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»Und ihr habt sie wieder gehen lassen?« unterbrach ihn Serena. »Fünfzig von diesen... diesen Tieren gegen euch alle! Ihr seid mehr als zweihundert! Was seid ihr nur für erbärmliche Feiglinge!«

»Wir konnten nichts tun!« verteidigte sich der Mann. Seine Stimme zitterte noch immer, aber jetzt mehr vor Angst als aus Schwäche. »Sie sind schreckliche Krieger! Jeder von ihnen kämpft mit der Kraft von fünf Männern. Wir haben es versucht, aber Ihr... Ihr müßt mir glauben, daß wir es nicht konnten. Sie haben den Gefangenen befreit und...«

»Ja?« fragte Serena lauernd, als er nicht weitersprach.

Der Mann senkte den Blick. Die Furcht vor dem, was er berichten mußte, war ihm deutlich anzusehen. »Das ist nicht das Schlimmste«, murmelte er schließlich. »Sie... sie haben Malcolms Tochter Sarah mitgenommen. Und den fremden Jungen vom Schiff.«

Die Stadt bot einen chaotischen Anblick. Schon als sie aus dem Wald heraustraten, konnte Mike erkennen, daß die meisten der armseligen Behausungen vollends zerstört waren: Die Dächer waren eingebrochen, bei einigen gar die Wände zerstört, als wäre eine tollwütige Elefantenherde quer über die Lichtung gestampft.

Und auch den Bewohnern des Ortes war es schlecht ergangen. Mike erschrak bis ins Mark, als er sah, wie viele der Männer und Frauen verwundet waren - sie hockten am Boden und hielten sich die Köpfe, manche trugen blutige Verbände um Arme, Beine oder Schädel, und es gab kaum ein Haus, aus dem nicht zornige Stimmen oder Wehklagen zu ihnen herausdrangen.

Mit weit ausgreifenden Schritten, so daß Trautman und die anderen Mühe hatten, mit ihm mitzuhalten, rannte Mike quer über die Lichtung auf Malcolms Haus zu. Der Anblick, den es bot, ließ sein Herz einen erschrockenen Sprung in seiner Brust machen, denn es war zweifelsfrei klar, daß hier das Zentrum der Schlacht gewesen sein mußte. Das Gebäude, das noch am ehesten an ein richtiges Haus erinnert hatte, war völlig verwüstet. Drei oder vier Wände waren niedergebrochen, und zwischen den Trümmern sahen die traurigen Überreste der zerstörten Einrichtung hervor. Malcolms Frau stand mit leerem Gesicht dort, wo einmal die Tür gewesen war, und hielt die Scherben eines Tonkrugs in den Händen, und Malcolm selbst stand zusammen mit Denholm und einigen anderen Männern nur ein paar Schritte abseits. Einige von ihnen trugen Gewehre und Schwerter bei sich, andere nur Knüppel oder rostige Messer, aber alle waren bewaffnet. Und fast alle waren verletzt.

»Malcolm!« rief Mike schon von weitem. »Was ist hier geschehen? Wo ist André?«

Der Angesprochene drehte sich mit einer müde wirkenden Bewegung zu ihm herum. Trauer, Schmerz und verhaltener Zorn standen in seinem Gesicht geschrieben, aber er gab Mike keine Antwort.

Im nächsten Augenblick erschien Serena an Mikes Seite und fragte in befehlendem Ton: »Stimmt es, daß die Fischmenschen deine Tochter entführt haben?«

Malcolm schwieg noch immer, so daß Denholm schließlich an seiner Stelle antwortete: »Ja, Serena. Sie sind aufgetaucht, kaum daß du gegangen bist. Wir konnten nichts gegen sie ausrichten.«

Serena wurde blaß, sei es, daß ihr die respektlose Anrede aufgefallen war, die Denholm plötzlich benutzte, sei es, daß ihr erst jetzt richtig bewußt wurde, wie vernichtend die Niederlage des Volkes gewesen war. Mike konnte sehen, wie sie dazu ansetzte, Denholm eine scharfe Erwiderung zu geben, doch dieser kam ihr zuvor. »Ich glaube, sie haben im Wald versteckt abgewartet, bis du fort warst. Oder der Gefangene hat sie auf irgendeine Weise verständigt. Der Angriff war zu gut vorbereitet, als daß es Zufall gewesen sein kann.« Er schloß die Augen und seufzte tief. »Wir hatten keine Chance. Sie waren über uns, ehe wir auch nur richtig begriffen, was geschah.«

»Hat es... Tote gegeben?« fragte Juan leise.

Denholm verneinte. »Aber viele sind verletzt, und es ist alles zerstört.« Seine Stimme schwankte, und für einen Moment schien er mit den Tränen zu kämpfen.

Für diese Menschen hier, begriff Mike, waren die Hütten, die mehr Ruinen glichen, ihr Zuhause. Und gerade weil sie so wenig besaßen, mußte dieses wenige für sie ungleich kostbarer sein, als er auch nur ermessen konnte.

