Das Gebäude erinnerte an eine Sammlung. Jemand hatte diese Mädchen ausgestellt, wie Funde eines Entomologen.
Wurden die Männer vielleicht in einem anderen Gebäude aufbewahrt? War der Sammler vielleicht nur an weiblichen Wesen interessiert? Das könnte bedeuten, daß die verantwortliche Person ein Mensch war. Unglaublich pervers, aber ein menschliches Wesen.
Langsam ging er zum Eingang zurück. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Die einzig vernünftige Erklärung für diesen Ort war, daß sie ein Gefangenenlager entdeckt hatten.
Vielleicht hatten in einem fürchterlichen Krieg, der schon lange zurücklag in Zeit und Raum, die Herrscher Horden von Sklaven gesammelt. Die Herrscher hätten es als Verschwendung ihrer eigenen Vorräte angesehen, wenn sie ihre Gefangenen ernährt hätten. Man mußte daher die Kosten für Nahrung und Bewachung auf ein Minimum senken. Auch hatte die Geschichte gezeigt, daß Herrscher von ihren eigenen Gefangenen getötet worden waren.
Darum kamen diese Herrscher auf den Gedanken, das Bewußtsein ihrer Opfer auszulöschen. Dann gaben sie ihnen eine neue, roboterähnliche Persönlichkeit. Ähnliches war schon zu Corsons Zeit möglich gewesen. Wenn man die Mädchen so behandelt hatte, reichte ihre Intelligenz gerade noch an die eines Menschenaffen heran. Aber das hatte die Herrscher sicher nicht gestört. In einem Sklavenmädchen sucht man keinen Geist oder Verständnis.
Wie konnte jemand so etwas tun? Solche Leute konnten im wahrsten Sinne des Wortes nur nekrophil sein.
Corson fühlte für einen Moment eine mörderische Wut. Seine Kiefer mahlten und seine Fäuste ballten sich. Dann verschwand die Vision. Der Wutanfall ging vorüber, und er stand nur noch zitternd da. War das der Weg des Universums? Sollte Gewalt immer wieder neue Gewalt erzeugen? War das wahre Gesicht der Menschheit nur eine blutige Maske? Ritt ein grinsender Dämon auf dem Rücken dieser etwas weiter entwickelten Affen? Konnte man mit diesem Gespenst des Todes und der Verwüstung überhaupt fertig werden, um etwas anderes, Besseres aufzubauen?
Nun … Dyoto. Er dachte an dieses Utopia, das auf den Trümmern des Krieges aufgebaut war. Eine Welt, die keinen Zwang kannte und sich einer Regierung erfreute, die über sechs Jahrhunderte stabil war, eine Welt, die keine Armee brauchte. Die üble Seite der Menschheit mußte ausgerottet werden, aber nicht wieder mit Gewalt. Aber wie konnte man Gewalt beseitigen, ohne Gewalt anzuwenden? Wie konnte man der Fessel des Krieges entkommen?
Antonella kauerte mitten auf dem Boden des Flures. Sie weinte. Die ganze unterdrückte Wut, die er empfunden hatte, seit sie in dem Gleiter ihren Trick mit dem Feuerzeug versucht hatte, wich plötzlich von ihm wie Schnee in der Sonne. Sie war doch ein menschliches Wesen, wie er selbst. Er half ihr auf die Füße und nahm sie in seine Arme.
16.
Corson war hungrig. Mechanisch trat er zum Tor hinaus, als wolle er über eine Lösung nachdenken. Es gab natürlich eine Lösung, das wußte er nur zu gut. Er wußte, daß in dem Gebäude ein riesiger Vorrat an Protein lagerte. Aber er konnte sich den unaussprechlichen Schrecken in Antonellas Augen vorstellen, wenn er ihr erklärte, welchen Preis sie für ihr Überleben zahlen mußte.
In der Ferne sah Corson das Pegason grasen. Er beneidete das Biest. Dann sah er etwas auf der Straße liegen, nicht weit entfernt. Es war ein Beutel. Darauf lag eine Metallplatte, die im milchigen Licht, das durch die Wolken schien, matt glänzte. Mit drei Schritten war Corson herbeigeeilt. Er schaute die Platte genau an, ohne sie zu berühren. Während sie im Innern des Gebäudes waren, hatte jemand die Sachen hierhergelegt, daß man sie gut sehen konnte.
Die Metallplatte trug eine Aufschrift.
Einen Augenblick lang tanzten die Buchstaben vor seinen Augen, dann las Corson:
Corson, dieser Beutel enthält Lebensmittel. Selbst leere Hüllen können noch nützlich sein. Es gibt mehr als eine Möglichkeit, Krieg zu führen. Denke immer daran. Mache dich auf nach Aergistal. Dort werden Verbrecher gerichtet und manchmal begnadigt. Rufe Aergistal. Das Pegason wird gehorchen.
