Um Roberts Mund erschien ein bitterer Zug.»Nicht gut, um die Wahrheit zu sagen«, gestand er.»Ich glaube, Jon zu verlieren, hat die Frau um den Verstand gebracht, Ned. Sie hat den Jungen mit zurück auf die Eyrie genommen. Gegen meinen Wunsch. Ich hatte gehofft, ich könnte ihn Tywin Lannister in Casterly Rock anvertrauen. Jon hat keine Brüder, keine weiteren Söhne. Sollte ich zulassen, daß er von Frauen aufgezogen wird?«
Ned hätte ein Kind eher einer Schlange als Lord Tywin anvertraut, doch ließ er seine Zweifel unausgesprochen. Manch alte Wunde heilt niemals wirklich und blutet beim leisesten Wort.»Die Frau hat ihren Mann verloren«, sagte er vorsichtig.»Vielleicht fürchtete die Mutter, den Sohn nun ebenfalls zu verlieren. Der Junge ist noch sehr klein.«
«Sechs Jahre und kränklich und — mögen uns die Götter gnädig sein — Lord über die Eyrie«, fluchte der König.»Lord Tywin hatte noch nie ein Mündel zu sich genommen. Lysa hätte sich geehrt fühlen sollen. Die Lannisters sind ein großes und edles Geschlecht. Sie weigerte sich, auch nur davon zu hören. Dann reiste sie mitten in der Nacht ab, ohne sich zu verabschieden. Cersei war außer sich. «Er seufzte tief.»Der Junge ist mein Namensvetter, wußtest du das? Robert Arryn. Ich habe geschworen, ihn zu beschützen. Wie kann ich das, wenn seine Mutter ihn verschleppt?«
«Ich werde ihn als Mündel nehmen, wenn Ihr wollt«, sagte Ned.»Damit sollte Lysa einverstanden sein. Sie und Catelyn standen sich als Mädchen sehr nahe, und auch sie wäre uns willkommen.«
«Ein großzügiges Angebot, mein Freund«, sagte der König,»doch kommt es zu spät. Lord Tywin hat bereits sein Einverständnis erklärt. Den Jungen andernorts unterzubringen wäre eine schwere Beleidigung.«
«Das Wohlergehen meines Neffen liegt mir mehr am Herzen als der Stolz der Lannisters«, erklärte Ned.
«Weil du nicht mit einer Lannister schläfst«, lachte Robert. Sein Lachen hallte zwischen den Särgen und kehrte von der gewölbten Decke zurück. Im Dickicht des mächtigen, schwarzen Bartes blitzten weiße Zähne auf, als er lächelte.»Ach, Ned«, sagte er,»du bist noch immer viel zu ernst. «Er legte den massigen Arm um Neds Schulter.»Ich hatte ein paar Tage warten wollen, bis ich mit dir spreche, doch jetzt sehe ich, daß es dafür keinen Grund gibt. Komm, geh ein Stück mit
mir.«
Sie setzten zwischen den Säulen hindurch den Rückweg fort. Blinde, steinerne Augen schienen ihnen zu folgen, wenn sie vorübergingen. Noch immer hatte der König seinen Arm um Neds Schulter gelegt.»Du wirst dich gefragt haben, wieso ich endlich in den Norden nach Winterfell gekommen bin, nach so langer Zeit.«
Ned hatte seine Vermutungen, doch behielt er sie für sich.»Um das Vergnügen meiner Gesellschaft zu haben, nehme ich doch an«, sagte er freudig.»Und dann ist da die Mauer. Die müßt Ihr sehen, Majestät, auf ihren Zinnen spazieren und mit denen sprechen, die sie bemannen. Die Nachtwache ist nur noch ein Schatten dessen, was sie einmal darstellte. Benjen sagt… «
«Zweifelsohne werde ich noch früh genug erfahren, was dein Bruder sagt«, unterbrach ihn Robert.»Die Mauer steht jetzt — wie lange? — seit achttausend Jahren. Sie wird noch ein paar Tage warten können. Ich habe drängendere Probleme. Wir leben in schwierigen Zeiten. Ich brauche gute Männer um mich. Männer wie Jon Arryn. Er hat mir als Lord über die Eyrie gedient, als Wächter des Ostens, als Rechte Hand des Königs. Er wird nicht leicht zu ersetzen sein.«
«Sein Sohn…«, begann Ned.
