»Wir wollen uns auf keinen Fall einschreiben«, sagte Corson fest. »Wir wollen nur … hm … irgendwo Arbeit finden.«
»Dann muß ich euch überzeugen, meine Freunde«, meinte der Mann. »Das ist mein Beruf.«
Er griff nach seinen Waffen und zielte auf Corson.
»Bitte seid nun so freundlich und unterschreibt, bevor ich ärgerlich werde und mein großzügiges Angebot zurückziehe.«
Corson stieß Antonella zu Boden und sprang mit einem Satz zu dem Tisch, den er umwarf. Aber sein Gegner war auf den Angriff gefaßt. Er wich aus und betätigte den Abzug seiner Waffen. Corson hörte einen ohrenbetäubenden Knall und spürte gleichzeitig einen heftigen Schlag am linken Arm.
Er stürzte sich nach vorn in den Rauch. Der Mann mit dem Dreispitz hatte die Waffen weggeworfen und zog nun wütend seinen Säbel. Aber diesmal war Corson schneller. Er sprang über den umgestürzten Tisch, schlug dem Mann in den Bauch und dann gegen die Schläfe.
Der Blaurock fiel um und hielt seinen Bauch mit beiden Händen.
Corson tastete seinen linken Arm ab und erwartete, daß er blutete. Aber sein Raumanzug hatte die Kugel abprallen lassen. Er war mit einer Quetschung davongekommen. Die Schüsse hatten Aufmerksamkeit erregt. Vom Lager näherte sich eine kleine Gruppe von Männern.
Corson riß Antonella auf die Füße, nahm den Säbel und begann zu rennen. Der einzige Fluchtweg führte zu der Senke, in der Corson den toten Wal vermutete. Kugeln pfiffen ihnen um die Ohren. Mit Erstaunen bemerkte Corson, daß die Gewehre weder eine Ziel- noch eine Ladeautomatik besaßen. Die Verfolger mußten nach jedem Schuß umständlich nachladen.
Keuchend erreichten sie die Senke und liefen den Abhang hinunter. Sie sahen, daß es sich um einen erloschenen Krater handelte, der tiefer und größer war, als sie vermutet hatten. Der »Wal« war ein riesiger Ballon aus gummiertem Stoff, der mit einem Netzwerk überspannt war. Er schwebte in der Luft und wurde von einem dicken Tau gehalten, das um einen Felsblock gewickelt war. Unter dem Ballon hing eine Gondel aus Korbgeflecht, die gerade den Boden berührte. Ein Mann in roten Pumphosen, einem weiten Mantel und einer Art Turban auf dem Kopf machte sich gerade an einer Anzahl Ventile zu schaffen.
Er grinste, als er die beiden heraneilen sah, aber das Grinsen verging ihm sofort, als er den Säbel erblickte. Er griff nach einem Gewehr, dessen Lauf über den Rand der Gondel ragte, aber Corson schlug ihn mit der flachen Seite des Säbels.
»Wir werden verfolgt«, rief er. »Kann Ihr Apparat drei Personen tragen?«
»Die Vorschriften erlauben es eigentlich nicht …«, begann der Schwarze und schaute Corson ängstlich an. Dann wandte er sich um und sah, wie am Rand der Senke Dreispitze erschienen.
»Ich glaube es ist besser, wenn wir hier verschwinden«, sagte er nur kurz.
Gefolgt von Corson und Antonella, sprang er in die Gondel und begann hastig, Sandsäcke über Bord zu werfen. Die Gondel hob sich in die Luft, wobei sie bedenklich schwankte.
»Leg dich auf den Boden!« schrie Corson Antonella zu. Als er sah, wie der Schwarze kostbare Zeit damit verschwendete, das Haltetau zu lösen, schlug er mit dem Säbel zu und schnitt es entzwei. Eine Bö half ihnen, und der Ballon erhob sich rasch in die Luft. Man hörte Schüsse, aber die Kugeln verfehlten ihr Ziel. Bis die Gewehre wieder geladen waren, war der Ballon außer Reichweite. Die Helden des guten Königs Viktor konnten ihnen nichts mehr anhaben.
Corson zog sich am Rand der Gondel wieder hoch, da er durch den plötzlichen Aufstieg zu Fall gekommen war. Der Boden krachte bedenklich. Er schaute auf den Schwarzen, der sich mit beiden Händen an den Hängeseilen festhielt. Dann legte er den Säbel weg und half Antonella beim Aufstehen.
»Egal auf welcher Seite Sie stehen«, sagte er zu dem Fremden, »ich bin froh, daß wir Sie getroffen haben. Mein Name ist Corson, und ich gehöre zur Mannschaft der …«
Er verstummte. Es war lächerlich, hier von der Archimedes zu sprechen. Er war ein Soldat ohne Armee, er war allein. Wenn das riesige Schlachtfeld von Aergistal nicht gewesen wäre, hätte er wohl auch vergessen, daß er überhaupt ein Soldat war.
