Nun bleibt nur noch eine Möglichkeit. Sie versuchen die Menschheit zu retten. Sie denken, daß es besser ist, wenn Uria und dieser Raumsektor von Menschen statt von gefiederten Fanatikern erobert wird. Darum haben Sie mich hergerufen. Sie schlagen eine Verbindung mit den Urianern vor, weil Sie annehmen, daß dieses Bündnis früher oder später wieder zerreißt, wenn die Bedingungen des Vertrages erfüllt sind. Dann soll ich die Urianer ausrotten. Vielleicht werden Sie dann auch noch mit mir fertig. Sie brauchen gar nicht darüber zu reden. Es wäre sinnlos, mich um Hilfe gegen die Urianer zu bitten, wenn das Risiko bestünde, daß ich Sie betrüge. Sie wissen, daß das Bündnis zu Spannungen führen muß.«
»Vergessen Sie nicht das wilde Pegason«, sagte Corson kühl.
Veran grinste falsch.
»Das werde ich nicht. Ich brauche es. Ich kann dann mit einem Schlag Uria von allen Gefahren befreien. Habe ich recht, Corson?«
»Nehmen Sie meine Bedingungen an?« fragte Corson.
Veran grinste wieder.
»Nicht bevor ich einige Vorsichtsmaßnahmen getroffen habe.«
28.
Diesmal schlichen sie durch die Gänge des Kosmos. Mit Hilfe des Wahrnehmungsvermögens des Pegasons konnte Corson die Zeit sehen. Die Fühler des Biests waren um seine Handgelenke geschlungen und streichelten seine Schläfen. Ab und zu fühlte er einen Anfall von Übelkeit. Veran, der auf der anderen Seite des Pegasons hing, hatte darauf bestanden, daß Corson lernen mußte, die Zeit zu beherrschen. Er hoffte, daß Corson ihn nicht nur durch das Labyrinth der unterirdischen Stadt führen konnte, sondern auch durch Ngal R’ndas Leben.
Das Pegason blieb immer nur für Bruchteile von Sekunden in der jeweiligen Gegenwart, gerade lange genug, daß Veran und Corson sich orientieren konnten. Für sie waren Wände, Säulen oder Einrichtungsgegenstände nur nebelhaft sichtbar. Lebewesen und alles, was sich bewegte, blieben unsichtbar. Das war die Kehrseite der Medaille. Man kann kaum spionieren ohne das Risiko, gesehen zu werden, andererseits sieht man nichts, wenn man sich zu gut versteckt.
»Es ist schade, daß Sie nicht versucht haben, diesen Stützpunkt besser zu erforschen«, meinte Veran.
»Ich habe um ein oder zwei Wochen Zeit gebeten«, protestierte Corson.
Veran zuckte mit den Schultern. »Einige Risiken gehe ich ein, andere nicht. Ich hänge doch nicht eine Woche tatenlos in meinem Lager herum, während Sie und diese Vögel mir eine hübsche Falle stellen.«
»Was ist, wenn uns jemand entdeckt?«
»Das ist schwer zu sagen. Vielleicht geschieht nichts, vielleicht kommt es zu einer Zeitschwankung. Ngal R’nda könnte merken, was vorgeht, und Ihnen nicht mehr trauen. Oder er könnte beschließen, Ihnen zuvorzukommen und seinen Angriff sofort starten. Es ist besser, wenn uns niemand sieht. Wir dürfen nichts dem Zufall überlassen, sonst könnte die Geschichte sich so entwickeln, daß wir Schaden erleiden. Wir werden alles alleine machen, ohne meine Männer.«
»Können wir den überhaupt in der Vergangenheit eine Falle stellen?«
Veran grinste breit und zeigte die Metallspange, die seine Zähne ersetzte.
»Ich werde mir schon etwas Nettes einfallen lassen. Sie sind ein sehr nützlicher Mann, Corson. Sie haben mir Ngal R’ndas schwache Stelle gezeigt.«
»Und ich muß mitkommen?«
»Denken Sie, ich bin so verrückt und lasse Sie zurück? Außerdem kennen nur Sie den Ort, wo wir hinmüssen.«
»Aber die Urianer werden merken, daß ich nicht mehr da bin«, warf Corson ein.
