Plötzlich sahen sie Lichter und einen feinen, purpurfarbigen Streifen, der in der Dunkelheit leuchtete. Corson kannte die Gefährlichkeit dieses Streifens. Er gab seinen Begleitern ein Zeichen. Diese hielten sofort an.
Sie waren übereingekommen, daß er zunächst allein zu Veran gehen sollte, bis eine vorläufige Einigung erzielt war. Aber man hatte ein kleines Abhörgerät an seinem Nacken befestigt. Er zweifelte nicht daran, daß Ngal R’nda das Gespräch mithören würde.
Plötzlich erlosch das purpurfarbene Licht, und aus dem Lager erscholl eine ruhige Stimme: »Corson, ich weiß, daß Sie da sind!«
Es war Veran. Corson ging ins Lager, von einem Scheinwerfer hell angestrahlt. Er beachtete weder die Waffen, die auf ihn gerichtet waren, noch die Männer selbst.
»So, Sie sind also zurückgekommen. Und Sie hatten Zeit, Ihre Kleider zu wechseln, wie ich bemerke.« Die Stimme war mehr ironisch als ärgerlich. Veran hatte sich gut unter Kontrolle. »Die Frau haben Sie wohl an einem sicheren Ort versteckt?«
»Aber ich bin da«, sagte Corson knapp.
»Ich wußte, daß Sie zurückkommen würden. Ich habe kurz die Zukunft erforscht, und darum wußte ich es. Genauso wußte ich, wie ich Sie zum ersten Mal finden konnte. Schließlich haben Sie diesen Ort für mich ausgesucht. Ich nehme an, Sie hatten einen guten Grund dafür. Hier können wir uns nach unserem Aufbruch von Aergistal gut erholen. Ich nehme an, Sie haben mir etwas zu sagen.«
»Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen«, sagte Corson.
»Kommen Sie näher. Ich muß das Kraftfeld, das mein Lager schützt, wieder einschalten.«
Corson schritt vor. Hinter ihm leuchtete das purpurne Licht wieder auf. In seinem Körper spürte er die typische Vibration.
»So, Corson, was haben Sie mir anzubieten?«
»Ein Bündnis. Sie brauchen eines!«
Veran zuckte mit keiner Wimper. Seine grauen Augen glitzerten. Er sah aus wie eine Statue. Auch seine Männer, die um ihn herumstanden, rührten sich nicht. Aber sie hatten zweifellos den Finger am Abzug ihrer Waffen.
Veran hatte keine Waffe. Seine Hände lagen auf dem Rücken, eine typische Haltung, die Corson bei vielen Offizieren gesehen hatte.
»Ich könnte Sie töten«, sagte Veran. »Ich habe es nicht getan, weil Sie mir diese Nachricht geschickt haben. Dadurch konnte ich mich aus einer bösen Klemme befreien. Trotzdem erwarte ich eine Erklärung.«
»Natürlich«, sagte Corson.
»Sie haben mir diese Nachricht zukommen lassen, nicht wahr? Oder könnte es jemand anders gewesen sein?«
»Wer zum Beispiel?« fragte Corson.
Er konnte sich nicht erinnern, eine Nachricht geschickt zu haben. Er hätte gar nicht gewußt, wie Veran zu erreichen war. Er konnte diese Nachricht erst in der Zukunft abschicken. Sie könnte ein Teil des Planes sein, den er gerade zu schmieden begann. Er würde also später mehr wissen, als jetzt. Allerdings sah er schon etwas klarer. Aber wenn etwas schiefging? Wenn Veran dem Bündnis nicht zustimmte, könnte er dann überhaupt noch eine Nachricht abschicken? Aber sie existierte, ohne sie wäre Veran jetzt nicht auf Uria, also mußte er die Nachricht senden. Aber wann würde das geschehen? Wann würde er den Plan fassen — jetzt gleich oder später?
Es war sehr schwierig, in der Zukunft zu planen. Er mußte zunächst etwas herausfinden.
»Sie denken zu lange nach, bevor Sie sprechen«, sagte Veran. »Das mag ich nicht.«
»Wir haben viel zu besprechen. Hier draußen ist dafür kein guter Platz.«
Veran gab ein Zeichen. Einer seiner Männer sagte: »Er ist nicht bewaffnet. An seinem Hals ist ein Abhörgerät.«
»Schön«, meinte Veran. »Gehen wir.«
27.
