist wirklich ein bißchen - äh... schwierig. Und es macht uns alle nervös, daß sie unsere Gedanken lesen kann.«

»Das tut Astaroth auch«, antwortete Mike. Er wußte selbst, wie albern dieser Vergleich war, und Trautman antwortete auch prompt:

»Das ist ein Unterschied, meinst du nicht?«

»Warum? Weil er ein Tier ist?«

»Weil er nicht ganz so rücksichtslos ist wie seine Herrin«, erwiderte Trautman. »Und weil er Geheimnisse besser für sich behalten kann. Und jetzt schlage ich vor, daß wir das Thema wechseln, einverstanden? Früher oder später werden wir uns schon an Serena gewöhnen.« Er machte eine Handbewegung, mit der er das Thema endgültig für beendet erklärte, und Mike akzeptierte dies. Er hatte das Gefühl, daß es im Moment vielleicht nicht gut war, zu sehr in Trautman zu dringen. Vielleicht würde ihm das, was Trautman tatsächlich von Serena dachte, nicht gefallen.

»Wie war es in der Stadt?« fragte er einsilbig.

»Interessant«, antwortete Trautman, und Ben sagte im gleichen Augenblick: »Stadt? Daß ich nicht lache!«

Trautman überging den Einwurf. »Sie ist anders, als du sie dir wahrscheinlich vorstellst«, sagte er. »Morgen früh gehen wir wieder hinunter, und Denholm hat mir versprochen, daß du uns dann begleiten darfst. Ich bin sicher, sie wird dir gefallen. Vor allem ihre Menschen. Sie sind ein sehr freundliches Volk.«

»Ja«, maulte Ben. »Vor allem ein sehr gastfreundliches Volk. Sie lieben Gäste so sehr, daß sie sie gar nicht wieder weglassen wollen.«

»Ben, das reicht«, sagte Trautman. »Was ist eigentlich in dich gefahren? Vor einer halben Stunde warst du noch bester Laune, und jetzt...«

»Da dachte ich auch noch, man könnte vernünftig mit diesem verliebten Gockel reden«, antwortete Ben patzig und wies auf Mike. »Aber das war wohl ein Irrtum.« Mike wollte auffahren, aber Trautman trat mit einem raschen Schritt zwischen ihn und Ben, ergriff Mike am Arm und zog ihn mit mehr oder weniger sanfter Gewalt mit sich. Erst als sie die Hütte verlassen hatten, ließ er ihn wieder los.

»Bitte, nimm es Ben nicht übel«, sagte er. »Er ist sehr enttäuscht, weißt du? Und das ist eben seine Art, damit fertig zu werden. Du kennst ihn ja.«

»Enttäuscht?« wiederholte Mike fragend. »Wieso?«