»Ich habe ein schlechtes Blatt«, antwortete Corson.
»Was?«
»Ich habe nicht die richtigen Karten.«
»Vielleicht nicht. Aber Sie sind ein Trumpf in irgendeinem Spiel. Und Sie handeln so, als ob Sie es nicht wüßten.«
Veran warf den Zigarrenstummel weg und drückte ihn mit dem Fuß aus.
»Fassen wir zusammen«, sagte er dann. »Dieser Rat hat Mittel, durch die Zeit zu reisen. Er versteckt sich in der Zukunft und muß schon darum die Zeit beherrschen, um die Gegenwart überwachen zu können. Sie wissen bereits, was ich vorhabe und was geschehen wird, wenn es nicht noch eine Zeitschwankung gibt. Und sie haben sich nicht gerührt. Sie unternehmen weder gegen mich noch gegen Ngal R’nda irgend etwas. Das bedeutet, daß die Zeit noch nicht reif ist. Der Rat wartet auf etwas, aber auf was?«
Er atmete tief ein.
»Oder sie haben bereits etwas getan. Vielleicht sind Sie ein Mitglied des Rates mit einem Sonderauftrag.«
»So etwas Dummes habe ich noch nie gehört«, bemerkte Corson trocken.
Veran sprang zurück und zog seine Waffe. »Ich könnte Sie töten, Corson. Vielleicht ist es Selbstmord, aber Sie gehen zuerst drauf. Dann gibt es keine Nachricht, und ich komme nie auf diesen Planeten. Dann kann ich Sie auch nicht gefangennehmen und töten, aber die Zeitschwankung, die dann eintreten würde, wäre so fürchterlich, daß Sie darin untergehen würden. Sie wären nicht mehr Sie selbst, sondern jemand anders.«
Sie schauten sich fest in die Augen. Schließlich steckte Veran die Waffe zurück.
»Ich hatte gehofft, ich könnte Sie erschrecken. Ich muß zugeben, daß ich mich geirrt habe. Es ist schwer, einen Mann zu erschrecken, der Aergistal erlebt hat.«
Er grinste.
»Letzten Endes glaube ich Ihnen, Corson. Vielleicht sind Sie wirklich der Mann, der im Rat sitzt, irgendwo in der Zukunft, aber Sie wissen es nicht. Sie sind noch nicht dieser Mann. Zur Zeit sind Sie nur seine Trumpfkarte. Er konnte nicht selbst herkommen, weil er wußte, was geschehen würde. Er hätte das Gesetz der Nicht-rückgängigen-Information verletzt. Aber er konnte niemandem trauen. Also beschloß er, ein Ich aus einer früheren Zeitperiode herzuschicken. Dieses Ich verändert den Gang der Ereignisse nur so geringfügig, daß die Schwelle der Zeitschwankung nicht überschritten wird. Ich gratuliere Ihnen, Corson. Sie haben eine glänzende Karriere vor sich — falls Sie lange genug leben.«
»Warten Sie einen Augenblick«, sagte Corson. Sein Gesicht war bleich geworden. Er setzte sich nieder und stützte den Kopf mit beiden Händen.
»Haben Sie einen Schock gekriegt, hm?« fragte Veran. »Vielleicht fragen Sie sich, warum ich Ihnen das alles gesagt habe. Versuchen Sie es nicht, das herauszufinden. Sobald ich mit Ngal R’nda fertig bin, schicke ich Sie als mein Botschafter zum Rat. Da ich weiß, daß ich einen künftigen Staatsmann in meiner Gewalt habe, werde ich den bestmöglichen Nutzen daraus ziehen. Ich habe Ihnen schon gesagt, ich möchte einen Handel abschließen. Ich verlange nicht viel, nur einige Dinge wie Roboter und Raumschiffe. Dann werde ich diese Welt friedlich verlassen. Ich werde nie mehr hierherkommen, selbst wenn ich den Rest der Galaxis erobere.«
Corson hob den Kopf.
»Und wie wollen Sie mit Ngal R’nda fertig werden. Es scheint, daß er sehr wachsam ist.«
Veran lachte kurz. »Wenn Sie das noch nicht herausgefunden haben, dann sage ich es Ihnen auch nicht.«
31.
Sie mußten den Vorraum zu dem eiförmigen Saal nackt betreten. Dort wurden Sie einer rituellen Reinigung unterzogen und dann mit gelben Togen bekleidet. Corson war sicher, daß Veran die Vorstellung des Eies benutzen würde, um etwas zu unternehmen, aber er konnte sich nicht vorstellen, was. Er war fast sicher, das Veran keine Waffe trug. Die Urianer kannten die menschliche Anatomie gut genug, um alle natürlichen Verstecke am Körper zu finden. Hätte Veran Gewalt anwenden wollen, hätte er sicher mit seinen Männer und den Pegasonen angegriffen. Nein, er mußte etwas anderes im Sinn haben.