»Jeder Mensch hat ein Ziel im Leben«, sagte Veran nachdenklich, »auch wenn er es nie erreicht. Was haben Sie vor, Corson? Manche Leute werden von Ehrgeiz getrieben, wie ich, andere von Furcht, wieder andere von Geldgier. Ihr Ziel sehe ich nicht, Corson. Das gefällt mir nicht. Ich verhandle nicht gern mit Leuten, deren Absicht ich nicht kenne.«
»Denken Sie einfach, daß ich von Ehrgeiz und Furcht getrieben werde. Ich möchte mit der Hilfe der Urianer Macht erringen. Furcht habe ich, weil ich ein Kriegsverbrecher bin. Ich werde gejagt, wie Sie, Veran.«
»Colonel Veran, bitte!«
»Also gut, Colonel. Ich habe keine besondere Lust, nach Aergistal zurückzugehen, um dort einen sinnlosen Krieg zu führen. Können Sie mich nun verstehen?«
»Dann wissen Sie also«, sagte Veran langsam, »daß der Krieg auf Aergistal keinen Sinn hat. Es gibt dort nichts zu erobern.«
»Diesen Eindruck habe ich gewonnen.«
»Ihre Haltung ist unlogisch. Wenn ein Feind etwas Bestimmtes vorhat, wird er Sie täuschen und seine wahren Absichten verbergen. Dann gehen Sie in die Falle.«
»Soll ich zusammenbrechen und weinen?« fragte Corson. »Weil ich ein armer Teufel bin, der sich in Raum und Zeit herumtreibt? Weil ich von einem Sklavenhändler an diese fanatischen Vögel verkauft wurde? Nein, es tut mir leid!«
»Diese Nachricht!« schnappte Veran.
Corson legte seine Hände flach auf den Tisch und versuchte, ruhig zu bleiben.
»Sie sagten, Sie hätten mir die Nachricht mit Hilfe der Urianer geschickt. Ich habe sie verlegt. Können Sie mir den Inhalt noch einmal wiederholen?«
»Ich habe hier mit Ihnen ein Treffen verabredet, Colonel. Ich habe Ihnen mitgeteilt, wie Sie von Aergistal flüchten können. Ich …«
»Ich möchte den genauen Wortlaut!« schnarrte Veran.
Corson starrte auf seine Hände. Es sah aus, als sei das Blut aus ihnen gewichen.
»Ich habe den genauen Wortlaut vergessen, Colonel.«
»Ich glaube nicht, daß Sie die Nachricht überhaupt kennen«, entgegnete Veran. »Ich glaube, Sie haben sie nicht abgeschickt. Selbst wenn Sie für jemanden arbeiten, der Ihren Namen benutzt hat, müßten Sie den Inhalt kennen. Diese Nachricht muß etwas mit Ihrer Zukunft zu tun haben, und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß Sie eine Zukunft haben werden.«
»Nehmen wir an, Ihre Theorie ist richtig, dann ist es doch klar, daß ich Ihnen in der Zukunft einen großen Dienst erweisen werde.«
»Sie wissen sehr gut, was das bedeutet«, meinte Veran.
Es herrschte Stille. Schließlich starrte Veran Corson an und sagte: »Ich kann Sie nicht töten. Nicht bevor Sie die Nachricht abgesandt haben. Mich stört der Gedanke, daß ich Sie nicht töten kann, überhaupt nicht. Was mich stört, ist, daß ich Ihnen keine Angst einjagen kann. Ich mag nicht mit Leuten arbeiten, die ich weder verstehen noch ängstigen kann.«
»Patt«, sagte Corson.
»Wie bitte?«
»Das ist ein Ausdruck aus dem Schachspiel. Er besagt, daß keiner gewinnen oder verlieren kann.«
»Ich spiele nicht«, meinte Veran. »Ich siege zu gern.«
»Oh, das ist kein Spiel im eigentlichen Sinn. Schach ist vielmehr eine strategische Übung.«
Veran lachte. »Dann ist es für mich zu simpel. Das würde mir keine Freude machen.«
Diese Nachricht schützt mich, dachte Corson. Ich folge meiner eigenen Spur, um Fallen zu vermeiden, die ich nicht kenne.
»Und was würde geschehen, wenn ich getötet würde, ohne die Nachricht abzusenden?« fragte Corson.
»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht schickt mir dann jemand anders eine identische Botschaft. Oder eine andere. Oder ich bekomme überhaupt keine Nachricht und bleibe auf Aergistal, wo ich in Stücke gehackt werde.«
Zum ersten Mal lächelte Veran, und Corson sah, daß er keine Zähne hatte. Er trug als Ersatz eine Spange aus Metall.
»Vielleicht bin ich schon ein Gefangener, oder etwas Schlimmeres!«
»Auf Aergistal bleibt man nicht lange tot«, sagte Corson.
»Das wissen Sie auch!«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich dort war.«