«Sein Sohn wird ihm auf der Eyrie nachfolgen«, sagte Robert brüsk.»Nicht mehr.«
Das überraschte Ned. Er blieb stehen, verdutzt, und wandte sich um, damit er seinen König ansehen konnte. Die Worte entfuhren ihm, ohne daß er es gewollt hätte.»Stets waren die Arryns Wächter des Ostens. Der Titel gehört zum Besitz.«
«Vielleicht kann man ihm diese Ehre wieder übertragen, wenn er alt genug ist«, sagte Robert.»Ich muß dieses und das nächste Jahr bedenken. Ein Sechsjähriger ist kein Kriegsherr, Ned.«
«In Friedenszeiten ist der Titel nicht mehr als eine Ehre. Laß ihn dem Jungen. Um seines Vaters willen, wenn schon nicht um seiner selbst willen. Das bist du Jon für seine Dienste sicher schuldig.«
Der König war nicht eben erfreut. Er nahm den Arm von Neds Schulter.»Jons Dienste waren die Pflicht, die er seinem Lehnsherrn schuldete. Ich bin nicht undankbar, Ned. Du vor allem solltest das wissen. Aber der Sohn ist nicht der Vater. Ein Kind allein kann den Osten nicht halten. «Dann wurde seine Stimme milder.»Genug davon. Es gibt Wichtigeres zu besprechen, und ich möchte mit dir nicht streiten. «Robert packte Ned beim Ellbogen.»Ich brauche dich, Ned.«
«Ich stehe Euch zur Verfügung, Majestät. Jederzeit. «Es waren Worte, die er sagen mußte, und so sprach er sie aus, besorgt darum, was als nächstes folgen mochte.
Robert schien ihn kaum zu hören.»Jene Jahre, die wir auf der Eyrie verbracht haben… bei den Göttern, das waren gute Jahre. Ich möchte dich wieder an meiner Seite sehen, Ned. Ich möchte dich unten in King's Landing haben, nicht hier oben am Ende der Welt, wo du niemandem nützt. «Robert blickte in die Dunkelheit, einen Moment lang melancholisch wie ein Stark.»Ich schwöre dir: Auf einem Thron zu sitzen ist tausendmal schwerer, als einen zu erobern. Gesetze sind eine öde Angelegenheit, und Kupfermünzen zählen noch viel schlimmer. Und diese Leute.. sie nehmen einfach kein Ende. Ich sitze da auf diesem gottverdammten Eisenstuhl und hör mir ihre Klagen an, bis mein Verstand benebelt und mein Hintern wund ist. Alle wollen irgendwas, Geld oder Land oder Gerechtigkeit. Die Lügen, die sie erzählen… und meine Lords und Ladies sind nicht besser. Ich bin von Schmeichlern und Narren umgeben. Das kann einen Mann in den Wahnsinn treiben, Ned. Die eine Hälfte von ihnen wagt nicht, mir die Wahrheit zu sagen, und die andere Hälfte kann sie nicht finden. Es gibt Nächte, in denen ich mir wünsche, wir hätten am
Trident verloren. Ach nein, nicht wirklich, aber…«
«Ich verstehe«, sagte Ned sanft.
Robert sah ihn an.»Das glaube ich dir. Falls es so ist, bist du der einzige, mein alter Freund. «Er lächelte.»Lord Eddard Stark, ich möchte Euch zur Rechten Hand des Königs ernennen.«
Ned sank auf ein Knie. Das Angebot überraschte ihn nicht. Welchen anderen Grund hätte Robert für diese lange Reise haben können? Die Rechte Hand des Königs war der zweitmächtigste Mann in den Sieben Königslanden. Sie sprach mit der Stimme des Königs, befehligte des Königs Armeen, unterzeichnete die Gesetze des Königs. Gelegentlich saß sie sogar auf dem Eisernen Thron, um königliches Recht zu sprechen, wenn der König abwesend oder krank war, oder sonstwie unpäßlich. Robert bot ihm eine Verantwortung an, die groß war wie das Reich selbst.
Es war das letzte auf der Welt, was er wollte.
«Majestät«, sagte er.»Ich habe diese Ehre nicht verdient.«
Robert knurrte mit gutgelaunter Ungeduld.»Wenn ich dich ehren wollte, würde ich dich in den Ruhestand versetzen. Ich habe vor, dich das Reich und die Kriege führen zu lassen, während ich esse und trinke und mich in ein frühes Grab hure. «Er schlug sich auf den Wanst und grinste.»Kennst du das Sprichwort über den König und seine Rechte Hand?«
Ned kannte das Sprichwort.»Was der König erträumt«, sagte er,»das baut die Rechte Hand.«
«Einmal war ich mit einer Fischhändlerin im Bett, die mir erzählte, daß die von niedriger Geburt eine deftigere Art haben, es auszudrücken. Der König speist, so sagen sie, und an der Rechten Hand bleibt die Scheiße kleben. «Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen. Das Echo hallte durch die Dunkelheit.
Schließlich verklang das Gelächter und erstarb. Ned stützte sich noch immer auf ein Knie, mit erhobenem Blick.»Verdammt, Ned«, klagte der König.»Du könntest mich wenigstens mit einem Lächeln erfreuen.«
«Man sagt, hier oben würde es im Winter so kalt, daß einem das Lachen im Hals erfriert und man daran erstickt«, sagte Ned gleichmütig.»Vielleicht ist das der Grund, wieso die Starks so wenig Humor haben.«