Maester Luwin bedeckte seine Augen. Selbst Ned sah sie erschrocken an.»Was tut Ihr?«fragte er.
«Ich will ein Feuer machen«, erklärte Catelyn. Sie suchte ihren Morgenmantel und zog ihn über, dann kniete sie vor dem kalten Kamin.
«Maester Luwin…«, sagte Ned.
«Maester Luwin hat alle meine Kinder zur Welt gebracht«, sagte Catelyn.»Es ist nicht der rechte Augenblick für falsche Scham. «Sie schob das Papier zwischen die Zweige und legte schwere Scheite darauf.
Ned durchmaß den Raum, nahm sie beim Arm und zog sie auf die Beine. So hielt er sie, sein Gesicht nur Zentimeter von dem ihren entfernt.»Mylady, sagt es mir! Was besagt diese Nachricht?«
Catelyn versteifte sich in seinem Griff.»Eine Warnung«, erklärte sie sanft.»Wenn wir klug genug sind, sie herauszuhören.«
Seine Augen suchten in ihrem Gesicht.»Weiter.«
«Lysa sagt, Jon Arryn wurde ermordet.«
Seine Finger schlossen sich um ihren Arm.»Von wem?«
«Den Lannisters«, erklärte sie.»Der Königin.«
Ned ließ ihren Arm los. Dunkelrote Abdrücke waren auf ihrer Haut zu sehen.»Bei allen Göttern«, flüsterte er. Seine Stimme war heiser.»Eure Schwester ist krank vor Trauer. Sie weiß nicht, was sie sagt.«
«Sie weiß es«, sagte Catelyn.»Lysa ist leidenschaftlich, ja, aber diese Nachricht war sorgsam geplant, klug verborgen. Sie wußte, daß es den Tod bedeutet, wenn der Brief in falsche Hände geriete. Um soviel zu riskieren, muß sie mehr als nur einen Verdacht gehabt haben. «Catelyn sah ihren Mann an.»Jetzt haben wir tatsächlich keine Wahl mehr. Ihr müßt Roberts Rechte Hand werden. Ihr müßt mit ihm in den Süden ziehen und die Wahrheit in Erfahrung bringen.«
Augenblicklich sah sie, daß Ned zu einem gänzlich anderen Entschluß gekommen war.»Die einzigen Wahrheiten, die ich kenne, sind hier. Der Süden ist ein Nest von Nattern, das ich besser meiden sollte.«
Luwin zog an seiner Kette, wo sie an der weichen Haut des
Halses gescheuert hatte.»Die Rechte Hand des Königs besitzt große Macht, Mylord. Macht, die Wahrheit über Lord Arryns Tod herauszufinden, seine Mörder vor Gericht zu bringen. Macht, Lady Arryn und ihren Sohn zu schützen, falls das Schlimmste wirklich wahr sein sollte.«
Hilflos sah sich Ned im Schlafgemach um. Catelyns Herz strebte ihm zu, doch wußte sie, noch durfte sie ihn in diesem Augenblick nicht in die Arme schließen. Erst mußte der Sieg errungen sein, um ihrer Kinder willen.»Ihr sagt, Ihr liebt Robert wie einen Bruder. Würdet Ihr zulassen, daß Euer Bruder von Lannisters umzingelt bleibt?«
«Sollen die Anderen Euch beide holen«, murmelte Ned finster. Er wandte sich von ihnen ab und trat ans Fenster. Sie sagte nichts, und auch der Maester nicht. Sie warteten schweigend, während Eddard Stark Abschied von seinem Heim nahm, das er so sehr liebte. Als er sich schließlich vom Fenster abwandte, war seine Stimme müde und voller Melancholie, und etwas Feuchtes glitzerte in seinen Augenwinkeln.»Mein Vater zog einmal gen Süden, um dem Ruf eines Königs zu folgen. Er kam nie mehr zurück.«
«Es war eine andere Zeit«, erwiderte Maester Luwin,»ein anderer König.«
«Ja«, sagte Ned wie betäubt. Er setzte sich auf einen Stuhl vor dem Kamin.»Catelyn, Ihr bleibt auf Winterfell.«
Wie ein eisiger Lufthauch trafen sie seine Worte ins Herz.»Nein«, sagte sie plötzlich erschrocken. Sollte das ihre Strafe sein? Nie wieder sein Gesicht zu sehen, nie wieder seine Arme um sich zu spüren?
«Ja«, sagte Ned mit einer Stimme, die keine Widerworte duldete.»Ihr müßt an meiner Stelle im Norden regieren, während ich mich um Roberts Angelegenheiten kümmere. Stets muß ein Stark auf Winterfell sein. Robb ist vierzehn. Bald wird er erwachsen sein. Er muß lernen zu regieren, und ich werde nicht für ihn dasein. Laßt ihn an Euren Entscheidungen teilhaben. Er muß bereit sein, wenn seine Zeit gekommen ist.«
«Mögen uns die Götter gnädig sein, daß es noch viele Jahre dauert«, murmelte Maester Luwin.