Jemand wollte ihn auf den Arm nehmen. Erst die Flucht, dann ihre Ankunft bei diesem Mausoleum und nun der Beutel und die Botschaft? Wenn der Unbekannte ein Verbündeter war, warum zeigte er sich dann nicht? Wenn er aber ein Feind war, warum hatte er sie dann nicht getötet?
Er wog den Beutel in der Hand und öffnete ihn dann. Er enthielt eine Menge Militärverpflegung. Mechanisch warf er den Beutel über die Schulter und betrat das Mausoleum.
Antonella stand da, mit schlaff herabhängenden Armen. Ihre Wangen waren hohl, und die Augen lagen tief in den Höhlen. Sie hatte offensichtlich einen Schock. Aber sie weinte nicht mehr.
»Wir werden nicht verhungern«, sagte Corson und gab ihr den Beutel. »Irgend jemand hat sich unserer erbarmt und etwas zum Futtern gebracht.«
Bevor er sich selbst bediente, beobachtete er sie, wie sie ein Paket öffnete. Sie hatte sich offensichtlich wieder unter Kontrolle. Sie erwies sich als sehr geschickt und tat alles so, wie sie es von ihm gelernt hatte.
Schließlich tranken und aßen sie beide.
Als sie mit Essen fertig waren, sammelte er die Abfälle und suchte nach einer Möglichkeit, sie verschwinden zu lassen. Schließlich fand er eine kleine Falltür, hob sie auf und entdeckte darunter ein schwarzes Loch, aus dem das Rauschen eines Flusses zu vernehmen war. Er warf die Abfälle hinein, denn er wollte keine Spuren seiner Anwesenheit hinterlassen.
Dann sagte er: »Wir gehen nach Aergistal«, und zeigte Antonella die Botschaft. »Ich weiß nicht, was uns dort erwartet. Ich weiß nicht einmal, ob wir gut dort ankommen.«
Er hatte erwartet, daß sie ängstlich reagieren würde, aber sie blieb ruhig. Anscheinend hatte sie volles Vertrauen zu ihm.
Er küßte sie sanft und führte sie aus dem Gebäude zum Pegason. Als er sie festgeschnallt hatte, saß er selbst auf. Er zögerte einen Moment, weil es ihm absurd schien, einfach »Aergistal« zu rufen, so wie man einem Computer einer Stadtdroschke eine Adresse mitteilt. Dann tat er es doch.
Um sie herum wurde die Welt wieder in verrückte Farben und Formen getaucht.
17.
Sie tauchten über einer weiten Ebene auf, über der Rauchwolken hingen. Der Himmel war rosa, durchsetzt mit pulsierenden Adern. Corson, der noch nie so etwas gesehen hatte, schauderte. Am Horizont, jenseits der niedrigen, aber deutlich sichtbaren Gebirgskette, erhoben sich drei Säulen aus Asche und Feuer.
Sie näherten sich rasch dem Erdboden. Unter ihnen wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen. Beim Näherkommen bemerkte Corson erstaunt eine Schar von bewaffneten Rittern auf prächtig aufgeputzten Pferden, die ihre Lanzen bereithielten. Plötzlich brachen Indianer aus einem Hinterhalt hervor, wild schreiend und mit Bogen bewaffnet. Auf Befehl ihres federgeschmückten Häuptlings schossen sie eine Wolke von Pfeilen ab. Die Pferde scheuten, und es entstand ein furchtbares Getümmel, aber schon hatte sich das Pegason abgewendet und trug sie weiter.
Plötzlich durchschnitt der Strahl einer Energiewaffe die Luft. Das Pegason schreckte zurück und sprang erneut durch Raum und Zeit. Nun waren die Berge weiter entfernt, und die Ebene hatte ein neues Gesicht. Sie war nun öde und mit Kratern übersät. Man hörte dumpfe Geräusche.
Eine Bewegung zog Corsons Aufmerksamkeit an. In der Entfernung von einigen hundert Metern bewegte sich eine gewaltige Masse langsam vorwärts. Nur an der gleichmäßigen Form konnte man erkennen, daß sie künstlich hergestellt war. Ein Panzer? Wenn es einer war, so war es der größte, den Corso jemals gesehen hatte. Einer der Krater schien sich in der Mitte zu öffnen. Corson dachte, der Tank steuerte auf einen Hügel zu, unter dem sich vielleicht eine Festung verbarg. Vielleicht war es aber auch ein noch größerer Panzer. An der Seite des Pegasons hängend, kam sich Corson reichlich schutzlos vor. Er wäre lieber rasch gelandet und hätte im Gelände nach einer Deckung gesucht.