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Mike starrte Serena entsetzt an. Das Mädchen sprach über die Fischmenschen... wie über Dinge, nicht wie über lebende Wesen. Und das war vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste war, daß er genau spürte, daß Serenas Worte nicht ungehört verhallten. Es war absurd - vor ihm stand ein nicht einmal fünfzehnjähriges Mädchen und rief ein Volk, das seit Jahrhunderten mit seinen Nachbarn in Frieden lebte, zum Krieg auf - und er spürte, daß die Menschen ringsum nur allzu bereit waren, diesem Aufruf auch zu folgen!

»Serena!« flüsterte er. »Das kannst du nicht ernst meinen! Es... es wird Tote geben, und -«

»Kaum«, unterbrach ihn Serena hochmütig. »Ich kenne diese Kreaturen. Mein Volk hat schon Jagd auf sie gemacht, ehe es das eure auch nur gab. Sie sind nicht mehr als Tiere.« Sie wandte sich wieder Denholm zu.

»Nun?«

»Wir... wir sind keine Krieger«, murmelte Denholm ausweichend. »Sie waren nicht einmal halb so viele wie wir, und wir hatten keine Chance. Sie -«

»- haben euch überrascht, und ich war nicht bei euch«, unterbrach ihn Serena. »Das wird nicht noch einmal geschehen.«

Denholm schwieg. Serena wartete einige Sekunden lang vergeblich auf eine Antwort, dann drehte sie sich zu Malcolm um, der die ganze Zeit über kein Wort gesagt hatte. »Und du?« fragte sie. Offensichtlich hatte auch sie längst gemerkt, daß Malcolms Wort in der Stadt fast ebensoviel galt wie das Denholms.

»Denholm hat recht«, sagte Malcolm. »Wir sind keine Krieger. Aber sie haben meine Tochter.«

Mike fuhr erschrocken zusammen. »Malcolm!« keuchte er. »Das kannst du nicht ernst meinen!«

»Sie haben Sarah entführt«, wiederholte Malcolm, nun an ihn gewandt. »Ich werde sie zurückholen, ganz gleich, ob allein oder zusammen mit den anderen. Und wenn sie ihr etwas angetan haben, dann werde ich nicht eher ruhen, als bis auch der letzte von ihnen tot ist, das schwöre ich!«

Und das war die Entscheidung. Niemand sagte etwas, aber Mike spürte regelrecht, wie die Stimmung umschlug. Die Menschen, die sie umstanden, hatten noch immer Angst, aber Furcht und Zorn liegen eng beisammen, und Serenas - und wohl vor allem Malcolms - Worte hatten diese Grenze verwischt.

»Also gut!« sagte Serena, nun wieder mit lauter, weithin hörbarer Stimme. »Dann macht euch bereit. Holt eure Waffen und stärkt euch noch einmal! Wir brechen in zwei Stunden auf. Sie sollen keine Gelegenheit haben, ihre Kräfte neu zu sammeln!«

Mike widersprach nicht mehr. Es war sinnlos. Er drehte sich herum und ging zu Juan und den beiden anderen Jungen zurück. Serena machte eine rasche, befehlende Geste, und einige von Denholms bewaffneten Begleitern bildeten einen Kreis um sie.

»Was soll das?« fragte Mike.

Die Männer gaben sich redliche Mühe, grimmig dreinzuschauen, doch sahen sie in Wahrheit mehr verlegen aus. Sie antworteten nicht, aber Serena sagte: »Nichts. Nur eine Vorsichtsmaßnahme - für alle Fälle.«

»Eine Vorsichtsmaßnahme?« wiederholte Mike. »Wie soll ich das verstehen?«

»Dir und deinen Freunden passiert nichts, keine Angst«, sagte Serena spöttisch. »Ich möchte nur verhindern, daß ihr euch im Wald verirrt und vielleicht rein zufällig wieder zum Strand hinunterlauft, während wir weg sind, weißt du?«

Mike spürte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg. »Du meinst, wir sind deine Gefangenen?« vergewisserte er sich.

»Wenn du so willst - ja«, antwortete Serena kalt. »Aber keine Sorge - nur, bis wir zurück sind. Es wird nicht sehr lange dauern.« Sie machte eine befehlende Geste.

