Das blaue Ei wurde von Schlägen erschüttert, dann öffnete es sich. Einige Stücke der Schale fielen zur Erde. Eine Flüssigkeit quoll heraus. Die Kopfspitze des jungen Urianers erschien. Der junge Urianer würde gleich zum ersten Mal schreien, er öffnete bereits den Schnabel. Zweifellos warteten draußen bereits die Pfleger auf dieses Signal.
Die Schale zerbrach nun vollständig. Zu Corsons Überraschung war der Kopf des Kükens nicht größer als eine Männerfaust. Aber Ngal R’ndas Hirn mußte noch lange wachsen. Die Urianer kamen sehr unfertig zur Welt.
Veran sprang vom Pegason und zog einen Plastiksack aus seiner Tasche. Schnell warf er die Eierschalen hinein. Dann bestieg er das Pegason wieder und lenkte es in eine andere Zeit.
»Ende der ersten Phase«, zischte er durch die Zähne.
»Sie werden merken, daß die Schale weg ist!« sagte Corson.
»Sie haben immer noch nicht kapiert«, grunzte Veran. »Sie bekommen eine andere Schale. Wenn ich Ihnen glauben kann, heben sie nur die blauen Schalen auf und werfen die anderen weg.«
Sie sprangen wieder durch die Zeit. Plötzlich waren sie in einer einsamen Schlucht. Veran hielt das Pegason an. Corson stieg ab, erfühlte sich schwindlig.
»Passen Sie auf, wo Sie hintreten. Wir sind immer noch in der Vergangenheit. Niemand weiß, ob ein zerbrochener Zweig nicht eine Zeitschwankung auslösen kann.«
Er öffnete den Sack und prüfte sorgfältig die Eierschalen.
»Das sind keine gewöhnlichen Eier«, murmelte er. »Sie gleichen eher Stücken einer Hirnschale. Schauen Sie sich die Nahtstellen an. Sie liegen eng an, wie die Ränder von festen Verschlüssen.«
Er brach ein kleines Stück ab und legte es in einen Apparat, den er am Gürtel getragen hatte. Er betrachtete es durch eine Art Lupe.
»Die Färbung geht durch die ganze Dicke der Schale«, berichtete er. »Das ist wirklich seltsam! Aber es macht nichts. Es wird leicht sein, eine Farbe mit der gleichen Schattierung zu finden, wenn auch nicht so dauerhaft.«
»Wollen Sie das Ei färben?«
Veran schnaufte. »Mein lieber Corson, Sie sind unheilbar blöde. Ich werde diese Schalen mit anderen vertauschen. Die neuen Schalen werden dann gefärbt. Ich nehme dafür eine Substanz, die ich neutralisieren kann, wenn ich will. Die ganze Macht von Ngal R’nda hängt von der Farbe des Eies ab. Darum zeigt er es ab und zu vor. Darum darf wahrscheinlich auch niemand im Raum sein, wenn die Küken ausschlüpfen. Es darf keine Möglichkeit zu irgendeiner Manipulation geben. Aber wir haben das Pegason. Ich glaube nicht, daß irgend jemand den Tausch bemerkt, oder daß er eine Zeitschwankung bewirkt. Ich nehme eine Eierschale, die die gleiche Größe hat und die von einem Küken stammt, das gleichzeitig mit Ngal R’nda ausschlüpft. Die einzige Schwierigkeit ist, den Tausch so schnell auszuführen, daß niemand Zeit hat, um in den Saal zu kommen und uns zu bemerken.«
»Das ist unmöglich«, meinte Corson.
»Oh, es gibt Drogen, die die Reaktionsgeschwindigkeit eines Menschen verzehnfachen.«
»Aber sie sind gefährlich«, warf Corson ein.
»Sie brauchen ja keine zu nehmen.«
Veran begann, die Eierschalen wieder in den Sack zu tun, dann überlegte er.
»Es ist wohl sicherer, wenn ich diese Schalen bleiche und sie an die Stelle der Schalen lege, die ich wegnehme. Man kann nie wissen.«
Er machte noch einige Tests und sprühte dann eine Flüssigkeit über die Schalen. In wenigen Sekunden waren sie elfenbeinfarbig.
»Zurück auf das Pegason!« rief er zufrieden.
Wieder tauchten sie in die Zeit. Bald waren sie wieder in dem Raum, wo Dutzende von leeren Eierschalen herumlagen. Veran stoppte das Pegason und prüfte die verschiedenen Bruchstücke. Schließlich entschied er sich für die Bruchstücke eines Eies, das die richtige Größe hatte. Auch diese wurden besprüht und nahmen alsbald eine blaue Farbe an. Sie nahmen die Stelle der gebleichten Schalen ein. Dann zog Veran eine Pille hervor und schluckte sie.
