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»Sie sind sicher hungrig?«

Corson verbrachte drei Zehnertage an der Küste. Es war eine Art Urlaub, den er sich gönnte. Allerdings verbrachte er viel Zeit damit, seinen Plan zu verbessern und zu vervollständigen. Aus dem Gedächtnis zeichnete er eine Skizze von Verans Lager in den Sand. Er würde wenig Zeit haben, die Flüchtlinge zu den Pegasonen zu führen. Er durfte auch nicht über eine Zeltschnur stolpern oder sich zwischen den Zelten verirren. Auch arbeitete er die Hauptwesenszüge aus, mit denen er die wiederbelebten Mädchen ausstatten wollte. Er wußte immer noch nicht, wie er die Mädchen dann nach Uria bringen sollte, aber das konnte er sich noch überlegen, wenn die ersten Teile des Planes erledigt waren.

Den Rest der Zeit verbrachte er mit Schwimmen, Plaudern oder mit Antonella. Oft beobachtete er den Rat bei seiner Arbeit. Zuerst kam es ihm so vor, als ob er nicht sehr viel zu tun hätte, aber nach und nach begriff er, welche enorme Verantwortung auf den Schultern von Cid, Selma und der dritten Frau ruhte, die sich Ana nannte.

Hier und da waren sie stunden- oder tagelang verschwunden. Manchmal sah sie Corson völlig erschöpft zurückkehren. Oft kamen Fremde aus dem Nichts und holten Ratschläge ein oder brachten Informationen. Stundenlang war fast täglich eines der Mitglieder des Rates in Verbindung mit Aergistal. Meistens war es eine der Frauen.

Einige der Verbindungen schienen äußerst schwierig zu sein. Einmal wurde er durch Schreie geweckt. Ana rollte sich im Sand umher und zuckte wie in einem epileptischen Anfall. Bevor Corson etwas tun konnte, hatten sich schon Cid und Selma neben sie gelegt und traten selbst in Verbindung. Nach einigen Minuten wurde Ana ruhiger.

Corson fragte nach der Geschichte von Uria in den letzten sechstausend Jahren, die er übersprungen hatte. Aber er erhielt nur wenig befriedigende Antworten. Sechstausend Jahre stellten eine fast unvorstellbare Zeitspanne dar. Die Wissenschaft mußte fast ungeheure Fortschritte gemacht haben. Hatte man nicht die uralten Rassen gefunden, von denen die Legende sagte, sie seien um ein Millionenfaches weiter entwickelt als die Menschheit? Die Antwort auf diese Frage war negativ, und Corson glaubte auch nicht, daß die Menschen einen solchen Schock überwunden hätten. Diese Rassen mußten das Niveau von Aergistal erreicht haben, wo — wie der Unbekannte gesagt hatte — kein Unterschied mehr bestand.

Was Corson am meisten überraschte, waren die Antworten, die der Rat ihm gab. Sie wußten ein wenig über die Geschichte von Uria und einige Fakten über benachbarte Planeten. Über die Galaxis wußten sie nichts, auch nichts über ihre Geschichte.

Corson dachte zunächst, ein menschlicher Verstand könne so viele Dinge gar nicht fassen. Dann erkannte er, daß seine Vorstellung über Geschichte sich von ihrer gewaltig unterschied. Sie betrachteten die Geschichte als eine Vielzahl von Situationen und Krisen, die alle nicht endgültig waren. Man konnte alles rückgängig machen, und alles unterlag einem sehr komplizierten Gesetz.

Die einzige Geschichte, die sie sich vorstellen konnten, war, wie Corson herausgefunden hatte, die Entwicklung der Wissenschaften. Aber keiner von ihnen war ein Spezialist auf diesem Gebiet.

Darüberhinaus existierten zu jeder Zeit — soweit das überhaupt etwas bedeutete — auf den Planeten, die von Menschen oder Fremden bewohnt wurden, fast die gesamten unvorstellbaren Mengen von Möglichkeiten. Die Zivilisationen in der Galaxis führten ein Inseldasein. Jede Insel hatte ihre eigene Geschichte. Gegenseitige Kontakte jedweder Art waren selten. Corson begriff, daß der Krieg das wichtigste Band zwischen den Welten gewesen war, die man Solar-Mächte genannt hatte.

Es blieb nur noch die Frage offen, warum Uria eine Art Schlüsselwelt war und die Aufmerksamkeit der Herren von Aergistal auf sich gezogen hatte. Für Cid war diese Frage bedeutungslos. Nach Anas Meinung spielte Uria eine besondere Rolle im Universum, weil seine Bewohner gelernt hatten, die Zeit zu beherrschen. Selma vertrat die Ansicht, daß alle Planeten gleichwichtig seien. Das Geheimnis, die Zeit zu beherrschen, wurde von den Herren von Aergistal den Rassen enthüllt, die nach ihrer Ansicht weit genug entwickelt waren.

