Ein Schauer lief Tyrion über den Rücken. Das war nun aber ein bösartiger Verdacht. Der Schattenwolf und der Löwe waren nicht die einzigen wilden Tiere im Wald, und falls es zutraf, benutzte ihn jemand als Werkzeug. Tyrion Lannister haßte es, benutzt zu werden.
Er mußte hier raus, und zwar bald. Seine Chancen, diesen Kerkermeister Mord zu überwältigen, waren bestenfalls gering, und niemand würde ihm ein sechshundert Fuß langes Seil hereinschmuggeln, daher würde er sich im wahrsten Sinne des Wortes herausreden müssen. Sein Mundwerk hatte ihn in diese Zelle gebracht, da konnte es ihn, verdammt noch mal, auch wieder herausholen.
Tyrion kam auf die Beine, gab sein Bestes, den abschüssigen Boden zu ignorieren. Mit der Faust hämmerte er an die Tür.»Mord!«rief er,»Kerkermeister! Mord, ich brauche Euch!«Gut zehn Minuten mußte er rufen, bis er Schritte hörte. Nur einen Augenblick, bevor die Tür mit einem Krachen aufflog, trat Tyrion zurück.
«Macht Lärm«, knurrte Mord mit Blut in den Augen. Von seiner fleischigen Hand baumelte ein Lederband, breit und dick, doppelt um die Faust gewickelt.
Zeig ihnen niemals, daß du dich fürchtest, sagte sich Tyrion.»Wie würde es dir gefallen, reich zu sein?«fragte er.
Mord schlug ihn. Er schwang den Riemen mit der Rückhand, träge nur, doch traf das Leder Tyrion oben am Arm. Die Wucht ließ ihn taumeln, und der Schmerz ließ ihn die Zähne zusammenbeißen.»Kein Mund, Zwergmann«, warnte Mord.
«Gold«, sagte Tyrion mit gespieltem Lächeln.»Casterly Rock ist voller Gold.. ahhhh.. «Diesmal war der Hieb eine Vorhand, und Mord legte mehr von seinem Arm in den Schwung, ließ das Leder knallen und springen. Er traf Tyrion in die Rippen, daß dieser wimmernd auf die Knie fiel. Tyrion zwang sich, zum Kerkermeister aufzusehen.»Reich wie die Lannisters«, keuchte er.»So sagt man, Mord…«
Mord grunzte. Der Riemen pfiff durch die Luft und traf Tyrion mit voller Wucht ins Gesicht. Der Schmerz war so schlimm, daß er sich nicht erinnern konnte, gefallen zu sein, doch als er die Augen wieder aufschlug, lag er am Boden seiner Zelle. In seinem Ohr klingelte es, und sein Mund war voller Blut. Er suchte Halt, um sich hochzuziehen, und seine Finger strichen über… nichts. Tyrion riß seine Hand so schnell zurück, als hätte er sich verbrüht, und gab sich alle Mühe, nicht zu atmen. Er war direkt auf die Kante gefallen, nur einen Daumenbreit vom Blau.
«Noch was?«Mord hielt den Riemen in seiner Faust und riß daran. Das Knallen ließ Tyrion zusammenzucken. Der Kerkermeister lachte.
Er wird mich nicht hinunter stoßen, betete sich Tyrion verzweifelt vor, als er vor dem Rand zurückwich. Catelyn Stark will mich lebend, er wird nicht wagen, mich zu töten. Mit dem Handrücken wischte er sich das Blut von den Lippen und grinste.»Das war nicht übel, Mord. «Der Kerkermeister blinzelte ihn an, versuchte herauszufinden, ob er verspottet wurde.»Ich hätte Verwendung für einen starken Mann wie Euch. «Der Riemen flog ihm entgegen, doch diesmal gelang es Tyrion, ihm auszuweichen. Er bekam einen Streifschlag an die Schulter, mehr nicht.»Gold«, wiederholte er und kroch rückwärts wie ein Krebs,»mehr Gold, als du je im Leben gesehen hast. Genug, um Land zu kaufen, Frauen, Pferde.. Du könntest Lord werden. Lord Mord. «Tyrion hustete Blut und Speichel hervor und spuckte beides in den Himmel.
«Ist kein Gold«, sagte Mord.
Er hört mir zu! dachte Tyrion.»Man hat mir meinen Geldbeutel genommen, als ich gefangen wurde, doch das Gold gehört noch immer mir. Catelyn Stark mag einen Mann gefangennehmen, aber sie wird sich nicht soweit erniedrigen, ihn zu berauben. Hilf mir, und das ganze Gold gehört dir. «Mords Riemen schnalzte vor, doch nur mit einem halbherzigen, flüchtigen Hieb, langsam und verächtlich. Tyrion fing das Leder mit der Hand und hielt es fest.»Es gibt für dich kein Risiko. Du bräuchtest nur eine Nachricht zu übermitteln.«
Der Kerkermeister riß den Lederriemen aus Tyrions Griff.»Nachricht«, sagte er, als hätte er das Wort nie zuvor gehört. Sein fragender Blick zog tiefe Falten über seine Stirn.