«Maester Luwin, ich vertraue Euch wie meinem eigenen Fleisch und Blut. Steht meiner Frau in allen großen und kleinen Dingen zur Seite. Lehrt meinen Sohn alles, was er wissen muß. Der Winter naht.«
Maester Luwin nickte feierlich. Dann machte sich Stille breit, bis Catelyn den Mut fand, die Frage zu stellen, deren Antwort sie am meisten fürchtete.»Was wird mit den anderen Kindern?«
Ned stand auf und schloß sie in die Arme, dann brachte er sein Gesicht ganz nah an ihres.»Rickon ist noch sehr klein«, sagte er sanft.»Er sollte hier bei Euch und Robb bleiben. Die anderen werde ich mit mir nehmen.«
«Das könnte ich nicht ertragen«, sagte Catelyn bebend.
«Ihr müßt«, gab er zurück.»Sansa muß Joffrey heiraten, das ist jetzt klar, denn wir dürfen ihnen keinen Anlaß bieten, unsere Ergebenheit zu bezweifeln. Und es ist schon lange überfällig, daß Arya die Sitten und Gebräuche der Höfe im Süden lernt. In wenigen Jahren wird auch sie im heiratsfähigen Alter sein.«
Sansa würde im Süden erblühen, so dachte Catelyn bei sich, und — bei den Göttern — Arya hatte eine Verfeinerung ihrer Umgangsformen bitter nötig. Widerstrebend löste sie sich im Herzen schon von ihnen. Doch nicht Bran. Niemals Bran.»Ja«, sagte sie,»aber bitte, Ned, bei aller Liebe, die Ihr für mich empfinden mögt, laßt Bran hier bei mir auf Winterfell bleiben. Er ist erst sieben.«
«Ich war acht, als mich mein Vater auf die Eyrie schickte«, sagte Ned.»Ser Rodrik berichtet mir, es gäbe böses Blut zwischen Robb und Prinz Joffrey. Das ist nicht gut. Bran kann diese Kluft überbrücken. Er ist ein süßer Junge, lacht gern,
jedermann liebt ihn. Laßt ihn mit den jungen Prinzen aufwachsen, laßt ihn deren Freund werden, wie Robert der meine wurde. Unser Haus wird dadurch sicherer.«
Er hatte recht, das wußte Catelyn. Es machte den Schmerz nicht leichter zu ertragen. Sie würde also alle vier verlieren: Ned, beide Mädchen und ihren süßen, liebevollen Bran. Nur Robb und der kleine Rickon würden ihr bleiben. Schon jetzt fühlte sie sich einsam. Winterfell war so groß.»Nur haltet ihn von Mauern fern«, sagte sie tapfer.»Ihr wißt, wie gern Bran klettert.«
Ned küßte ihr die Tränen von den Augen, bevor sie fallen konnten.»Ich danke Euch, Mylady«, flüsterte er.»Es ist schwer, ich weiß.«
«Was wird mit Jon Snow, Mylord?«fragte Maester Luwin.
Bei der bloßen Nennung seines Namens verspannte sich Catelyn. Ned spürte den Zorn in ihr und löste sich von ihr.
Viele Männer zeugten Bastarde. In diesem Bewußtsein war Catelyn aufgewachsen. Es konnte sie nicht überraschen, als sie im ersten Jahr ihrer Ehe erfuhr, daß Ned ein Kind von irgendeinem Mädchen hatte, dem er auf einem Feldzug begegnet war. Schließlich hatte er die Bedürfnisse eines Mannes, und sie waren in jenem Jahr getrennt gewesen, als Ned gen Süden in den Krieg zog, während sie in der Sicherheit der Burg ihres Vaters in Riverrun blieb. Ihre Gedanken waren mehr bei Robb, dem Säugling an ihrer Brust, als bei dem Gatten, den sie kaum kannte. Sollte er doch allen Trost zwischen den Schlachten suchen, den er brauchte. Und falls sein Same Früchte trug, erwartete sie, daß er sich um die Bedürfnisse des Kindes kümmerte.
Er tat weit mehr als das. Die Starks waren nicht wie andere Menschen. Ned brachte seinen Bastard mit nach Hause und nannte ihn» Sohn«, damit der ganze Norden es wußte. Als die Kriege schließlich ein Ende hatten und Catelyn nach Winterfell
ritt, hatten sich Jon und seine Amme bereits dort eingerichtet.
Das schmerzte sehr. Ned wollte über die Mutter nicht sprechen, kein einziges Wort, doch eine Burg wahrt keine Geheimnisse, und Catelyn hörte die Geschichten der Zofen, die diese von den Soldaten ihres Mannes wußten. Sie flüsterten von Ser Arthur Dayne, dem Schwert des Morgens, dem gefürchtetsten der sieben Ritter aus Aerys' Königsgarde, und daß der junge Lord ihn im Kampf Mann gegen Mann erschlagen hatte. Und sie erzählten, wie Ned danach Ser Arthurs Schwert der schönen, jungen Schwester gebracht hatte, die ihn in einer Burg mit Namen Starfall an der Küste des Sommermeers erwartet hatte. Die Lady Ashara Dayne, groß und blond, mit betörend veilchenblauen Augen. Vierzehn Tage hatte sie gebraucht, um ihren Mut zu sammeln, doch schließlich hatte Catelyn ihren Mann eines Abends im Bett rundheraus danach gefragt.