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Denholm lächelte. »Nein«, sagte er. »Das sicher nicht. Doch wir haben stets gehofft, daß die, die diese Welt einst erschaffen haben, eines Tages zurückkehren würden. Einige von uns glauben, daß dieser Tag nun gekommen ist. Und damit das Ende unserer Gefangenschaft.«

Die besondere Formulierung entging Mike nicht. »Einige?« wiederholte er. »Du nicht?«

Denholm antwortete nicht gleich, und als er es tat, da sah er nicht Mike, sondern das Bild an. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, weißt du? Vielleicht... vielleicht weil ich Angst vor der Antwort habe.«

Mike konnte das sehr gut verstehen. Er glaubte Denholm, wenn er sagte, daß dieses Bild und die Hoffnung, die es versinnbildlichte, den Menschen hier unten über ungezählte Jahrhunderte hinweg Kraft gegeben hatten. Aber ein Symbol, so mächtig es auch war, vermochte nur Kraft zu spenden, solange es ein Symbol blieb. Die Kraft der Träume erlosch, wenn sie wahr wurden. Wovor Denholm Angst hatte, das war der Zweifel. Solange dieses Bild ein Bild und die Geschichte, die es erzählte, nichts als eine Geschichte gewesen war, hatte es den Menschen hier immer wieder neue Kraft und Hoffnung gegeben. Nun aber war das in Stein gemeißelte Versprechen wahr geworden. Und damit verwundbar.

Von draußen drangen plötzlich aufgeregte Rufe herein. Denholm fuhr erschrocken zusammen und drehte sich herum, und auch Mike wandte den Kopf und sah zur Tür. Die Stimmen wurden lauter, und einen Moment später stürzte ein Mann herein. Er mußte über eine weite Strecke gerannt sein, denn sein Atem ging so schnell, daß er Mühe hatte, überhaupt zu sprechen. »Schnell!« keuchte er. »Die Fischmenschen! Sie waren unten am Strand und haben die Männer überfallen, die zum Angeln gehen wollten!«

Mike und die anderen folgten Denholm, als dieser aus dem Haus stürmte und mit weit ausgreifenden Schritten den Platz zu überqueren begann. Sie hatten das Dorf jedoch noch nicht hinter sich zurückgelassen, als ihnen vom Waldrand her eine Gruppe von sechs, sieben Männern entgegenkam. Sie waren sehr aufgeregt, und einige schienen verletzt zu sein, wenn auch nicht sehr schwer, denn sie konnten aus eigener Kraft laufen. Zwei von ihnen zerrten eine sich heftig wehrende, hochgewachsene Gestalt zwischen sich mit, bei deren Anblick Mike ein eisiger Schauer über den Rücken lief. »Das muß einer von diesen Fischmenschen sein!« sagte Ben aufgeregt. »Kommt - das sehen wir uns genauer an!«

Aber daraus wurde nichts. Denholm hatte Bens Worte gehört und machte plötzlich eine rasche, befehlende Geste, und wie aus dem Nichts erschienen vier, fünf Mitglieder des Volkes, die Mike und den anderen den Weg vertraten. Ben wollte mit seinem üblichen Ungestüm einfach weiterlaufen, aber einer der Männer ergriff ihn am Arm und hielt ihn mit sanfter, aber nachdrücklicher Gewalt zurück.

»He, was soll das?« protestierte Ben.

»Bleibt zurück«, erwiderte Denholm. »Die Fischmenschen sind sehr gefährlich.«

Das glaubte ihm Mike aufs Wort. Sie waren noch gut zwanzig Meter von der Gruppe entfernt, die aus dem Wald herausgekommen war, und auf dem Stück dazwischen drängten sich immer mehr Männer und Frauen, so daß Mike den Fischmenschen nicht in allen Einzelheiten erkennen konnte. Aber was er sah, das reichte vollkommen, um ihn mit einem Gefühl erschrockener Ehrfurcht zu erfüllen.

Denholm hatte die Fischmenschen ja schon vorher erwähnt, doch Mike hatte gar nicht weiter über diese Worte nachgedacht, sondern es einfach für einen Namen gehalten, so wie sich Denholms Leute das »Volk« nannten. Aber das stimmte nicht. Der Fischmensch war tatsächlich nur zum Teil ein menschliches Wesen. Er war sehr groß, sicher zwei Meter, wenn nicht mehr, dabei aber von so zartem Wuchs, daß er schon wieder zerbrechlich wirkte, und seine Haut bestand aus kleinen, in einem sonderbar metallischen Grün glänzenden Schuppen, tatsächlich wie die eines Fisches. Er hatte kein Haar und keine sichtbare Nase, dafür aber einen übergroßen Mund mit dicken, wulstigen Lippen und kinderfaustgroße Augen, deren Blick hinter durchsichtigen Lidern hervor angstvoll über die drohend gestikulierenden Gestalten tastete, die ihn umgaben. In der Mitte seiner Stirn begann ein händbreiter Zackenkamm, der sich über seinen Schädel bis in den Nacken herab und weiter über seinen Rücken hinunter zog. Mike konnte seine Hände nicht erkennen, aber er war ziemlich sicher, daß er Schwimmhäute zwischen den Fingern hatte.

