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Er klopfte an, wartete aber nicht, ob jemand antwortete, sondern trat sofort ein. Das war keine Unhöflichkeit; der einzige Bewohner, den die Kabine im Moment mit Ausnahme des schlafenden Mädchens hatte, konnte ihm nicht antworten. Wenigstens nicht laut.

Mike näherte sich dem Mädchen auf dem Bett sehr leise, obwohl er genau wußte, daß selbst der größte Lärm Serena nicht geweckt hätte. Aber es war mit diesem Mädchen ein bißchen so wie mit dem Schiff: Jedesmal, wenn er sie sah, überkam ihn eine Art... Ehrfurcht. Ein merkwürdiges Gefühl, ein Mädchen anzusehen, das weit über zehntausend Jahre zählte und außerdem eine leibhaftige Prinzessin war.

Na und? Du bist ein leibhaftiger Prinz. Wo ist der Unterschied? Die paar Jährchen!

Mike fuhr zusammen. Obwohl Astaroth genauso lange wie Serena an Bord war, erschrak Mike noch immer, wenn er unvermittelt dessen Stimme hörte. Es war wirklich nicht jedermanns Sache, eine Stimme direkt in seinem Kopf zu vernehmen. Noch viel weniger, wenn man bedachte, wem diese Stimme gehörte... »Das ist ein Unterschied«, sagte er laut. »Ich bin nur auf dem Papier ein Prinz. Wenn überhaupt noch, dann gehört mir ein winziges Stück von Indien. Nicht ganz Atlantis.«

Aber dein Königreich ist wenigstens nicht mit Mann und Maus im Meer versunken. Astaroth hab den Kopf, blickte Mike einen Moment lang aus seinem einzig sehenden Auge an und gähnte dann ungeniert und sehr ausgiebig. Der schwarze Kater hatte sich neben Serena auf dem Kopfkissen zusammengerollt. Sein buschiger Schwanz lag wie eine Stola um Serenas Hals und bildete so einen deutlichen Kontrast zur Blässe ihrer Haut. Serenas Gesicht war so bleich, daß es sich kaum von dem Kissen abhob, auf dem es lag. Es war die Blässe eines Menschen, der noch niemals die Sonne gesehen hatte.

Mike ging langsam weiter, setzte sich auf die Bettkante und griff nach Serenas Hand. Astaroths Blick folgte der Bewegung, aber er erhob keine Einwände. Mike war der einzige an Bord, der Serena berühren durfte, ohne daß der Kater ihn anfauchte oder gleich mit den Krallen nach ihm schlug.

»Wir tauchen bald auf«, sagte Mike. Er ergriff Serenas Hand fester. Ihre Haut fühlte sich so kalt und glatt wie weißes Porzellan an, und Mike überlief ein Schaudern. »Wir müssen die Sauerstofftanks auffüllen.«

Ich weiß, antwortete Astaroth auf seine lautlose Art.

Mike blickte den Kater vorwurfsvoll an.

»Du hast schon wieder meine Gedanken gelesen«, sagte er. »Ich hatte dich gebeten, das nicht mehr zu tun.«

Habe ich nicht, behauptete Astaroth.

»Lüg nicht auch noch!« sagte Mike scharf.

Ich lüge nicht, erwiderte Astaroth beleidigt. Menschen lügen. Katzen niemals.

»Ja, das Problem ist nur, daß du keine Katze bist!« erwiderte Mike. Astaroth hielt seinem Blick noch eine Sekunde lang stand, dann rollte er sich wieder auf dem Kissen zusammen und begann wohlig zu schnurren. Abgesehen von seiner Größe hätte man ihn so wirklich für ein harmloses kleines Kätzchen halten können, an dem absolut nichts Ungewöhnliches war. Aber das stimmt nicht. Er sah zwar aus wie eine Katze, aber er war mehr als das.

»Du liest also doch meine Gedanken!« wiederholte Mike laut.

Nur jetzt, behauptete Astaroth. Vorher nicht.

»Ach? Und woher hast du dann gewußt, daß wir auftauchen, noch bevor ich es dir gesagt habe?«

Von Trautman, antwortete Astaroth ungerührt. Ich habe seine Gedanken gelesen.

Mike gab auf. Es hatte sehr wenig Sinn, mit einer Katze zu diskutieren. Das war schon bei einer ganz normalen Katze ein fast aussichtsloses Unterfangen. Bei Astaroth bedeutete es reine Zeitverschwendung. Er wandte sich Serena zu.