»Bringt sie weg!«

Sie wurden in das einzige nicht zerstörte Gebäude der Stadt gebracht - in das »Museum«, das zuvor schon als Gefängnis für den Fischmenschen gedient hatte, und dort trafen sie auch Singh wieder. Der Inder hockte zusammengekauert neben dem steinernen Relief und trug einen blutgetränkten Verband um die Stirn. Als er Mike und die anderen gewahrte, sprang er hastig auf und eilte ihnen entgegen, und Mike sah, daß auch seine linke Hand dick verbunden war und er leicht humpelte. Der Anblick erfüllte Mike nicht nur mit Sorge um den Sikh-Krieger, sondern weckte auch sein schlechtes Gewissen. Während der ganzen Zeit, die sie draußen mit Serena gesprochen hatten, hatte er nicht einmal daran gedacht, wie es Singh bei dem Überfall wohl ergangen war!

»Singh!« sagte er erschrocken. »Du bist verletzt! Ist es schlimm?«

Der Sikh machte eine wegwerfende Geste mit der unverletzten Hand. »Das ist nichts«, behauptete er. »Ein paar Schrammen, die rasch verheilen werden. Aber ich habe versagt, Herr. Es... es tut mir leid.«

Im ersten Moment verstand Mike nicht, was Singh meinte. Dann schüttelte er verblüfft den Kopf. »Versagt? Du hast -«

»Es ist mir nicht gelungen, André zu beschützen«, unterbrach ihn Singh, ruhig und mit fast tonloser Stimme.

»Red nicht solch einen Unsinn!« erwiderte Mike scharf. »Was hättest du tun sollen! Sie ganz allein aufhalten?«

Singh nickte. »Ich habe es versucht«, sagte er. »Aber es waren zu viele. Und sie kämpfen gut.«

»Du bist noch am Leben, und das allein zählt«, sagte Mike entschieden. »Bist du schwer verletzt? Und was ist mit André? Was haben sie mit ihm gemacht?«

»Er hat versucht, das Mädchen zu beschützen«, sagte Singh. »Er hat tapfer gekämpft und sich heftiger gewehrt als die meisten hier. Aber am Schluß wurde er niedergerungen, genau wie ich. Sie haben ihn mitgenommen, aber ich glaube nicht, daß er schwer verletzt wurde.«

»Mitgenommen?« Trautman runzelte die Stirn. »Warum?«

»Er hat das Mädchen nicht losgelassen«, antwortete Singh. »Selbst als er das Bewußtsein verlor, hat er sich noch mit aller Macht an sie geklammert, so daß sie seinen Griff nicht lösen konnten, nicht einmal mit Gewalt.«

»Dann stellt sich nur noch die Frage, warum sie Sarah mitgenommen haben«, sagte Ben. »Ich meine: Haben sie sonst noch jemanden entführt?«

»Außer dem Mädchen?« Singh dachte einen Moment nach, dann schüttelte er zögernd den Kopf. »Ich bin nicht sicher, aber ich habe jedenfalls nichts gesehen.«

»Das ist seltsam«, sagte Juan. »Wenn sie gekommen sind, um ihren Mann zu befreien, warum haben sie dann das Mädchen mitgenommen? Und niemanden außer ihr?«

Weil sie Sarah verwechselt haben, sagte eine leise Stimme in Mikes Kopf.

Mike fuhr erschrocken zusammen. Er hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich herum. Nach einigen Sekunden gelang es ihm, mehr als nur die dunklen Schatten jenseits des steinernen Reliefs zu erkennen. Etwas bewegte sich darin.

»Astaroth?« fragte er laut. »Bist du das?«

Kennst du noch jemanden, der so dumm wäre, nach allem, was passiert ist, immer noch zu euch zu halten? fuhr die lautlose Stimme fort. Zugleich trat Astaroth mit gemessenen Schritten aus dem Schatten hervor. Mikes Augen weiteten sich erstaunt, als er sah, daß der Kater nicht allein war. Die kleine schwarzweiße Katze begleitete ihn, und nicht nur das - sie strich mit freundlich aufgestelltem Schwanz um ihn herum, rieb ihren Kopf an seiner Flanke und seinem Hals und schnurrte dabei lautstark. Astaroth ließ diese entwürdigende Behandlung ohne irgendein äußeres Anzeichen von Unruhe über sich ergehen, aber seine lautlose Stimme fuhr fort:

Ein einziger falscher Gedanke, und ich kratze dir die Augen aus.