»Was für ein Ungeheuer!« sagte Ben. Seine Stimme bebte, und sowohl darin als auch in seinem Blick war etwas, was Mike nicht gefiel. Auch er spürte ein unbehagliches Frösteln beim Anblick des bizarren Wesens, aber ihm kam es nicht wie ein Ungeheuer vor. Nur sehr fremd und sehr verängstigt. Trotz der Entfernung konnte er die Furcht, die das Wesen erfüllte, deutlich spüren. Er versuchte sich vorzustellen, wie es umgekehrt gewesen wäre - hätte er sich an der Stelle dieses Geschöpfes befunden und wäre von einem Dutzend erschreckend aussehender Kreaturen verschleppt worden.

»Was habt ihr mit ihm vor?« fragte Trautman.

»Nichts. Keine Sorge.« Denholm drehte sich herum und ging auf die Männer zu, die die schuppige Gestalt in ihrer Mitte hielten. »Was ist passiert?« fragte er.

»Wir waren unten am Strand, um zu angeln«, antwortete der Mann. »Fisch für das große Fest heute Abend. Sie tauchten plötzlich auf. Zwei oder drei aus dem Wald und zwei direkt aus dem Wasser.«

»Sie haben euch angegriffen?« fragte Denholm.

Der Mann zögerte mit seiner Antwort; gerade lange genug, um seinen Worten so viel von ihrer Glaubwürdigkeit zu nehmen, daß Mike - und wohl auch Denholm - mißtrauisch blieben. »Wir hätten keine Chance gegen sie gehabt, wären die anderen nicht aufgetaucht«, sagte er und deutete auf eine zweite, etwas kleinere Gruppe von Männern, die hinter der ersten aus dem Wald herausgetreten war. »Als sie sie sahen, haben sie die Flucht ergriffen. Aber diesen einen hier konnten wir überwältigen.«

Das war nicht unbedingt eine Antwort auf Denholms Frage, fand Mike. Denholm schien das wohl ebenso zu sehen, denn sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr. Aber er beharrte nicht weiter auf diesem Punkt, sondern sah den Fischmenschen sehr nachdenklich an. Schließlich schüttelte er den Kopf und seufzte tief. »Das gefallt mir nicht«, sagte er. »Ihr hättet ihn nicht herbringen dürfen. Schafft ihn ins Museum. Und bewacht ihn gut. Ich werde entscheiden, was wir mit ihm machen.«

Während die Männer den Gefangenen fortbrachten und sich der Rest der Menge rasch zu zerstreuen begann, trat Mike auf Denholm zu. »Was bedeutet das alles?« fragte er. »Was ist das für ein Geschöpf?«

Denholm machte eine abwehrende Handbewegung. »Dazu ist jetzt keine Zeit«, sagte er. »Das können dir deine Freunde erzählen. Jetzt habe ich Wichtigeres zu tun.« Er wandte sich an Trautman. »Geht zu Malcolm und seiner Familie, dort wird man sich um euch kümmern. Ich komme später nach. Sobald wir entschieden haben, was jetzt zu tun ist.«

Mike wollte protestieren, aber Denholm wandte sich um und ging mit raschen Schritten davon. Mike blickte ihm enttäuscht hinterher. Denholm hatte ihm versprochen, all seine Fragen zu beantworten, aber der bisherige Verlauf des Tages hatte wesentlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Und er hatte ihm etwas gezeigt, was ihn sehr erschreckte, auch wenn er es bereits geahnt hatte. Denholms Welt war nicht das kleine, aber sichere Paradies, als das dieser es ihm zu beschreiben versucht hatte.

»Gehen wir zu Malcolm«, sagte Trautman nervös. »André und Chris warten sicher schon auf uns.«

Mike hatte im Grunde wenig Lust, jetzt einen Höflichkeitsbesuch zu machen. Aber in Trautmans Stimme war auch ein drängender Ton gewesen, der ihm klarmachte, daß dies nicht der Moment für lange Diskussionen war, also folgte er ihm und den drei anderen wortlos.