Das Mädchen lag völlig reglos da, so wie es die ganze Zeit über dagelegen hatte - die Woche, die vergangen war, seit sie sie an Bord der NAUTILUS gebracht hatten, und auch die ungezählten Jahrhunderte zuvor, die sie schlafend in ihrer Kuppel auf dem Meeresgrund verbracht hatte. Er dachte wieder daran zurück, wie sie Serena in einem gläsernen Sarg schlafend gefunden hatten, und er fragte sich, ob es wirklich Zufall war, daß ihn das Bild so an das Märchen von Dornröschen erinnerte.

Vielleicht ist es genau anders herum, sagte Astaroth. Man sagt doch, daß jede Legende einen wahren Kern hat, oder? Denk mal darüber nach. Dann fügte er hinzu: Entschuldige.

Mike sah den Kater zwar böse an, aber er war wirklich verärgert. Es dauerte eben eine Weile, bis man sich an die Tatsache gewöhnt hatte, in der Gesellschaft eines Wesens zu sein, das jeden Gedanken so deutlich vernahm wie ein laut ausgesprochenes Wort. Mike lächelte dem Kater zu und legte Serenas Hand behutsam auf das Bett zurück. Sie reagierte auch darauf nicht, nur die Augen hinter den geschlossenen Lidern bewegten sich leicht, wie bei einem Menschen, der einen besonders intensiven Traum hat. Mike fragte sich, ob Serena träumte? Und wenn ja, was?

Das tut sie, sagte Astaroth. Oder was glaubst du sonst, woher der Sturm kommt, vor dem ihr seit einer Woche davonzurennen versucht?

Das war die Antwort auf eine andere Frage, die sich Mike insgeheim auch schon gestellt hatte, und diese Antwort führte zu einem schrecklichen Gedanken:

»Willst du damit sagen, daß sie die ganze Zeit über geträumt hat?« fragte er verstört. »Die ganzen Jahre?«

Darauf antwortete der Kater nicht. Aber sein Schweigen war Antwort genug, und das tiefe Entsetzen, das von Mike Besitz ergriffen hatte, wurde noch stärker.

Er war erleichtert, als in diesem Moment an der Tür geklopft wurde und Singh, der hünenhafte Sikh-Krieger, die Kabine betrat - übrigens ganz wie Mike zuvor, ohne eine Antwort auf sein Klopfen abzuwarten.

»Herr.« Singh machte eine tiefe Verbeugung. »Trautman bittet Euch, zu ihm in den Salon zu kommen.« Er warf einen nervösen Blick auf das Bett, und Mike war nicht ganz sicher, wem er galt: dem Mädchen oder seinem einäugigen schwarzen Beschützer. »Ich bleibe so lange hier und vertrete Euch.«

Das ist nicht nötig, sagte Astaroths Stimme in Mikes Gedanken. Ich passe auf sie auf. Sie wird nicht aufwachen.

Mike stand auf. »Ich komme«, sagte er. »Und vergiß bitte den Herrn.« Den letzten Satz hatte er rein automatisch hinzugefügt. Seit der Sikh in sein Leben getreten war und sich als sein Leibwächter, Beschützer und Diener vorgestellt hatte, versuchte Mike ihm sein unterwürfiges Benehmen abzugewöhnen; ebenso beharrlich, wie Ghunda Singh all diese Versuche ignorierte.

»Wie Ihr wünscht, Herr«, antwortete Singh mit einer abermaligen Verbeugung. Mike verdrehte die Augen, sparte sich aber jedes weitere Wort, was dieses Thema anging. Statt dessen sagte er: »Du brauchst nicht hierzubleiben. Astaroth paßt schon auf sie auf.«

Singh sagte nichts, aber Mike sah ihm seine Erleichterung deutlich an. Wie allen an Bord - Mike und vielleicht Trautman ausgenommen - waren sowohl der Kater als auch das Mädchen Singh ein wenig unheimlich. Wortlos wartete er, bis Mike die Kabine verlassen hatte, und folgte ihm dann.

Sie gingen die Treppe wieder ein kurzes Stück hinauf und wandten sich dann nach rechts, um in den Salon zu gelangen - ein Wort, hinter dem sich weit mehr verbarg als nur ein gemütlicher Aufenthaltsraum. Das war er auch, aber in ihm befanden sich auch das Steuer und die beiden Pulte mit den kompliziert anmutenden Kontrollinstrumenten der NAUTILUS - eine Unzahl von Schaltern, Hebeln, Skalen, Zeigern und allerlei anderen technischen Gerätschaften, bei deren bloßem Anblick einem schon schwindlig werden konnte. Unter Trautmans Anleitung hatten Mike und die anderen in den letzten Wochen gelernt, einige dieser Geräte zu bedienen, aber das bedeutete nicht, daß sie ihm deshalb weniger unheimlich gewesen wären.