«Ihr habt mich gehört, Mylord. Überbringt nur meine Worte Eurer Lady. Sagt ihr…«Was? Was mochte Lady Arryn einlenken lassen? Die Eingebung kam Tyrion Lannister ganz plötzlich.»… sagt ihr, ich möchte meine Verbrechen gestehen.«
Mord hob seinen Arm, und Tyrion machte sich für den nächsten Hieb bereit, doch zögerte der Kerkermeister. Mißtrauen und Gier rangen in seinem Blick miteinander. Er wollte dieses Gold, nur fürchtete er eine List. Er sah aus wie jemand, der oft überlistet worden war.»Ist Lüge«, murmelte er finster.»Zwergmann betrügt mich.«
«Ich werde mein Versprechen schriftlich festhalten«, schwor Tyrion.
Manche Analphabeten verachteten alles Schriftliche. Andere schienen eine abergläubische Ehrfurcht vor dem geschriebenen Wort zu haben, als wäre es eine Art Zauber. Glücklicherweise gehörte Mord zu letzteren. Der Kerkermeister ließ den Riemen sinken.»Schreib auf Gold. Viel Gold.«
«Oh, viel Gold«, versicherte ihm Tyrion.»Die Börse ist nur ein Vorgeschmack, mein Freund. Mein Bruder trägt eine Rüstung aus reinem Gold. «In Wahrheit war Jaimes Rüstung aus vergoldetem Stahl, das hingegen würde dieser Esel nie merken.
Mord fingerte nachdenklich an seinem Lederriemen herum, am Ende gab er nach und ging Papier und Tinte holen. Als der Brief geschrieben war, sah ihn der Kerkermeister argwöhnisch an.»Jetzt überbringe meine Nachricht«, drängte Tyrion.
Er zitterte im Schlaf, als man ihn holte, mitten in jener Nacht. Mord öffnete die Tür, doch schwieg er still. Ser Vardis Egen weckte Tyrion mit seiner Stiefelspitze.»Auf die Beine, Gnom. Meine Herrin will dich sehen.«
Tyrion rieb den Schlaf aus seinen Augen und setzte eine Miene auf, die kaum seinen Empfindungen entsprach.»Das will sie sicherlich, aber was läßt Euch glauben, ich wollte sie sehen?«
Ser Vardis runzelte die Stirn. Tyrion erinnerte sich gut an ihn, von den Jahren her, die er in King's Landing als Hauptmann in der Leibgarde der Hand gedient hatte. Ein eckiges, schlichtes Gesicht, silbernes Haar, von schwerer Gestalt und ohne nennenswerten Humor.»Eure Wünsche sind nicht meine Sache. Auf die Beine, sonst lasse ich Euch tragen.«
Unbeholfen erhob sich Tyrion.»Eine kalte Nacht«, sagte er beiläufig,»und es ist so zugig in der Hohen Halle. Ich möchte mich nicht erkälten. Mord, wenn du so gut wärst, mir meinen Umhang zu holen.«
Der Kerkermeister blinzelte ihn an, seine Miene stumpf vor Argwohn.
«Meinen Umhang«, wiederholte Tyrion.»Das Schattenfell, das du für mich verwahrt hast. Du erinnerst dich.«
«Hol ihm den verdammten Umhang«, sagte Ser Vardis. Mord wagte nicht zu murren. Er warf Tyrion einen Blick zu, der ihm zukünftige Vergeltung versprach, doch ging er den Umhang holen. Als er ihn seinem Gefangenen um den Hals legte, lächelte Tyrion.»Meinen Dank. Ich werde stets an dich denken, wenn ich ihn trage. «Er warf das am Boden schleifende Ende des langen Fells über seine rechte Schulter, und zum ersten Mal seit Tagen wurde ihm warm.»Geht voran,
Ser Vardis.«
Die Hohe Halle der Arryns erstrahlte im Licht von fünfzig Fackeln, die in den Haltern an den Wänden leuchteten. Lady Lysa trug schwarze Seide, und auf ihrer Brust waren mit Perlen Mond und Falke aufgenäht. Da sie nicht so aussah, als wollte sie sich der Nachtwache anschließen, konnte sich Tyrion nur vorstellen, daß sie zu dem Schluß gekommen war, Trauerkleider wären die angemessene Kleidung, um ein Geständnis entgegenzunehmen. Ihr langes, dunkelbraunes Haar, das zu einem feinen Zopf geflochten war, fiel über ihre linke Schulter. Der höhere Thron neben ihr stand leer. Zweifelsohne zitterte der kleine Lord über die Eyrie sich eben durch den Schlaf. Dafür zumindest war Tyrion dankbar.