»Wir werden nur ein paar Sekunden weg sein. Wie alt ist dieser Vogel?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Corson. »Für seine Rasse ist er sehr alt. Urianer leben länger als Menschen — zumindest war das zu meiner Zeit so gewesen. Er könnte etwa zweihundert Jahre alt sein, vielleicht aber auch zweihundertundfünfzig.«
»Ich werde alles auf eine Karte setzen«, meinte Veran.
Und nun jagten sie durch die Zeit. Sie waren in die unterirdische Stadt eingedrungen, durch kilometerdicke Felsen geschlüpft, die wie Nebelfelder aussahen, und erschienen nun wie Geister.
Veran flüsterte: »Wie erkenne ich ihn?«
»An seiner blauen Tunika«, entgegnete Corson. »Aber denken Sie daran, daß er nicht oft hier ist.«
»Das macht nichts. Wenn das Pegason ihn bemerkt, wird es ihm folgen bis zum Augenblick seiner Geburt.«
Ein blauer Schatten, das war Ngal R’nda. Sie folgten seinem Leben wie Lachse, die in einem Fluß zur Quelle streben. Mehr blaue Schatten tauchten auf. Es waren andere Prinzen von Uria, die ebenfalls Rachepläne geschmiedet hatten wie Ngal R’nda. Dieser hatte die Wahrheit gesagt. Er war in der Tat der letzte Prinz von Uria.
Plötzlich verschwand Ngal R’nda.
»Ist das seine Geburt, he?« fragte Veran verwirrt.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, antwortete Corson. »Aber ich nehme es an. Ngal R’nda ist eine viel zu wichtige Persönlichkeit, um weit vom Heiligtum seiner Rasse aus dem Ei zu schlüpfen.«
Einen Augenblick später tauchte der blaue Schatten wieder auf. Corson konnte ihn nicht genau erkennen, aber das Pegason gab ihm ein Signal.
»So, und welche Falle wollen Sie nun stellen?« fragte Corson.
»Das werden Sie schon sehen!« Mehr sagte Veran nicht.
Sie hatten den Augenblick erreicht, als Ngal R’nda ausschlüpfte. Hatte Veran vor, ihm bei der Geburt eine Spritze zu geben, die erst viele Jahre später wirken würde? Oder wollte er ihm etwas einpflanzen? Nein, solche Tricks wären zu unfein. Außerdem hätten sie zu Zeitschwankungen führen können.
Das Pegason wurde langsamer und hielt. Corson spürte eine Übelkeit, die langsam verschwand. Er schluckte.
»Er ist noch nicht ausgeschlüpft«, sagte Veran.
Corson benutzte die Sinne des Pegasons und erkannte einen großen, eiförmigen Raum, der dem ähnelte, in dem das Ei vorgestellt worden war. Nur ein paar Fühler des Pegasons ragten aus der Wand, in der sie sich versteckt hielten.
Es war nur wenig Licht in dem Raum. Einige Nischen glänzten in der Wand, in jeder lag ein Ei. In einer größeren Nische lag ein purpurfarbenes Ei. Nein, Corson korrigierte sich. Für das Pegason war das Ei purpurn, für Menschen oder Urianer war es blau.
Das mußte das Ei von Ngal R’nda sein. Die Nischen waren also eine Art Brutkästen.
»Wir müssen warten«, meinte Veran. »Wir sind etwas zu weit in die Vergangenheit geraten.«
Man hörte ein schwaches Geräusch, als würden Bergleute eine ferne Erzader ausbeuten. Corson erkannte bald was es war. Es waren die kleinen Urianer, die versuchten, die Schalen ihrer Eier aufzubrechen. Das Pegason schlich zu dem blauen Ei. Corson hatte nun schon gute Erfahrung darin, die Eindrücke des Tieres wahrzunehmen und zu deuten. Er sah, wie Veran einen Gegenstand an das Ei hielt.
Er sagte scharf: »Zerbrechen Sie es nicht!«
»Idiot!« antwortete Veran. »Ich messe es nur ab.«
Diese Beleidigung zeigte, daß Veran sehr nervös war. In diesem entscheidenden Moment in Ngal R’ndas Leben konnte der kleinste Schock eine große Veränderung der Vergangenheit bewirken. Schweißbäche liefen Corson das Gesicht hinunter. Veran spielt mit dem Feuer. Was würde geschehen, wenn sie etwas falsch machten?