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»Nein, wir gehen nicht dorthin«, sagte er. »Das ist die Alte Stadt. Wir betreten sie nie, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Es ist gefährlich.«

»Gefährlich?«

»Die Fischmenschen leben dort«, erklärte Denholm. »Sie sind unsere Feinde. Aber keine Angst«, fügte er schnell hinzu. »Sie kommen nur sehr selten hierher. Die Alte Stadt liegt auf der anderen Seite der Bucht, und der Weg ist sehr weit.«

»Eure Feinde, so«, murmelte Mike, als sie weitergingen. »Gibt es da vielleicht noch ein paar Kleinigkeiten, die Sie mir noch nicht erzählt haben, Trautman?«

»Ja«, gestand Trautman, ohne ihn anzusehen. »Aber du wirst gleich alles selbst sehen. Das ist viel einfacher, als es dir zu erklären.«

Das war nicht das, was Mike hören wollte - aber er kannte Trautman auch gut genug, um zu wissen, daß es das einzige war, war er jetzt hören würde, und so faßte er sich in Geduld, so schwer es ihm auch fiel.

Der Weg war nicht mehr sehr weit. Auf einer Strecke von fünf oder sechs Minuten wurde der seltsame Korallenwald noch einmal so dicht, daß sie schließlich am Grunde eines in den leuchtendsten Farben schimmernden Tunnels entlangzugehen schienen, dann traten die Bäume wieder auseinander, und vor ihnen breitete sich eine gut zwei Meilen messende, kreisrunde Lichtung aus, auf der Denholms Stadt lag.

Um ein Haar hätte Mike vor Enttäuschung laut aufgestöhnt.

Was Denholm in einem Anfall von Größenwahn als Stadt bezeichnet hatte, das war eine Ansammlung ärmlicher, primitiver Hütten, die aus Holz, Korallen, grünen Blättergewächsen, Treibholz und einer Menge anderer nur vorstellbarer abenteuerlicher Materialien zusammengesetzt war. Keine der Behausungen glich der anderen, keine war höher als ein Stockwerk, und keine hatte auch nur Ähnlichkeit mit etwas, was Mike mit gutem Gewissen als Haus bezeichnet hätte.

»Das ist... eure Stadt?« fragte er zögernd.

»Unsere Stadt«, korrigierte ihn Denholm. »Auch ihr werdet hier leben - wenn ihr es wollt. Natürlich könnt ihr euch auch woanders ansiedeln, aber die meisten ziehen es vor, sich einen Platz hier in der Stadt zu suchen. Unsere Gemeinschaft legt großen Wert auf Zusammenhalt, mußt du wissen. Aber wir zwingen niemanden.«

»Wie beruhigend«, murmelte Mike. Er wußte nicht, ob er in Tränen oder in schallendes Gelächter ausbrechen sollte. Aber er verstand jetzt, warum ihm Trautman bisher nichts von dieser Stadt erzählt hatte.

Offenbar hatte er sich nicht so gut in der Gewalt, wie er selbst glaubte, denn Denholm fuhr in entschuldigendem Tonfall fort: »Ich weiß, auf den ersten Blick sieht sie klein aus und ein wenig einfach. Aber du darfst dich nicht vom äußeren Anschein täuschen lassen. Wir haben hier alles, was wir brauchen - Wasser, ausreichend Nahrung und einen sicheren Platz für jeden. Und der Wald bietet uns einen besseren Schutz vor den Fischmenschen, als jede künstliche Festung es könnte. Du kannst dir alles in Ruhe ansehen und später entscheiden. Wir haben Zeit genug.«

Als sie weitergingen, erkannte Mike mehr Einzelheiten - aber wenig davon war dazu angetan, seine Stimmung zu heben. Die Stadt im Korallenwald bestand nach wie vor aus baufälligen Hütten, in denen ärmlich aussehende Menschen in zerlumpten Kleidern hausten. Das einzige, was nicht zu diesem Eindruck zu passen schien, war die fast überschäumende Fröhlichkeit der Menschen hier: Wohin Mike auch blickte, sah er in lachende oder zumindest lächelnde Gesichter, sah er spielende Kinder und Erwachsene, die beieinander standen und sich gutgelaunt unterhielten oder ihnen fröhlich zuwinkten. Scherzworte wurden Denholm zugerufen, und aus vielen Hütten drangen fröhliche Stimmen und Gelächter. Vielleicht war es gerade der krasse Unterschied zwischen der äußeren Armseligkeit des Anblickes, den die Stadt bot, und dem fröhlichen Wesen ihrer Bewohner, der ihn so verwirrte. Auf jeden Fall behielt er das, was ihm eigentlich auf der Zunge lag, als Denholm ihn nach einer Weile fragte, wie ihm denn die Stadt nun gefiele, erst einmal für sich und rettete sich in ein verlegenes Lächeln und ein Achselzucken. Das war zwar eindeutig nicht die Art von Antwort, die Denholm hatte hören wollen, aber der Anführer des Volkes lies sich seine Enttäuschung nicht anmerken und fuhr fort, Mike und die anderen herumzuführen und ihnen dies oder das zu erklären.