»Mein Name ist Touray«, sagte der Schwarze. »Ich bin ein Zuave, Unteroffizier und zur Zeit Ballonfahrer bei einem Nachrichtenregiment. Eigentlich war mein Ballon schon die Beute des Gegners, aber ein glücklicher Schuß traf das Haltetau, und ich konnte entkommen.« Mit einem schiefen Grinsen fügte er hinzu: »Ich bin auch ausgebildeter Sanitäter und …«
»Und?« fragte Corson.
»Eure Uniformen erinnern mich an etwas. Ich war nicht immer Ballonfahrer. Ich war Ingenieur und Hubschrauberpilot. Darum hat man mich auch zum Ballonfahrer ernannt.«
Er begann laut zu lachen. »Sie verstehen? Ich habe ihnen einfach erzählt, ich verstünde ein wenig vom Fliegen. Es erschien mir besser, über der Schlacht zu sein, als mittendrin … Und was ist mit Ihnen? Aus welchem Krieg kommen Sie?«
Corson zögerte.
»Ich komme aus einem Krieg zwischen Planeten«, sagte er nach einer Pause. »Aber ich kam nicht direkt aus diesem Krieg hierher.«
»Ein Krieg zwischen Planeten«, sagte Touray nachdenklich. »Dann kommen Sie aus einer späteren Zeit als ich. Zu meiner Zeit begann die Raumfahrt erst. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, als der erste Mensch auf dem Mars landete. Das war ein Ereignis!«
Er deutete mit dem Daumen auf Antonella. »Was ist mit ihr? Kommt sie aus dem gleichen Krieg wie Sie?«
Corson schüttelte den Kopf. »Nein. Sie kommt aus einer … Zeit des Friedens.«
Das Gesicht des Schwarzen wurde eisig. »Dann darf sie nicht hier sein!«
»Warum sagen Sie das?«
»Auf dieser Welt gibt es nur Soldaten, Leute, die aus irgendwelchen Gründen zu Kriegsverbrechern erklärt wurden. Ich selbst habe Raketen auf ein Dorf gefeuert, in dem es nur Zivilisten gab, irgendwo in Europa. Es war eine Insel, die, wenn ich mich recht erinnere, Sizilien hieß. Ich kann nicht behaupten, daß ich wußte, was ich tat, aber ich kann auch nicht sagen, daß ich keine Ahnung hatte. So ist nun leider der Krieg, fürchte ich.«
Plötzlich fiel Corson eine Frage ein.
»Sie sprechen Pangal. Ich dachte, diese Sprache habe sich erst mit der Raumfahrt entwickelt.«
»Oh, Pangal ist nicht meine Muttersprache. Jeder auf Aergistal spricht Pangal, und ich habe es gelernt.«
»Was ist denn Ihre Muttersprache?«
»Es war eine Sprache, die man Französisch nannte.«
»Ich verstehe«, sagte Corson, aber in Wahrheit verstand er nichts. Das Wort sagte ihm nichts.
Seine Gedanken kreisten um ungelöste Rätsel. Aber er mußte auf die Antworten noch warten. Bisher war der Ballon an der Küste entlanggetrieben, nun steuerte er aber aufs offene Meer hinaus, auf dieses Meer, das sich bis in die Unendlichkeit auszudehnen schien.
18.
Sie glitten über eine Flotte von Galeeren hinweg, die versuchten, sich gegenseitig zu rammen. Eine Flaute hinderte sie in ihrem Vorhaben, und sie versuchten, durch den Gebrauch von Rudern ihr Ziel zu erreichen. Etwas weiter sahen sie einige wabenähnliche Strukturen, die von spinnenartigen Wesen angegriffen wurden. Es waren also nicht nur Menschen auf Aergistal. Ein oder zweimal sahen sie dunkle Schatten unter Wasser. Der Ballon entfernte sich immer weiter von der Küste, aber sie blieb noch in Sichtweite.
»Nun, es ist nicht besonders angenehm, zu verhungern, nicht wahr?« meinte Touray und öffnete einen Korb.
Mechanisch griff Corson an die Schulter, um die Schnur seines Beutels zu lösen, der die Militärverpflegung enthielt, aber der Beutel war weg. Er mußte ihn im Kampf mit dem Rekrutenanwerber verloren haben.
»Hier habe ich einige Würste, Brot und Rotwein«, sagte der Neger.
Aus seinen weiten Hosen zog er ein großes Taschenmesser und begann, das Brot in Stücke zu schneiden. Dann öffnete er die Weinflasche und reichte sie Antonella. Corson sah ihm fasziniert zu.