»Die Droge wird innerhalb von drei Minuten wirken. Sie macht meine Reaktion schnell genug, um alles zu erledigen.«
Er wandte sich lächelnd an Corson: »Das Lustige ist, daß Sie nicht mehr wegkönnen, falls mir etwas geschieht. Ich frage mich, was die Urianer denken würden, wenn sie in ihrem Brutraum zwei Menschen fänden, einen toten und einen lebenden. Vom Pegason ganz zu schweigen, falls sie nur wilde kennen. Oh, Sie müßten diesen Vögeln eine hübsche Geschichte erzählen.«
»Wir würden doch sofort verschwinden«, meinte Corson. »Ihr Tod würde sicher eine Zeitschwankung hervorrufen. Die ganze Geschichte dieses Teils der Galaxis könnte betroffen sein.«
»Sie lernen anscheinend schnell, wenn es Ihnen in den Kram paßt«, meinte Veran gutgelaunt. »Ja, der eigentliche Trick besteht darin, daß wir den richtigen Augenblick erwischen. Ich habe keine Lust, mir selbst zu begegnen. Und vor allem möchte ich nicht das Gesetz der Nicht-rückgängigen-Information durchbrechen.«
Alles geschah nun so schnell, daß Corson sich später kaum noch erinnern konnte. Verans Schatten bewegte sich so rasend schnell, daß man kaum Konturen sah. Das blaue Ei, die schlüpfenden Küken und die Tür, die sich öffnete, waren ein Bild. Veran sprach so schnell, daß er ihn nicht verstand. Corson hatte das Gefühl, in die Ecken des Kosmos geschleudert zu werden …
»Ende der Phase zwei«, schrie Veran triumphierend.
Die Falle war vorbereitet. Es würden noch zweihundert oder zweihundertfünfzig Jahre vergehen, bevor Ngal R’nda in dieser Falle gefangen würde.
Zeit, dachte Corson, als er vom Pegason stieg, ist die geduldigste von allen Gottheiten.
29.
Das Monster schlief. Es war fünfhundert Meter unter der Oberfläche des Planeten verborgen. Gefüllt mit genügend Energievorrat, hatte es nur den einen Wunsch, sich auszuruhen. Es war völlig damit beschäftigt, die achtzehntausend Sporen hervorzubringen, aus denen seine Nachkommen entstehen würden. Darum war das Monster verwundbar. Aus diesem Grund war es in das Basaltgestein eingedrungen und hatte dort sein Nest gebaut.
Das Monster träumte. In seinen Träumen erinnerte es sich an einen Planeten, den es nie selbst gekannt hatte, der aber die Wiege seiner Rasse war. Dort war das Leben einfach und schön gewesen. Dieser Planet war schon vor einer halben Milliarde von Jahren verschwunden, aber durch Vererbung blieben dem Monster klare Erinnerung an diese Urheimat. Hätten Corsons Zeitgenossen die Träume des Monsters während der Gefangenschaft deuten können, hätten sie den Schlüssel zu vielen Rätseln gefunden.
Sie hatten nie verstanden, wie das Monster, das bis auf seltene Gelegenheiten die Gesellschaft anderer Artgenossen mied, eine Kultur entwickeln konnte, nicht zu reden von den Anfängen einer Sprache.
Auch die Herkunft der Monster war für die Menschen ein unlösbares Problem. Zu Corsons Zeit war die Exobiologie bereits eine sehr anerkannte Wissenschaft. Es war möglich, anhand eines Exemplares den ganzen biologischen Weg einer Gattung zu bestimmen. Aber die Monster zeigten Merkmale von einem Dutzend Rassen. Kein Planet konnte so ein widersprüchliches Biest hervorgebracht haben. Darum hatte man auch keinen genauen Namen gefunden und sie einfach Monster genannt.
Ein Energiestrahl streifte das Monster für den Bruchteil einer Sekunde. Es bewegte sich im Schlaf und nahm gierig die Energie auf, die es brauchte. Es achtete nicht darauf, wo diese Energie herkam. Ein zweiter Energiestrahl weckte es auf, und ein dritter alarmierte es endlich.
Es merkte verwirrt, daß es einen Fehler gemacht hatte. Es hätte den ersten Energiestrahl nicht aufsaugen dürfen. Damit hatte es seine Position verraten. Da es zu verwirrt war, hatte es auch noch Teile der anderen Energiestrahlen aufgenommen. Wenn es sich fürchtete, befahl ihm sein Instinkt, alle Energie aufzunehmen, die vorhanden war, gleichgültig woher sie stammte.