Corson hatte seine Zweifel. Manchmal fragte er sich, ob der ganze Rat nicht doch verrückt war. War das Vertrauen in ihre eigene Macht nur ein leerer Wahn? Er hatte kaum einen Beweis für ihre Fähigkeit, die Zeit zu beherrschen. Sicher, sie verschwanden von Zeit zu Zeit, aber das konnte auch ein Trick sein.

Andererseits wußten sie zuviel über ihn. Sie kannten seine Vergangenheit und Aergistal — und sie hatten gezeigt, daß sie sein Pegason beeinflussen konnten. Corson war sicher, daß sie es gezwungen hatten, hier am Strand in die jetzige Gegenwart zu kommen. Sie handelten jedoch wie gewöhnliche Leute, waren vielleicht besser angepaßt als ein Durchschnittsmensch, wie sie Corson während des Krieges gesehen hatte. Auch das war überraschend. Leute, die einer Kultur angehörten, die sechstausend Jahre älter als seine eigene war, hätten nicht so angepaßt sein dürfen. Er hätte mehr Individualität erwartet.

Dann erinnerte er sich an Touray, der aus einer schon fast legendären Zeit stammte, als sich die Menschen auf der Erde kaum über die Grenzen ihrer eigenen Welt hinauswagten. Er hatte keinen großen Unterschied zu sich selbst an ihm feststellen können. Touray hatte sich dem Leben auf Aergistal erstaunlich gut angepaßt.

So weit war er in seinen Überlegungen gekommen, als ihm einfiel, daß seine Gefährten doch verschieden waren. Sie waren persönlich tief miteinander verbunden, während zu Corsons Zeiten nur der einzelne oder die Gruppe etwas bedeuteten.

Sie taten ihr möglichstes, Corson nicht zu schockieren. Das Leben am Strand mag seine idyllischen Seiten haben, aber den intimen Beziehungen sind doch Grenzen gesetzt.

Seltsamerweise schien Antonella nicht dazuzugehören. Sie war noch mehr Außenseiter als Corson. Die drei anderen jagten sie nicht aus ihrer Gruppe und waren sehr freundlich zu ihr, aber sie gehörte offensichtlich nicht dazu. Sie hatte weder Selmas anziehende Offenheit noch Anas gelegentliche Sinnlichkeit. Es schien so, als wäre sie nur ein hübsches, junges Mädchen, das um Corson herum scharwenzelte. Sie war eine weniger starke Persönlichkeit als die anderen beiden Frauen, aber — und das mußte ihr Corson wenigstens zugestehen — sie war in keiner Weise eifersüchtig auf sie. Er schrieb die Tatsache, daß die drei Abstand von ihr hielten, ihrer Jugend und Unerfahrenheit zu. Außerdem stammte sie aus einer anderen Zeit. Er hatte sie allerdings noch nie gefragt, welche Zeit das war. Ohne nähere Anhaltspunkte wäre jede Antwort auf diese Frage bedeutungslos gewesen. Wenn er sie nach ihrem Vorleben fragte, gab sie nur allgemeine Antworten, mit denen er nichts anfangen konnte. Er fragte sich, warum sie, als sie ihn zum ersten — nein — zum zweiten Mal getroffen hatte, nichts von diesem Aufenthalt am Strand erzählt hatte. Vielleicht fürchtete sie ein Zeitschwankung. Oder sie hatte keinen Grund, von Cid, Selma und Ana zu reden, weil dann die Namen für sie keine Bedeutung mehr haben würden.

Jetzt waren die drei wirkliche Freunde. Er konnte sich nicht erinnern, jemals Menschen so gern gemocht zu haben. Er genoß besonders die langen Abende, wenn sie am Strand saßen, Wein tranken und Gedanken austauschten. Dann war es ihm, als seien alle Probleme längst gelöst.

»Vergiß bitte nicht, die Nachricht abzuschicken, Selma!«

»Ist schon so gut wie erledigt«, pflegte Selma auf diese oft wiederkehrende Bitte zu antworten.

»Du mußt meinen Namen darunter setzen. Veran, dieser alte Fuchs, kannte ihn schon, bevor ich seine Bekanntschaft machte. Schreibe ihm, daß er auf Uria Waffen und Pegasone erhalten wird, vielleicht auch Rekruten.«

Dann wandte er sich gewöhnlich an Cid.

»Sind Sie sicher, daß es genügt, in Verans Lager Verwirrung zu stiften? Sind Sie sicher, daß die Bürger von Uria mit den Soldaten und den Pegasonen fertig werden?«