Verwirrt schritt Corson zum zweiten Mal durch die Reihen der Edlen, und Veran folgte ihm. Er schaute sich prüfend den Metallblock an, dann wurde das Licht schwächer. Ngal R’nda trat ein. Er schien noch hochmütiger als sonst. Es war ihm gelungen, diese zwei menschlichen Söldner vor seinen Karren zu spannen. Seine gelben Augen sahen sicher schon im Geiste die blauen Banner über den Trümmern der Städte wehen. Er träumte von einem Kreuzzug gegen die Menschheit.
Etwas mußte mit dem Ei geschehen. Plötzlich wurde Corson klar, was Veran vorhatte. Er erschrak. Ein seltsames Gefühl von Mitleid mit diesem letzten Prinzen von Uria überkam ihn, aber auch Verans Kühnheit mußte er gleichzeitig bewundern. Gespannt verfolgte er die Zeremonie. Er hörte, wie Ngal R’nda die seltsamen Töne ausstieß, die von der Menge wiederholt wurden. Er sah, wie sich der Metallblock öffnete und das Ei erschien. Die Urianer reckten ihre dünnen Hälse, obwohl sie doch die ganze Zeremonie schon oft gesehen hatten.
Der letzte Prinz von Uria öffnete den Schnabel, aber bevor er krächzen konnte, gab es einen Tumult. Veran hatte die urianischen Edlen, die neben ihm standen, zur Seite gestoßen und war zu Ngal R’nda gesprungen. Er packte den Alten am Hals und zeigte auf das Ei. Dann schrie er: »Betrüger! Piiekivo! Piiekivo! Piiekivo!«
Corson brauchte kein Wörterbuch, um zu verstehen.
»Das Ei ist angemalt«, schrie Veran. »Dieser Halunke hat euch hereingelegt! Ich werde es beweisen!«
Die Urianer waren sprachlos und rührten sich nicht. Das war ein glücklicher Umstand für Veran, dachte Corson. Aber dieser hatte sicher damit gerechnet, daß auch die edlen Urianer keine Waffen in diesen Raum mitnehmen durften. Er hatte nun genug Zeit, mit seiner Hand an dem Ei zu reiben. An der Stelle, wo er gerieben hatte, wurde das Ei elfenbeinfarbig.
Das war ein teuflischer Trick, dachte Corson. Er keuchte und glaubte sein Ende sei gekommen, obwohl ihm die Urianer keinerlei Beachtung schenkten.
Aber das Ei war nicht einfach mit Farbe angemalt. Man brauchte doch eine Chemikalie, um die Farbe zu neutralisieren, mit der es Veran vor zweihundertfünfzig Jahren — oder war es letzte Woche? — besprüht hatte. Er konnte doch nichts mit in den Saal genommen haben. Und falls er sich vorher eine Chemikalie auf die Hand geschmiert hatte, so wäre sie während der rituellen Waschung abgegangen. Der Trick war fast unglaublich.
Und dann verstand er plötzlich. Obwohl er dreimal gewaschen worden war, hatte Veran eine sehr wirksame Substanz mit in den Saal gebracht, die gleichzeitig basisch und sauer war.
Seinen eigenen Schweiß.
An dem Ei ging die Reaktion weiter. Es verlor nach und nach seine Farbe gänzlich.
Aus der Menge ertönten schrille Schreie. Klauen gruben sich in Corsons Schulter. Er wehrte sich nicht. Veran ließ Ngal R’nda los, der nun den Schnabel öffnete, um Atem zu schöpfen. Urianer in violetten Togen ergriffen Veran, aber dieser schrie: »Ich habe es bewiesen, das Ei ist nicht blau! Er ist ein Betrüger!«
»Er lügt!« schrie Ngal R’nda zurück. »Er hat das Ei mit Farbe besprüht! Bringt ihn um!«
»Brecht das Ei entzwei!« schrie Veran. »Wenn ich lüge, muß die Innenseite blau sein! Brecht das Ei entzwei!«
Ngal R’nda wurde von Urianern umkreist. Sie zeigten noch Ehrfurcht, wirkten aber irgendwie drohend. Ngal R’nda stieß piepsende Laute aus, die Corson nicht verstand, aber der Sinn war klar.