Es gab vier oder fünf Dutzend Häuser, in denen alles in allem nicht einmal dreihundert Menschen leben konnten. Und der Bach, den sie vorhin überquert hatten, floß am jenseitigen Ende der Lichtung dahin und versorgte die Menschen mit Frischwasser, und im umliegenden Korallenwald gab es Nahrung im Überfluß. Die sonderbaren Bäume trugen fremdartige, aber äußerst wohlschmeckende Früchte in solchen Mengen, daß davon auch noch die dreifache Anzahl von Menschen satt geworden wäre, und wem dies noch nicht reichte, der konnte zum Hafen hinuntergehen und dort fischen. Da es weder Jahreszeiten noch so etwas wie schlechtes Wetter gab, bestand auch keine Notwendigkeit, die Gebäude fester zu bauen, als sie es getan hatten.

Mikes Ungeduld wuchs von Minute zu Minute, und es fiel ihm immer schwerer, Denholm zuzuhören. Es war nicht so, daß ihn das, was dieser ihm sagte, nicht interessiert hätte. Aber das alles war nicht die Antwort auf die Fragen, die ihm auf der Seele brannten. Und schließlich unterbrach er den Redefluß ihres Führers und stellte die Frage, die ihn am meisten bewegte:

»Wo ist Serena? Du hast gesagt, ich würde sie Wiedersehen.«

Strenggenommen hatte Denholm das nicht, und er schien auch nicht bereit zu sein, über Serenas Aufenthaltsort Auskunft zu geben. »Ich weiß nicht, ob wir sie jetzt stören sollten«, sagte er ausweichend.

»Stören?« fragte Mike. »Wobei?«

Denholm wich seinem Blick aus. »Trautman hat mir bereits erzählt, daß du eine... sagen wir: besondere Verbindung zu ihr hast«, meinte er vorsichtig. »Aber weißt du, für uns ist sie auch etwas Besonderes. Etwas ganz Besonderes sogar.«

»Wieso?« fragte Mike.

»Komm mit«, sagte Denholm. »Am besten, du siehst es dir selbst an.« Er wandte sich um und ging auf einen runden, halb aus Holz und Korallengewächsen, zum Teil aber auch aus Stein errichteten Bau am südlichen Ende der Lichtung zu. Das Gebäude war Mike bereits aufgefallen, aber er hatte noch keine entsprechende Frage gestellt, denn er hatte angenommen, daß Denholm ihm schon noch von sich aus erzählen würde, welche Bewandtnis es damit hatte.

Trautman, Singh und Ben folgten ihnen, während Andre, Juan und auch Chris sich in die entgegengesetzte Richtung aufmachten. Mike warf ihnen einen fragenden Blick nach, den Trautman lächelnd beantwortete: »Wir treffen sie später wieder. Sie gehen sicher zu Malcolm und seiner Familie.«

»Malcolm?«

Diesmal war es Denholm, der antwortete, und zwar in hörbar stolzem Ton: »Deine Kameraden haben bereits Freunde hier bei uns gefunden. Ich bin sicher, daß es dir bald ebenso ergeht.«

Mike teilte diese Zuversicht nicht im mindesten. All diese lachenden Gesichter, die fröhlich spielenden Kinder, die freundlichen Erwachsenen... das alles war ihm beinahe schon zu viel. Aber vielleicht bin ich auch ungerecht, dachte er. Ich sollte diesen Leuten hier wenigstens eine Chance geben, meine Sympathie zu erringen.

Als sie das Gebäude betraten, konnte er im ersten Moment so gut wie gar nichts sehen. Das Dach war so weit wie alle anderen hier davon entfernt, dicht zu sein, so daß das künstliche Licht der unterseeischen Welt durch zahllose Ritzen und Spalten hereindrang, aber diese Beleuchtung hatte einen sehr sonderbaren Nebeneffekt: Das Licht, das in dünnen Streifen und Bahnen von der Decke strömte, zerschnitt den Raum in ein ungleichmäßiges Schachbrettmuster aus Hell und Dunkel, in dem Mike im ersten Moment überhaupt nichts erkannte. Erst als Denholm an ihm vorbeiging und ihn mit einer Geste aufforderte, ihm zu folgen, begann aus den Schatten Umrisse zu werden. Es war kein Wohnhaus, kein Gebäude für Menschen, sondern wohl viel mehr eine Art Lager. Mike erkannte eine Anzahl großer Kisten und Schränke, und an der Wand neben der Tür stand sogar eine uralte Glasvitrine, die wohl wie das meiste hier aus einem der gestrandeten Schiffe stammen mußte.