»Wir hätten ihn niemals hierbehalten dürfen«, sagte Malcolm düster. »Ich wußte, daß es in einer Katastrophe endet!«

In Serenas Augen blitzte es zornig auf. »Ihr hättet es niemals dazu kommen lassen dürfen!« widersprach sie. Sie machte eine weit ausholende Geste. »Das alles hier ist eure eigene Schuld! Ihr lebt seit Jahrhunderten hier, und in all der Zeit habt ihr geduldet, daß sie stärker und stärker wurden.«

Malcolm sah sie nur traurig an, aber Denholm widersprach. »Aber wir leben seit Generationen in Frieden mit ihnen. So etwas ist noch nie geschehen!«

»Weil sie auf eine günstige Gelegenheit gewartet haben, du Narr!« fuhr ihn Serena an.

»Ja - oder weil sie vorher keinen Grund hatten, diese Menschen hier anzugreifen«, sagte Ben. Und offensichtlich war das, was er aussprach, nicht alles, was er dabei dachte, denn Serena fuhr plötzlich wie von der Tarantel gestochen herum und funkelte ihn an.

»Was meinst du damit?« schnappte sie. Ben lächelte geringschätzig. Seine Haltung war plötzlich ein wenig angespannt - schließlich war es noch nicht lange her, daß er am eigenen Leibe gespürt hatte, wie wenig ratsam es war, Serena zu sehr zu reizen. Aber entweder war er mutiger, als Mike bisher angenommen hatte, oder zu zornig, um sich noch zu beherrschen. »Das weißt du doch genau, oder?« fragte er. »Aber ich kann es auch gerne laut aussprechen, wenn Euer Gnaden darauf bestehen!«

»Ben!« sagte Trautman warnend, aber diesmal ignorierte Ben seine Ermahnung.

»Die Fischmenschen und Denholms Leute leben seit Jahrhunderten in Frieden miteinander, nicht wahr?« fuhr er in herausforderndem Ton fort. »Und im gleichen Moment, in dem du hier auftauchst, endet dieser Frieden. Ich frage mich, ob das wirklich noch Zufall ist.«

Mike hielt erschrocken den Atem an. Er sah Ben in Gedanken bereits quer über die Lichtung fliegen oder bewußtlos zu Boden stürzen, aber zu seiner Verblüffung reagierte Serena vollkommen anders als erwartet auf Bens Worte. Sie sah den jungen Engländer nur sehr nachdenklich an, und dann nickte sie.

»Vielleicht hast du sogar recht«, sagte sie. »Vielleicht haben sie sich bisher sicher genug gefühlt, um der Meinung zu sein, daß es nicht nötig ist, eure Stadt anzugreifen. Aber nun wissen sie, daß ihr Ende gekommen ist.«

»Wie?« fragte Trautman alarmiert.

»Ja«, fuhr Serena fort, »ich denke, das ist die Erklärung. Sie sind zwar nur dumme Tiere, aber sie haben scharfe Instinkte. Sie spüren, daß ihr Ende naht, und versuchen sich natürlich zu wehren.« Sie legte eine kurze und - dessen war sich Mike sicher - ganz genau bemessene Pause ein, ehe sie mit leicht erhobener Stimme fortfuhr: »Aber ich werde das nicht hinnehmen. Sie werden für diesen Angriff bezahlen.«

»Was meinst du damit?« fragte Mike. Er wußte nur zu gut, was Serenas Worte bedeuteten, aber er weigerte sich noch, es zu glauben.

Serena maß ihn mit einem spöttischen Blick. »Wir werden sie angreifen«, sagte sie. »Wir werden nachholen, was diese gutgläubigen Narren hier schon vor Jahrhunderten hätten tun sollen, in die Alte Stadt gehen und diese Brut ausrotten.«

Nicht nur Mike fuhr erschrocken zusammen. Denholms Augen weiteten sich vor Schrecken, und in der Menge ringsum erhob sich ein ungläubiges, erschrockenes Raunen und Murmeln. Nur Malcolm sah das Mädchen vollkommen ausdruckslos an. Vielleicht hatte er geahnt, was Serena vorhatte.

»Aber das... das geht nicht!« entgegnete Denholm. »Es ist verboten, in die Alte Stadt zu gehen! Keiner, der es gewagt hat, ist von dort zurückgekehrt!«

»Weil ihr nie den Mut hattet, euch ihnen zu stellen, ja«, antwortete Serena. »Was wollt ihr? Weiter in Angst und Schrecken leben, jeden Tag darauf gefaßt, daß sie kommen und euch endgültig vernichten?« Sie hob die Stimme, so daß nun alle in weitem Umkreis ihre Worte hören konnten. »Seht euch um! Sie sind hierhergekommen und haben eure Stadt zerstört! Alles, wofür ihr gearbeitet und gelebt habt, liegt in Trümmern! Und sie werden wiederkommen, nun, da sie wissen, daß ihr schwach und hilflos seid und Angst vor ihnen habt! Wollt ihr das wirklich?« Sie lachte. »Ich zwinge euch nicht. Wenn es sein muß, gehe ich ganz allein hinüber und lösche diese Brut aus! Es ist eure Entscheidung.«